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Patienten unsachgemäß fixiert

Von Petra Tempfer

Politik
In Psychiatrien ist es generell möglich, Maßnahmen auch gegen den Willen der Patientinnen und Patienten zu setzen.
© adobe.stock / Jonathan Stutz

Die Volksanwaltschaft zeigt im Zuge ihrer präventiven Menschenrechtskontrolle Missstände auf.


In vier Fünftel der insgesamt 50 psychiatrischen Krankenhäuser oder Abteilungen Österreichs werden Patienten fixiert - meist an vier bis fünf Punkten des Körpers mit Gurten oder Riemen. In nur etwas mehr als der Hälfte dieser Einrichtungen gibt es jedoch geeignete Räume und/oder eine kontinuierliche Betreuung und Beobachtung der Fixierten: Diese Missstände zeigte die präventive Menschenrechtskontrolle der Volksanwaltschaft auf, die regelmäßig und unangemeldet in Einrichtungen stattfindet, in denen es zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen kommen kann.

Wie zum Beispiel in Psychiatrien. "In Psychiatrien ist es generell möglich, Maßnahmen auch gegen den Willen der Patientinnen und Patienten zu setzen", sagte Psychiaterin Karin Gutiérrez-Lobos von der Medizinischen Universität Wien im Rahmen eines Hintergrundgesprächs mit Volksanwalt Bernhard Achitz am Mittwoch. "Das ist im Unterbringungsgesetz geregelt." Eine Novelle ist am 15. Juni als Regierungsvorlage im Nationalrat eingelangt.

In einem Bett am Gang fixiert

Der Grat zur ungerechtfertigten Freiheitsentziehung sei jedoch schmal, sagte Gutiérrez-Lobos, die eine Kommission der Volksanwaltschaft zur präventiven Menschenrechtskontrolle leitet.

Immer wieder würden Patienten an einem Bett am Gang fixiert, wo sie die anderen Patienten und Besucher sehen können, weil die entsprechenden Räumlichkeiten fehlten. Das ist den Kontrollen zufolge in etwas mehr als der Hälfte der Einrichtungen der Fall genauso wie die Tatsache, dass die Betroffenen in dieser Zeit unbeobachtet bleiben. Das kann fatal enden, weil eine Fixierung fast immer mit einer Sedierung durch beruhigende Medikamente einhergeht. Als eine fixierte Patientin einmal einen Herzstillstand erlitt, habe man das zum Beispiel nicht sofort bemerkt, sagte Bernhard Rappert, Fachbereichsleiter der Patientenanwaltschaft des VertretungsNetzes.

In einem Viertel der Fälle wird die Fixierung zudem nicht von qualifiziertem ärztlichen und pflegerischen Personal durchgeführt, das im Umgang mit dem verwendeten Gurtensystem als auch im Deeskalationsmanagement geschult ist, haben die Kontrollen ergeben. Auch eine Nachbesprechung nach einer Fixierung hat demnach ein Viertel der Patienten nicht erhalten. "Das ist bedenklich, weil eine Fixierung ein traumatisierendes Ereignis sein kann", sagte Gutiérrez-Lobos.

Akuter Personalmangel

Als Grund für Missstände wie diese wird vonseiten der Einrichtungen freilich meist der Personalmangel genannt. Diesen stellte auch die Volksanwaltschaft fest, in einigen Bereichen habe es sich sogar um einen Fachärztemangel gehandelt, hieß es - vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Durchschnittlich dauere es 20 Stunden, bis die Fixierung eines Patienten beendet sei, so Rappert. Von den rund 24.000 Unterbringungsfällen pro Jahr in Österreich erfolgten etwa 30 Prozent gegen den Willen der Betroffenen. Circa die Hälfte werde nach zwei Tagen wieder aufgehoben. Die durchschnittliche Dauer liege bei zehn bis elf Tagen Aufenthalt in der Psychiatrie. Rund ein Viertel aller Untergebrachten wird laut Rappert am Bett fixiert -traditionell eher zu Beginn der Unterbringung. Was die Missstände betrifft, zeichneten sich je nach Station starke Unterschiede ab, sagte Rappert.

Die Volksanwaltschaft hat daher Empfehlungen ausgearbeitet. Diese werden laut Achitz den überprüften Einrichtungen und Trägerorganisationen sowie den Landes- und Bundesgesetzgebern übermittelt. Nach zwei Jahren werde man erneut spezifische Kontrollen zu den entdeckten Missständen durchführen und prüfen, ob diese behoben worden sind, so Achitz zur "Wiener Zeitung".

Netzbetten bis 2015

Empfohlen wird, dass Fixierungen ausschließlich in dafür vorgesehenen Räumen vorgenommen werden, und dass jede fixierte Person rund um die Uhr beobachtet und betreut wird -und zwar persönlich und nicht etwa digital über einen Bildschirm.

Auch Nachbesprechungen müssen in jedem Fall durchgeführt werden. "Wir müssen den Patienten außerdem orientiert halten", sagte Achitz, "zum Beispiel muss eine Uhr im Raum vorhanden sein". Sämtliche Einrichtungen müssen zudem ein Deeskalationskonzept haben, in dem das gesamte Personal bis hin zu den Reinigungskräften geschult wird.

Die Umsetzung der Empfehlungen wird nicht immer ganz einfach sein. Vor allem Wiens Geschichte der modernen Psychiatrien ist relativ kurz, und die Räumlichkeiten sind zum Teil veraltet. Noch in den 1990er-Jahren waren Patienten in der Psychiatrie "Am Steinhof" ohne Beschäftigung oder regelmäßige Freigänge eingeschlossen. Erst seit 2015 gibt es in Wien keine Netzbetten mehr.