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Sozialversicherungs-Chaos: Minister prüft strafrechtliche Folgen

Von Karl Ettinger

Politik

Kassen-Dachverband zog sofortige Konsequenzen. Betroffener Brunniger sieht "grundlose Beurlaubung".


Die Suspendierung des Topmanagers im Dachverband der Sozialversicherungen schlägt Wellen. Der Büroleiter und damit höchstrangige Angestellte, Martin Brunninger, wurde am Mittwoch, wie der "Wiener Zeitung" bestätigt wurde, mit sofortiger Wirkung suspendiert. Die Entscheidung in der Trägerorganisation der heimischen Sozialversicherungsträger fiel einstimmig.

Nun hat sich auch das von Johannes Rauch (Grüne) geführte Sozialministerium als Aufsichtsbehörde in die Causa eingeschaltet. "Nachdem uns die Vorwürfe einer regelwidrigen Finanzveranlagung bekannt geworden sind, haben wir sofort eine umfassende Bewertung der Vorwürfe eingeleitet. Wir prüfen aufsichtsrechtliche Schritte ebenso wie die strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe und werden danach entsprechende Schritte einleiten", teilte das Sozialministerium am Donnerstag der "Wiener Zeitung" mit.

Grundsätzlich wurde darüber hinaus betont: "Als Aufsichtsbehörde prüfen wir laufend die Gebarung des Dachverbands der Sozialversicherungsträger. Dabei achten wir besonders auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften durch die Organe des Selbstverwaltungskörpers."

Die Konferenz der Sozialversicherungsträger begründet die Suspendierung so: "Wir mussten diesen Schritt setzen, da der Verdacht besteht, dass der Büroleiter seine Dienstpflichten verletzt hat eine Prüfung wurde bereits eingeleitet", betonten Vorsitzende Ingrid Reischl, die aus dem ÖGB kommt und Peter Lehner, der Obmann der Anstalt für Selbstständige und Bauern (SVS). Die interne Revision prüft derzeit, außerdem wurde ein unabhängiger Gutachter beauftragt.  Brunningers Stellvertreter Alexander Burz hat mit sofortiger Wirkung die Agenden übernommen.

Brunninger beendet sein Dienstverhältnis

Über seine Rechtsvertreterin Katharina Körber-Risak stellte Brunninger Donnerstag früh fest, er habe sich stets an die gesetzlichen Vorgaben gehalten. Es sei ihm aber "unter diesen Voraussetzungen unzumutbar, das Dienstverhältnis als Büroleiter weiter aufrecht zu erhalten".

Erst Anfang Juli war ein Rohbericht des Rechnungshofes publik geworden. Dessen brisanter Inhalt: Statt der von ÖVP und FPÖ vor der Zusammenlegung von 21 auf fünf Sozialversicherungsträger versprochenen "Patientenmilliarde" gibt es Mehrkosten von 215 Millionen Euro. Das sorgt seither für Rumoren. Vor dem Beschluss der Sozialversicherungsreform 2018 durch die türkis-blaue Koalition hat die Fusion zu heftigen Auseinandersetzung mit den roten Arbeitnehmervertretern geführt, in den damaligen Gebietskrankenkassen das Sagen hatten und durch die Fusion zur Gesundheitskasse ab 2020 Macht einbüßten.

Hintergrund für die Suspendierung ist der Umgang des bisherigen Büroleiters bei der Veranlagung von Rücklagen der Sozialversicherung. Brunninger wird von den Sozialversicherungschefs vorgeworfen, sich bei der Veranlagung von Mitteln aus der Rücklage nicht an die Geschäftsordnung und damit nicht an die Vorgaben gehalten zu haben. Die Suspendierung wurde in der Trägerkonferenz, in der die roten Vertreter in der Minderheit sind, einstimmig beschlossen. Zuvor waren mehrere Rechtsgutachten eingeholt worden.

"Wiederholte Diffferenzen" mit der Selbstverwaltung

Brunningers Rechtsvertreterin Katharina Körber-Risak stellte die Sachlage einige Stunden nach dem Erscheinen des Berichts in der "Wiener Zeitung" über die Suspendierung anders dar. Brunniger trete demnach "nach wiederholten Differenzen mit der Selbstverwaltung" als Büroleiter des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger zurück und beende sein Dienstverhältnis mit sofortiger Wirkung, teilte sie in einer schriftlichen Stellungnahme mit.

Mit der Suspendierung hat die Trägerkonferenz jedenfalls rasch ein klares Signal setzen wollen. Beim Büroleiter handelt es sich immerhin um den höchsten Angestellten im Dachverband, der nach der Fusion dem früheren Hauptverband der Sozialversicherungsträger gefolgt ist. Schon die Bestellung Brunningers hatte intern für Diskussionsstoff gesorgt.

Brunninger betonte über seine Anwältin, dass er ausgebildeter Biochemiker und Gesundheitsökonom sei. Seine Stoßrichtung in der Verteidigung: seine "grundlose Beurlaubung" sei der vorläufige Höhepunkt des Vorgehens maßgeblicher Vertreter in der Selbstverwaltung gegen ihn. Es seien aber zu keinem Zeitpunkt Verluste realisiert worden "oder gar in irgendeiner Form mit Geldern der Versicherten spekuliert worden", hieß es in der Stellungnahme.

In der Sozialversicherung hält man das für den Versuch, den letztlich ausschlaggebenden Verstoß gegen Vorgaben durch die Geschäftsordnung bei der Veranlagung von Rücklagen weg zu argumentieren. Schon die Bestellung Brunningers, der als FPÖ-nahe gilt, war heftig umstritten und ist damals anders als die jetzigen Suspendierung nicht einstimmig erfolgt.

Neos: "Einer muss über die Klinge springen"

Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker stellte einen Zusammenhang her, dass laut Rechnungshofrohbericht die "Patientenmilliarde" nicht lukriert werden könne: "Jetzt muss einer über die Klinge springen." Brunninger sei so gesehen "ein Bauernopfer". Er bedauerte die Vorgänge, weil mit Brunninger endlich ein Gesundheitsökonom in einer Spitzenfunktion der Sozialversicherung vertreten gewesen sei. Damit werde das Signal ausgesendet: "Komm nicht in die Sozialversicherung." Das "schadet dem System insgesamt", befürchtet der Neos-Parlamentarier.

Update, 14. Juli, 12:45: Ministerium prüft strafrechtliche Folgen.