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Das neue Erwachsenenschutzgesetz auf dem Prüfstand

Von Phillip Strobl

Politik

Es gibt deutlich weniger gerichtliche Erwachsenenvertretungen als vor vier Jahren. Was sich verbessert hat und was nicht.


Vier Jahre ist es her, dass in Österreich aus Sachwaltern Erwachsenenschutzvertreter wurden. Dem zweiten Erwachsenenschutzgesetz waren lange Verhandlungen vorausgegangen - auch unter Beteiligung Betroffener. Ausgangspunkt damals war ein UN-Prüfbericht über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Österreich, in dem man zum Schluss kam, dass das Sachwalterrecht, das zu dem Zeitpunkt mehr als 30 Jahre alt war, Menschen mit Behinderung diskriminieren würde.

Speziell die Tatsache wurde kritisiert, dass Sachwaltern umfangreiche Wirkungsbereiche eingeräumt wurden und Betroffene den Verlust ihrer Geschäftsfähigkeit und Selbständigkeit hinnehmen mussten. Ziel des Gesetzes war, die Selbständigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Vier abgestufte Varianten der Vertretung sollen das gewährleisten. Bei der Vorsorgevollmacht bleibt die Autonomie weitgehend erhalten, bei der gerichtlichen Erwachsenenvertretung wird sie am meisten eingeschränkt. Dazwischen liegen die gewählte und die gesetzliche Erwachsenenvertretung.

Verpflichtende Prüfung

Seit das Gesetz 2018 beschlossen worden ist, ist zum Beispiel die Zahl der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen von rund 52.700 auf 36.500 gesunken. Ein Grund dafür sind nun verpflichtende genaue Prüfungen im Vorfeld.

Der Erwachsenenschutzverein Vertretungsnetz etwa führt seit 2007 diese Clearings vor einer Bestellung einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung durch, falls er vom Gericht beauftragt worden ist. Dabei wird ermittelt, ob es Alternativen gibt. "Unsere Abklärungen bieten dem Gericht eine gute Grundlage, um eine passende Entscheidung zu treffen", sagt Martin Marlovits vom Vertretungsnetz zur "Wiener Zeitung".

Im Jahr 2021 führten fast die Hälfte der rund 14.000 durchgeführten Clearings zu einer Einstellung des Verfahrens. Es kam gar nicht zu einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung.

Ein Mangel bleibt laut Vertretungsnetz aber bestehen: fehlende Barrierefreiheit und Inklusion. "Mit der nötigen Barrierefreiheit würden mehr Menschen Behördenwege und Ähnliches allein schaffen", sagt Marlovits.

Mängel bei Selbstbestimmung

Zudem brauche es einen massiven Ausbau der Unterstützungsangebote, der sozialen Arbeit, der persönlichen Assistenz, gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen. "Jeder Mensch sollte ohne Vertretung auskommen können." Marlovits weist auch auf Mängel bei der Umsetzung der gesetzlich verankerten Selbstbestimmung hin. Die Vertretung müsse die Wünsche der Betroffenen beachten, in der Praxis würden aber oft nach wie vor über den Kopf der Betroffenen hinweg Entscheidungen getroffen.

Bis 1. Juli 2023, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, müssen alle bestehenden Vertretungen aus dem früheren Sachwalterrecht von den Gerichten überprüft werden. Laut Justizministerium muss dafür ein Erneuerungsverfahren eingeleitet werden, in dem überprüft wird, ob die Fortführung der Erwachsenenvertretung weiter notwendig ist. "Wird kein Erneuerungsverfahren eingeleitet, endet eine frühere Sachwalterschaft jedenfalls mit 1. Januar 2024", so das Ministerium. Anfang September waren noch rund 9.000 Altfälle offen.