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Reden statt richten

Von Petra Tempfer

Recht
Sesselkreis statt Besprechungstisch: Die gemütliche Atmosphäre ist für die gemeinsame Lösungsfindung essenziell.
© adobe.stock / Rawpixel.com

Beim Einigungsverfahren sollen die Parteien die Lösung finden. Es bräuchte die rechtliche Absicherung, so Experten.


Flipcharts statt Diktiergeräten und Geschichtenbücher statt Gesetzestexten. Dort, wo sonst ein sperriger Besprechungstisch das Zimmer teilt, steht ein Sesselkreis: In den Räumen für das gerichtliche Einigungsverfahren herrscht Wohnzimmeratmosphäre bei Gericht. Diese sei auch essenziell, sagte Adelheid Beer, Vorsitzende der Fachgruppe "Einigung - alternative Streitbeilegung bei Gericht" der österreichischen Richtervereinigung diese Woche bei einem Treffen unter Experten aus unterschiedlichen Bereichen der Rechtsbranche.

Denn beim gerichtlichen Einigungsverfahren geht es nicht darum, dass der Richter entscheidet. Vielmehr sind es die Parteien selbst, die in einem Streitfall eine einvernehmliche Lösung ihrer Probleme erarbeiten sollen - unter Begleitung eines unabhängigen Richters ohne Entscheidungskompetenz, der in den Bereichen der Kommunikation und Mediation speziell ausgebildet ist. Er darf nicht für das Verfahren zuständig sein, und auch die Rechtsvertreter dürfen dabei sein. Der Einigungsrichter erteilt keinen Rechtsrat und nimmt weder eine eigene Bewertung oder Einschätzung noch eine Prognose über Erfolg oder Misserfolg der Klage vor. Ist das Einigungsverfahren erfolgreich, muss das gerichtliche Verfahren noch beim Streitrichter mit einem exekutierbaren Vergleich oder etwa einem "ewigen Ruhen" beendet werden.

Keine Gerichtsmehrkosten

Im Unterschied zur klassischen Mediation mit allparteilichen Mediatorinnen oder Mediatoren, die die Gespräche leiten, fallen für das Einigungsverfahren keine zusätzlichen Gerichtskosten an. Laut der Präsidentin der Richtervereinigung Sabine Matejka sei der Hauptzweck dieses Verfahrens, eine nachhaltige Lösung zu finden, die die Parteien nicht im tiefen Streit auseinandergehen lässt. Dass es überdies meist sehr schnell gehe, im Regelfall innerhalb von ein bis zwei Sitzungen, sei freilich ein "guter Nebeneffekt", sagte Matejka im Rahmen des Treffens.

In Österreich wurde das gerichtliche Einigungsverfahren bereits vor einiger Zeit entwickelt, hat sich aber noch nicht wirklich durchgesetzt - im Gegensatz zu Deutschland oder zur Schweiz. Mit ein Grund könnte sein, dass die gesetzlichen Grundlagen noch recht dünn sind. Problematisch sei etwa, dass keine Verschwiegenheitspflicht gelte, sagte Robert Fucik, leitender Staatsanwalt im Justizministerium. "Rechtlich ist nicht abgesichert, dass man sagen kann, man kann so frei sprechen, dass es nachher nicht gegen einen verwendet werden kann", so Fucik: Daher sollte es in den regulären Dauerzustand überführt werden.

Auch Eduard Strauss, Zivilrichter im Ruhestand und ehemaliger Senatspräsident des Oberlandesgerichts Wien, sprach sich dafür aus, "es in die Zivilprozessordnung hineinzuschreiben". Auf jeden Fall müsse das gerichtliche Einigungsverfahren weiter betrieben, von Richterinnen und Richtern vermehrt empfohlen und dadurch bekannter werden. Strauss selbst sei bereits an Einigungsverfahren beteiligt gewesen, sagte er, und habe sich generell immer bemüht, Vergleiche zu erzielen. Mit dem Argument gegenüber den Parteien, "dass sie die Angelegenheit besser privatautonom regeln, weil sie mir sonst ausgeliefert sind", sagte Strauss augenzwinkernd.

Ein bekannter Fall eines gerichtlichen Einigungsverfahrens in Österreich ist jener des Tennisspielers Dominic Thiem. Im März des Vorjahres einigten sich Thiem und sein langjähriger Coach Günter Bresnik im Rechtsstreit um finanzielle Forderungen des Ex-Trainers auf einen außergerichtlichen Vergleich. Dem vorausgegangen war ein gerichtliches Einigungsverfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

Nicht alle Fälle seien für dieses geeignet, meinte Birgit Rendl, Richterin am Bezirksgericht Innere Stadt Wien. Familienrecht zum Beispiel eigne sich gut, beim Bestandsrecht sei es schwieriger. "Sobald es eine gewisse persönliche Ebene zwischen den Parteien gibt, empfehlen wir das Einigungsverfahren", sagte Rendl.

Handlungsalternativen kennen

"Gemeinsam erarbeitete Lösungen halten besser", ergänzte Ulrike Frauenberger-Pfeiler vom Institut für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien. Ihrer Ansicht nach wesentlich für ein erfolgreiches Einigungsverfahren sei, dass die Parteien sämtliche Handlungsalternativen kennen - also welche es gibt und wie hoch die Chancen sind, zu gewinnen. "Oder der Leidensdruck ist bereits sehr hoch", so Frauenberger-Pfeiler.

Fehlt noch die Seite der Anwälte -und damit all jener, die befürchten könnten, dass durch das raschere gerichtliche Einigungsverfahren die "Cashcow" stirbt. "Ich habe mit diesen Verfahren immer gut verdient", sagte dazu Rechtsanwalt Eric Heinke, der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Wien ist. "Der zufriedene Klient wird mich weiterempfehlen - und ich habe den Schneeballeffekt." Eine rechtliche Basis wäre aber auch in seinen Augen dringend notwendig.

Zufriedenheit als Ziel

Zufriedenheit auf allen Seiten ist laut der Fachgruppenvorsitzenden Beer das erklärte Ziel des gerichtlichen Einigungsverfahrens. "Frau Richterin, wir haben uns grad versöhnt", habe zum Beispiel eine Partei am Ende eines solchen Verfahrens zu ihr gesagt, als sie gerade vom Kopieren kam. Es war um Lärmbelästigung in einem Wiener Gemeindebau gegangen, eine Partei hatte Kinder, die andere nicht.

"Im Gespräch stellte sich heraus, dass eine der Parteien schwer krank war und circa einmal im Monat eine Behandlung bekam, nach der sie lärmempfindlich und ruhebedürftig war", berichtete Beer. Die Lösung war schließlich denkbar einfach: Die beiden tauschten ihre Handynummern aus, und die kranke Partei ruft die andere nun immer dann an, wenn sie eine Behandlung hat. Diese nimmt in dieser Zeit Rücksicht.