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Medikamentenmissbrauch nahm in der Pandemie zu

Von Vilja Schiretz

Politik

Vor allem Jüngere griffen häufiger zu Schmerz- und Aufputschmitteln.


Ein gutes Viertel der Menschen in Österreich fühlt sich durch die Pandemie psychisch belastet. Dieser Belastung versuchen Betroffene vermehrt durch missbräuchlichen Medikamentenkonsum entgegenzutreten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Sigmund Freund Universität im Auftrag des Anton Proksch Instituts für Suchterkrankungen. 1.000 Personen wurden online zu ihrem Medikamentenkonsum seit Beginn der Corona-Pandemie befragt.

Vor allem der Konsum von Schlaf- und Beruhigungsmitteln hat der Studie zufolge zugenommen. Von den 1.000 Befragten gaben 16 Prozent an, solche Medikamente seit Pandemiebeginn eingenommen zu haben, 46 Prozent davon haben ihren Konsum seit dem Ausbruch der Pandemie gesteigert. Als häufigste Gründe wurden Nervosität oder Probleme beim Ein- oder Durchschlafen genannt.

150.000 Menschen gelten als abhängig von Arzneimitteln

Die Einnahme von Schmerzmitteln hat sich hingegen mit Corona kaum verändert, allerdings weisen die Studienautoren darauf hin, dass die Altersgruppe der 18- bis 30-jährigen mit rund 55 Prozent häufiger zu diesen Medikamenten gegriffen hat als etwa die Gruppe der über 50-Jährigen (40 Prozent).

Auffallend häufiger nahm mit neun Prozent die jüngste Gruppe auch Aufputschmittel ein, bei den über 50-Jährigen gab nur ein Prozent an, zu solche Medikamente konsumiert zu haben.

Laut Oliver Scheibenbogen, klinischer Psychologe und einer der Studienautoren, liege das einerseits an einer stärkeren pandemiebedingten Belastung dieser Gruppe, andererseits an fehlender Lebenserfahrung und damit mangelnder Kompetenz, mit Krisen auf andere Weise umzugehen.

Insgesamt gelten in Österreich rund 150.000 Personen als arzneimittelabhängig, die Dunkelziffer dürfte aber noch deutlich höher sein — die Studienautoren gehen etwa von der doppelten Anzahl aus. Ausgangspunkt für den missbräuchlichen Konsum sei meist die Verschreibung des Medikaments durch einen Arzt, so Scheibenbogen. "Diese Medikamente haben meist ihren Sinn, allerdings nur kurzfristig in Krisensituationen", so der Psychologe. Werden die Medikamente allerdings missbräuchlich längerfristig und anders als verschrieben eingenommen, erfolge die Beschaffung häufig über den Schwarzmarkt — oder durch "Doctor Hopping", also den Wechsel zu neuen Ärzten, sollte der bisherige Hausarzt eine erneute Verschreibung des Medikaments verweigern. Meldet sich der Patient etwa aus dem Elga-System ab, sei es schwer nachzuvollziehen, welche Medikamente bereits zuvor verschrieben worden waren. Betroffene versuchten laut Scheibenbogen, ihren Konsum dennoch durch die ursprüngliche Verschreibung zu rechtfertigen: "Ich habe es von jemandem aus dem medizinischen System bekommen und damit ist es in Ordnung."

Toleranzsteigerung als Warnsignal

Scheibenbogen nennt im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" mehrere Kriterien, ab wann Medikamentenkonsum problematisch wird. Warnsignale seien etwa eine Toleranzsteigerung, also wenn für die gleiche Wirkung mehr von einer Substanz eingenommen werden muss, Entzugserscheinungen oder ein leicht sedierter Zustand, "wenn Bekannte sagen‚ du bist in letzter Zeit anders geworden, mit dir kann man nichts mehr anfangen".