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"Wir müssen den freien Sterbewillen sicherstellen"

Von Petra Tempfer

Sterbehilfe
Im Zweifelsfall müsse man als Notar die Tätigkeit ablehnen, sagt Michael Umfahrer.
© Wiener Zeitung / Moritz Ziegler

Jemand, der unter Druck gesetzt wird, dürfe keine Sterbeverfügung erhalten, sagt Notariatskammerpräsident Umfahrer.


Der Notar agiere vollkommen weisungsfrei, sagt Michael Umfahrer, Präsident der Österreichischen Notariatskammer, im Interview mit der "Wiener Zeitung": Wenn zum Beispiel ein Suizidwilliger mit den für die Sterbeverfügung notwendigen Bestätigungen zweier Ärzte, dass er entscheidungsfähig ist, zum Notar kommt, kann sich dieser dennoch weigern, diese zu errichten. Der Notar wäre der nächste Schritt zur Mitwirkung am Suizid, die seit 1. Jänner dieses Jahres in Österreich erlaubt ist. Anfragen dazu sind laut Umfahrer überschaubar. Auch die Covid-19-Pandemie und die Lockdowns prägten den Berufsalltag der Notare zuletzt nachhaltig. Eine Gesetzesnovelle zur verstärkten Nutzung der elektronischen notariellen Amtshandlung tritt mit 1. Juli in Kraft.

"Wiener Zeitung": Herr Umfahrer, waren es anfangs die Ärztinnen und Ärzte, die eine erste Hürde zur Mitwirkung am Suizid darstellten, so könnten es nun als weiteres wesentliches Glied die Notarinnen und Notare sein: Gibt es eine konkrete Liste all jener, die eine Sterbeverfügung errichten würden?

Michael Umfahrer:In jeder Länderkammer haben wir einen Pool von Kolleginnen und Kollegen, die das auf jeden Fall machen. Daran scheitert es sicher nicht, die Kontakte erfährt man auf Anfrage. Wer eine Sterbeverfügung errichten will, wird einen Notar finden, der ihn unterstützt. Das Entscheidende dabei ist, dass wir auch innerhalb des Berufsstandes klar gemacht haben, dass das eine sehr belastende und ernstzunehmende Tätigkeit ist. Darum empfehlen wir, dass das nur erfahrene Kolleginnen und Kollegen machen und dass es nicht jemand macht, der gerade in den Berufsstand eingetreten ist. Es gab aber erst ein paar Anfragen.

Wie stehen Sie als Präsident der Notariatskammer dazu?

Die medizinische Verantwortung ist schon eine sehr, sehr schwierige. In unserem Bereich geht es aber genauso um die Frage, ob wir die Freiheit des Willens sicherstellen können. Es geht also darum, dass nicht jemand, der massiv unter Druck ist oder erpresst wird, eine Sterbeverfügung erhält. Im Zweifelsfall muss man die Tätigkeit ablehnen. Wenn man das Gefühl hat, dass da etwas nicht stimmt, muss man sagen: "Das mach ich nicht." Da gehört wahnsinnig viel Erfahrung dazu.

Sind die Notare dabei vernetzt? Oder kann man, wenn der eine die Tätigkeit ablehnt, solange zum nächsten und übernächsten gehen, bis es klappt?

Das ist eine Frage der beruflichen Verschwiegenheitspflicht, das wird nicht so einfach sein. Aber abseits der Sterbehilfe: Wir haben schon viel praktische Erfahrung mit Menschen, die von Notar zu Notar tingeln, weil sie irgendetwas machen wollen, wo wir das Gefühl haben, da stimmt etwas nicht. Darum braucht es eine sorgfältige Informationsaufnahme und Analyse, man muss das Umfeld beleuchten und falls notwendig entsprechende Gutachten von Ärzten über die Geschäftsfähigkeit erstellen lassen, damit diese dann vor allem auch im Nachhinein abgesichert und bestätigt ist.

Gibt es eine psychologische Anlaufstelle für Notare, die zum Beispiel durch die Errichtung von Sterbeverfügungen psychisch belastet sind?

Die Kammer hat noch keine diesbezüglichen Vorkehrungen getroffen. Wenn sich aber herausstellen sollte, dass sich hier ein größeres Problem auftut, werden wir bestimmt etwas machen.

Wie intensiv wird eigentlich der digitale Notariatsakt genutzt?

Die Covid-19-Pandemie und die Lockdowns haben eine wesentliche Rolle gespielt -während der Lockdowns wurde der digitale Notariatsakt natürlich mehr genutzt. 2020 wurde die Möglichkeit der digitalen Beglaubigung und Beurkundung durch den Notar ins Dauerrecht übernommen. Es hat ja alles Vor- und Nachteile, und ich finde, das wirklich Gute ist die Kombination. Die Pandemie hat einerseits einen Digitalisierungsschub bewirkt, weil ein persönliches Erscheinen nicht möglich war, andererseits haben wir aber auch die Grenzen der Videokonferenz erfahren: Sensible Bereiche, wie vor allem Verhandlungen im Familien- und Erbrecht, aber auch schwierige Vertragsverhandlungen in anderen Gebieten benötigen den "face-to-face"-Kontakt, um Emotionen zu erkennen und auf diese angemessen reagieren zu können. Wir sind jetzt in der Lage, die Online-Beurkundung dort einzusetzen, wo es sinnvoll ist, aber den direkten Kontakt dann zu suchen, wenn dieser unabdingbar ist.

Wo befindet man sich aktuell bei der Lösung des Problems des Medienbruchs - also, dass eine Urkunde entweder rein analog oder digital errichtet und von allen auch in dieser Form unterschrieben sein muss, um gültig zu bleiben?

Eine Gesetzesnovelle, die das regelt (unter anderem wurde die Notariatsordnung durch das Berufsrechts-Änderungsgesetz 2022 novelliert, Anm.), tritt mit 1. Juli in Kraft! Wir als Notare können die Urkunden dann über unser Urkundenarchiv verwandeln. Das heißt: Wenn einer elektronisch signiert hat, der nächste aber auf Papier unterschreiben möchte, dann können wir diese Urkunde in eine Papierurkunde - wieder als Original - umwandeln. Das ist dann nicht mehr nur ein Fetzen Papier, sondern der nächste kann auch unterschreiben. Wir werden bestimmt noch einige Jahrzehnte in dieser Parallelwelt leben, dass es elektronische und Papierurkunden nebeneinander gibt.

Laut Michael Umfahrer wird auch gerade eine Kontrollinstanz für Notare eingerichtet, um die Einhaltung der Geldwäscheverpflichtungen sicherzustellen.
© Wiener Zeitung / Moritz Ziegler

Auf Ebene der Europäischen Union rückt derzeit eine neue Geldwäscheverordnung immer näher. So soll zum Beispiel eine EU-Behörde für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung eingerichtet werden. Notare können verhindern, dass Geldwäsche-geneigte Prozesse abgeschlossen werden. Wie weit ist Österreich bei diesem Thema?

Wir haben bereits begonnen, entsprechende Systeme bei uns im österreichischen Notariat einzurichten. Im Rahmen der Kanzleirevisionen wird die Einhaltung der Geldwäscheverpflichtungen laufend überprüft, zusätzlich bereiten wir derzeit aber eine zentrale Koordinierungsstelle vor: Eine Kontrollinstanz, die sicherstellen soll, dass unsere Länderkammern im Rahmen der Berufsaufsicht die von der - neu einzurichtenden - zentralen EU-Geldwäschebehörde festgelegten Regeln umsetzen können. Dabei werden Daten über die Tätigkeit der Kolleginnen und Kollegen gesammelt und ausgewertet. Die gesetzliche Umsetzung fehlt aber noch, der grüne Parlamentsklub möchte auf die EU-Verordnung warten. Geldwäsche ist generell ein großes Problem. Vor allem jetzt, während des Krieges in der Ukraine - der Notar muss hinterfragen, ob diejenigen, die hinter dem Geschäft stehen, zum Beispiel auf irgendwelchen Sanktionslisten sind.

Zur Kontrolle an ganz anderer Stelle unseres Rechtsstaates: Wie stehen Sie zur Forderung nach einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt am Ende der Weisungskette, wo derzeit die Justizministerin steht?

Wir haben aktuell ein System, in dem die Weisungskette von Staatsanwälten zwar bei der Ministerin endet, diese ist aber wiederum dem Parlament verantwortlich - und hat damit eine demokratisch legitimierte Kontrolle. Diese braucht es, und wenn es nicht gelingen sollte, einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, der besser als das jetzige System ist, dann sollten wir lieber beim jetzigen bleiben. Außerdem könnten die Probleme, die jetzt aufpoppen, vielmehr mit der Reform des Vorverfahrens im Strafprozess 2008 zusammenhängen: Seitdem gibt es keine Untersuchungsrichter mehr, und das Ermittlungsverfahren wurde zu den Staatsanwälten geschoben. Aus dieser Systemänderung heraus sind für mich bestimmte Probleme erklärbar.

Michael Umfahrer ist seit Oktober 2019 Präsident der Österreichischen Notariatskammer und für eine Funktionsperiode von drei Jahren berufen. Er ist seit mehr als 20 Jahren als Notar in eigener Kanzlei tätig, den Großteil dieser Zeit in Wien. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind u. a. Wirtschaftsrecht sowie Erb- und Liegenschaftsrecht.