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"Mir fehlt die Diskussion über die Reichen"

Von Martina Madner

Politik
"Die Bundesregierung kann für eine Dauer von sechs Monaten einen angemessenen Preis bei Sprit und Heizölfestsetzen - sofern der politische Wille dazu da ist und den wollen wir endlich sehen", sagt AK-Präsidentin Renate Anderl.
© Moritz Ziegler

Übergewinne abschöpfen, Vermögenssteuern und ein Preisantrag, um die Ursachen hoher Preise zu ergründen: AK-Präsidentin Renate Anderl will, dass die Gewinner der Krisen für den Teuerungsausgleich bezahlen.


Der Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl steigt das sprichwörtliche Geimpfte auf. Nicht wegen Pandemie-Maßnahmen, sondern weil die Regierung bei der Teuerung nicht eingreift. Sie fordert von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher nicht nur die Erhöhung des Arbeitslosengeldes, sondern erstmals seit 2008 einen Preisantrag - damit er überprüft, ob die Sprit- und Heizölpreiserhöhungen gerechtfertigt sind.

"Wiener Zeitung": Die Stromgroßhandelspreise 2023 werden um 600 Prozent über denen des Vorjahres liegen, jene bei Gas werden sogar um 750 Prozent höher sein. Bei der Energie Steiermark, der EVN in Niederösterreich und Wien Energie steigen die Preise bereits, in Wien wird Strom den Durchschnittshaushalt aber "nur" 24 Prozent mehr, Gas 50 Prozent mehr und Fernwärme um 92 Prozent mehr kosten. Sie forderten Unternehmen vor kurzem trotzdem dazu auf, "von übereilten Preiserhöhungen Abstand zu nehmen". Warum?

"Es sind wirklich sehr viele Menschen, die am Limit sind", stellt AK-Präsidentin Renate Anderl fest.
© Moritz Ziegler

Renate Anderl: Wir haben diese Warnung deshalb ausgesprochen, weil wir davon ausgehen müssen, dass die Preise für private Haushalte auch in diesen Bundesländern nochmals steigen werden im nächsten Jahr. Und jetzt schon sagen ganz viele: ‚Ich kann das nicht mehr bezahlen.’ Es steigen ja nicht nur die Energiepreise, sondern auch die Lebensmittelpreise. Es gibt eigentlich kaum einen Preis, der nicht steigt. Wir erhalten extrem viele Anrufe in der Arbeiterkammer von Leuten, die nicht mehr weiter wissen, weil sie ihr Stromanbieter kündigt und einen neuen, teureren Vertrag anbietet zum Beispiel. Es sind wirklich sehr viele Menschen, die am Limit sind.

Wann rechnen Sie mit der Erhöhung und was kann man dagegen tun?

Im Frühjahr werden wohl weitere Erhöhungen kommen. Wir fordern deshalb einen Preisdeckel, begrüßen natürlich, wenn die Bundesregierung da beim Strom intensiv darüber nachdenkt. Aber ganz ehrlich, Gas und Fernwärme müssen wir da auch mitnehmen. Dass es geht, haben uns andere Länder schon gezeigt. Wir müssen einen Deckel einziehen und sagen: ‚Bis daher und Stopp!‘ Bei den Mieten braucht es auch einen Stopp, es war der falsche Weg, dass der Bund die Anhebung der Miet-Richtwerte nicht ausgesetzt hat. Es ist schon die Mittelschicht, die sich überlegen muss, wo sie für die nächste Miete noch einsparen kann. Da ist Feuer am Dach.

Will die Arbeiterkammer da einen Deckel auf jede einzelne Kilowattstunde oder eine Preisgarantie auf den Grundbedarf wie im Wifo-Vorschlag?

So wie das AK und ÖGB vorgeschlagen haben: auf den Grundbedarf des Durchschnittshaushaltes, das was fürs Leben notwendig ist. Darüber hinaus wird es dann teurer, weil die mit mehr Geld schon auch darüber nachdenken können, wo man ein wenig einsparen kann. Und bei Menschen mit Sozialhilfe, in Pension oder die arbeitslos sind, muss man schauen, ob sie noch einen Bonus dazu brauchen, also sozial treffsichere Unterstützung. Im Detail rechnen auch wir das noch aus, aber man kann nicht einfach im Winter mit dem Heizen aufhören. Wir haben eine Situation, die noch nie da gewesen ist. Die Regierung muss deshalb jetzt die richtigen Weichen stellen und darf nicht dabei zuschauen, wie der Zug entgleist.

Sie haben - wie die SPÖ und FPÖ im Übrigen auch - ein Abschöpfen von Übergewinnen der Energiekonzerne gefordert. Wie soll das mit bestehendem Aktienrecht überhaupt gehen?

Jetzt wird von Verbraucherinnen und Verbrauchern hin zu Energieunternehmen umverteilt. Da hat es noch nie gegeben, da kann man einfach nicht länger zuschauen. Man muss sich die Frage stellen, wer finanziert einen Preisstopp. Es kann nicht sein, dass das der Staat ist, weil dann sind es wieder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Steuern. Da geht es ja um Milliarden Euro mehr, mit denen niemand, auch nicht die Aktionäre, gerechnet haben. Also sollten wir uns die jetzt holen und denen zurückgeben, die sie über ihre Rechnungen bezahlt haben. Es kann nicht sein, dass es auf der einen Seite viele Profiteure gibt und auf der anderen ganz viele, die immer ärmer werden in diesem Land. Auch Vermögenssteuern sollten wir jetzt diskutieren. Eine neue, vorübergehende Steuer kann ich immer einführen, man muss nur den politischen Willen dazu haben.

Sie wollen die Menschen jetzt mit neuen zusätzlichen Steuern belasten? Da wird nicht nur die ÖVP-Politik sagen: ‚Jetzt ist nicht die Zeit für neue Abgaben.‘

Es geht schließlich darum, in diesem Land Armut zu verhindern. Deshalb stellt sich auch jetzt die Frage, wo ist das Geld und wer holt es sich. Da ist es dringend notwendig, dass die Regierung in die Gänge kommt. Es wird immer über die Ärmsten diskutiert, mir fehlt die Diskussion über die Reichsten in der Gesellschaft. Wer mehr hat, sollte aber auch mehr zu einem gut funktionierenden Sozialstaat beitragen. Wenn wir von einer Vermögenssteuer sprechen, sprechen wir von einer Millionärssteuer. Kein Vermögen, das unter einer Million ist, also auch nicht das vererbte kleine Haus von den Großeltern, ist davon betroffen. Es geht auch nicht um das 5000-Euro-Sparbuch. Mich ärgert auch der Sager, dafür wurde schon einmal Steuern bezahlt. Die Erben haben keine Steuern bezahlt und auf jede Wurstsemmel muss ich auch nochmals Steuern zahlen, obwohl vorher schon welche geflossen sind. Auch eine befristete Abgabe auf Vermögen alleine auf drei Jahre wäre möglich. 2021, inmitten der Pandemie haben die zehn Reichsten ihr Vermögen um 30 Prozent vergrößert - deshalb sollten wir jetzt darüber diskutieren.

In Wien wirft die FPÖ den Sozialdemokraten vor, die Wiener in Armut zu treiben. Und von der ÖVP Wien dürfen sich Ihre Parteifreunde den Vorwurf "sozialer Kälte" anhören. Warum sagen Sie das nicht der SPÖ Wien?

Vieles muss nun mal auf Bundesebene geregelt werden, wir brauchen nicht nochmals einen Fleckerlteppich so wie in der Pandemie-Politik, sondern eine bundesweite Regelung, wo wir uns alle Sozialpartner und Landeshauptleute an einen Tisch setzen und sehr schnell etwas auf den Weg bringen - keine neuen Arbeitsgruppen. Wir werden einen Preisantrag stellen und schauen, ob die Regierung dabei mitgeht.

"Es kann nicht sein, dass manche im Tourismus das Zwischenparken zum Geschäftsmodell machen. Dort müssen wir ansetzen, diese Arbeitgeber zur Kasse bitten", richtet AK-Präsidentin Renate Anderl Arbeitsminister Martin Kocher aus.
© Moritz Ziegler

Die "Wiener Zeitung" hat bereits darüber berichtet, dass die Arbeiterkammer das überlegt, was bedeutet das?

Wir werden erstmals seit 2008, wo es einen Preisantrag wegen der Lebensmittelpreise gab, wieder einen Antrag an Wirtschaftsminister Martin Kocher stellen. Damit kann der Minister in die Bücher von den Unternehmen schauen und ergründen, ob die Preise von Treibstoffen und Heizöl gerechtfertigt so stark in die Höhe geschossen sind oder nicht.

Und was ist, wenn man das weiß?

Dann kann die Bundesregierung Maßnahmen dagegen setzen und für eine Dauer von sechs Monaten einen angemessenen Preis festsetzen - sofern der politische Wille dazu da ist, und den wollen wir endlich sehen.

Warum machen Sie das nicht auch bei Strom und Gas?

Weil die Preiserhöhungen erklärbar sind und das Preisgesetz Strom und Gas ausnimmt.

Wobei die Regierung vorrechnet, dass eine vierköpfige Familie, wo er 1.500 Euro, sie 2.500 Euro monatlich verdient, heuer um 4.329 Euro entlastet wird. Ist das nicht genug?

Erstens sind dabei viele Einmalzahlungen dabei, wo die Leute im Jänner dann wieder nicht weiter wissen. Und es profitieren ganz viele mit, die genug Geld haben. Also ja, die Regierung hat viel Geld in die Hand genommen, aber nachhaltig ist nicht viel. Und in Wirklichkeit bezahlen wir uns vieles über die höheren Einnahmen des Finanzministers aus der Mehrwertsteuer selbst.

Sozialleistungen werden künftig jährlich inflationsangepasst, das haben viele Regierungen davor nicht geschafft. Sie wollen, dass da auch Arbeitslosengeld einbezogen wird. Warum warten Sie nicht auf das Arbeitsmarktpaket der Regierung?

Ganz ehrlich, weil wir lange genug darauf warten. Wir haben unsere Vorschläge im Dezember 2021 vorgelegt, im Frühjahr gab es eine spannende Enquete, jetzt haben wir August und es hat sich noch immer nichts getan. Die Regierung hat also ein Dreivierteljahr verschlafen. Die Arbeitslosen haben keine Zeit, darauf zu warten, bis ÖVP und Grüne aufwachen. Schon in der Pandemie haben viele den Job verloren, da gab es auch Ehepaare, die gerade frisch Haus gebaut hatten, die plötzlich arbeitslos waren. Die brauchen dringend 70 Prozent Nettoersatzrate, das haben wir übrigens schon 2020 gefordert - und jetzt haben wir August 2022.

Ist das nicht eine indirekte Tourismus-, Bau- und Leiharbeitförderung, die damit ihre Kosten in Saisonpausen ans AMS auslagern?

Das würde ich nicht sagen: Es wird immer nur diskutiert, ob Arbeitslose weniger Geld erhalten sollen, aber nie über Arbeitgeber, die Beschäftigte beim AMS zwischenparken. Mein Zugang ist ein anderer: Es kann nicht sein, dass manche im Tourismus das Zwischenparken zum Geschäftsmodell machen. Dort müssen wir ansetzen, diese Arbeitgeber zur Kasse bitten. Zum Beispiel mit einer Auflösungsabgabe, die mit 2020 abgeschafft wurde, die hat der Arbeitslosenversicherung 2018 immerhin knappe 80 Millionen Euro zusätzlich gebracht. Und die, die gute Jobs anbieten, haben auch weniger Probleme gute Fachkräfte zu finden.

Viele fordern auch schon Neuwahlen, Sie auch?

Mir ist es lieber, die Regierung arbeitet und macht nicht Wahlkampf, sondern setzt das um, was wir jetzt in der Krise brauchen. Wenn sie das nicht tut, werden sie die Abrechnung bei den Wahlen in zwei Jahren sehen.

Zur Person

Renate Anderl (59) ist seit 2018 Präsidentin der Bundesarbeitskammer. Davor war sie Vizepräsidentin des ÖGB und von 2015 bis 2018 war sie für die SPÖ im Bundesrat.