Seit Pandemiebeginn werden freiwillige Einsatzkräfte vermehrt Opfer von Aggression.
Österreich sei ein Land der Freiwilligen. So lautete die Begründung des Nationalrats für die Wahl des Ehrenamts als Themenschwerpunkt für die Jahre 2021 und 2022. Eine Studie, gemeinsam mit der FH Wien erstellt, gibt der Behauptung recht: Von den gut 1.900 Befragten gaben über 70 Prozent an, sich irgendwann in ihrem Leben unentgeltlich für eine Sache engagiert zu haben oder das momentan zu tun. Umfragen der vergangenen Jahre haben ergeben, dass aktuell jeweils zwischen einem Drittel und der Hälfte der Menschen in Österreich ehrenamtlich tätig war.
Ein nicht kleiner Teil davon - laut der Umfrage waren es 17 Prozent aller Freiwilligen - arbeitet ehrenamtlich bei Hilfsorganisationen mit und leistet damit einen Beitrag, dass diese überhaupt funktionieren können. Denn abseits von Berufsfeuerwehren in einigen größeren Städten wird das gesamte österreichische Feuerwehrwesen von Freiwilligen getragen, und das Rote Kreuz wird von rund 70.000 Ehrenamtlichen unterstützt.
Pandemie verschlechterte Arbeitsbedingungen
Doch nicht immer bekommen die Freiwilligen für ihr Engagement Dankbarkeit zu spüren, kritisierte diese Woche der SPÖ-Abgeordnete Mario Lindner in einer parlamentarischen Anfrage gerichtet an Bundeskanzler Karl Nehammer. Ein "entschiedenes politisches Vorgehen zum Schutz unserer Freiwilligen" sei nötig, schrieb er und verwies dabei auf eine aktuelle Befragung zu den Arbeitsbedingungen ehrenamtlicher Einsatzkräfte durch die Zivilschutzagenda, einen 2019 gegründeten Zusammenschluss von Rotem Kreuz, Bundesfeuerwehrverband und Kompetenzzentrum Sicheres Österreich.
55 Prozent der rund 1.500 befragten Freiwilligen gaben an, dass sich ihre Arbeitsbedingungen seit Pandemiebeginn verschlechtert hatten, ein Viertel hatte während der ehrenamtlichen Arbeit persönliche - vor allem verbale - Angriffe erlebt.
Besonders die freiwilligen Helfer beim Roten Kreuz müssen seit der Pandemie mit schwierigeren Arbeitsbedingungen zurechtkommen. Zwar habe sich die Anzahl der Rettungseinsätze während der Pandemiejahre nicht erhöht, wie Gerald Schöpfer, Präsident des Roten Kreuzes, auf Anfrage der "Wiener Zeitung" sagt. Doch sei der Zeitaufwand der einzelnen Einsätze gestiegen, etwa durch zusätzliche Hygienemaßnahmen oder das Anlegen von Schutzkleidung.
Gleichzeitig waren die Freiwilligen beim Roten Kreuz laut der Befragung besonders häufig mit Angriffen konfrontiert: Knapp ein Drittel gab an, selbst zum Ziel einer verbalen oder körperlichen Attacke geworden zu sein. Unter den freiwilligen Feuerwehrleuten war es dagegen "nur" ein Zehntel.
Wut auf Maßnahmen entlädt sich auch auf Freiwillige
"Die vergangenen zweieinhalb Jahre Corona-Krise haben leider nicht nur das Beste in uns Menschen hervorgebracht", sagt Schöpfer. Vor allem im vergangenen Herbst habe das Rote Kreuz "eine noch nie zuvor dagewesene Wut und Empörung in Teilen der österreichischen Bevölkerung" erlebt. Die Wut mancher Menschen auf die Corona-Maßnahmen oder die Impfung habe sich zum Teil auf die ehrenamtlichen Helfer entladen, die beschimpft, beleidigt und teilweise körperlich angegriffen wurden.
"Wir haben daraufhin die Empfehlung ausgesprochen, nicht in Uniform mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Dienst zu fahren, sondern sich erst vor Ort umzuziehen", erinnert sich Schöpfer.
Auch in den Test- und Impfstraßen, in denen das Rote Kreuz häufig aktiv war, sei vor allem am Ende des vergangenen Jahres ein erhöhtes Maß an Aggression spürbar gewesen. "Viele Bürgerinnen und Bürger haben ihre Wut an jenen Menschen ausgelassen, die überhaupt nichts für die Situation können", schreibt der Rotes-Kreuz-Präsident.
Obwohl die Corona-Maßnahmen mittlerweile stärker in den Hintergrund gerückt sind, habe sich die Situation "nicht wirklich entspannt", heißt es vom Roten Kreuz. Noch immer werden Vorfälle von Angriffen auf die Helfer gemeldet, das Aggressionspotenzial sei jedenfalls nach wie vor höher als vor der Pandemie.
Österreicher wollen engagiert bleiben
"Einen größeren Schaden kann man dem freiwilligen Engagement nicht zufügen", meint Schöpfer. Dennoch lassen sich Helfer mehrheitlich nicht von diesem abbringen: Zwei Drittel wollen der Befragung zufolge trotz der zusätzlichen Belastung ihre Tätigkeit im gleichen Ausmaß beibehalten, ein Fünftel sogar intensivieren.
Dass Ehrenamtliche für Österreich unverzichtbar sind, betonten beim Festakt zum Abschluss des Themenschwerpunkts Anfang Juli Vertreter aller Parlamentsparteien. Dieser Wertschätzung müssen die politischen Entscheidungsträger allerdings auch konkrete Maßnahmen folgen lassen, fordert Schöpfer.