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"Österreich hat eigentlich keine Sicherheitspolitik"

Von Daniel Bischof

Politik

Durch den Ukraine-Krieg steht das Bundesheer im öffentlichen Fokus. In Österreichs Sicherheitspolitik herrscht hingegen Stillstand.


Der Nationalfeiertag war in den vergangenen Jahren stets einer der wenigen Tage, an denen das Bundesheer im Rampenlicht stand. Ansonsten spielte das Militär, abgesehen von Katastrophen- und Assistenzeinsätzen, im politischen und medialen Diskurs eine Nebenrolle. Wenn eine Diskussion losbrach, drehte sie sich meist darum, wie unterfinanziert das Heer sei.

Die heurige Leistungsschau des Bundesheeres am Mittwoch am Wiener Heldenplatz steht unter anderen Vorzeichen. Der Ukraine-Krieg hat das österreichische Militär stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Plötzlich war möglich, was jahrelang undenkbar war: Das Militär erhält eine Finanzspritze - und das noch dazu unter einer Koalition mit grüner Regierungsbeteiligung. 2023 sind es 680 Millionen Euro mehr als heuer, bis 2027 soll der Etat noch einmal kräftig ansteigen.

Auch medial war das Militär deutlich präsenter als in den Vorjahren. Bundesheer-Experten waren gerade zu Kriegsbeginn Dauergäste in den Fernsehstudios und Radiosendungen. Oberst Markus Reisner wurde mit seinen millionenfach geschauten Erklärvideos gar zum Youtube-Star.

Weit weniger Bewegung gab es seit Kriegsbeginn bei Österreichs Sicherheitspolitik. Während andere EU-Staaten ausführlich ihre Rolle in der europäischen Sicherheitsarchitektur und ihre sicherheitspolitische Ausrichtung analysierten, blieb eine solche Analyse in Österreich aus. "Österreich hat eigentlich keine Sicherheitspolitik", sagt der ehemalige Bundesheer-Stratege Gustav Gustenau zur "Wiener Zeitung".

"2013 war die Lage noch komplett anders"

Sinnbild für den Stillstand ist die "Österreichische Sicherheitsstrategie". Sie wurde im Nationalrat 2013 von SPÖ, ÖVP, FPÖ und Team Stronach angenommen und ist bis heute "das zentrale nationale sicherheitspolitische Grundlagendokument", wie es auf der Homepage des Innenministeriums heißt. Gustenau hat an der Erstellung der Strategie mitgearbeitet. Sie sei nun nicht nur veraltet, sagt der Brigadier im Ruhestand: "Dass das noch gültig ist, geht nicht." Auch sei die Sicherheitsstrategie in wesentlichen Teilen nicht umgesetzt worden.

"2013 war die Lage noch komplett anders", sagt Gustenau. Damals sei nicht entschieden gewesen, wohin sich Russland entwickle. Es habe in Österreich und Deutschland noch die Annahme und Hoffnung gegeben, dass Russland ein Partner des Westens werden könne: "Das Establishment war ganz auf die Kooperation mit Russland eingestellt", so Gustenau. Demnach wird Russland in der Strategie ein "wesentlicher Partner" Österreichs genannt. "Die Folgen des früheren Ost-West-Konflikts bestimmen nicht mehr wie bisher die sicherheitspolitische Agenda", heißt es.

Staub hat die Strategie auch anderswo angesetzt. Die Passage, wonach die "europäischen Staaten erstmals in der Geschichte die Chance auf eine selbstbestimmte, dauerhafte gemeinsame Zukunft in einem Raum des Friedens, der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" haben, wirkt angesichts des Ukraine-Kriegs antiquiert. Und auch die Konfrontation zwischen der EU und China wird in der Strategie nicht abgebildet, tatsächlich wird China in dem Dokument mit keinem Wort erwähnt.

Als Konzept für die österreichische Sicherheitspolitik wird in der Strategie die "umfassende Sicherheitsvorsorge" festgeschrieben. Sie zielt darauf ab, den Staat in seiner Gesamtheit auf Krisen und Szenarien vorzubereiten und resilienter zu machen. Die Sicherheitspolitik soll nicht in ein Klein-Klein aufgeteilt werden, wo jedes Ministerium sein eigenes Süppchen kocht.

"Das ist nur Stückwerk"

"Es braucht eine gesamtstaatliche Klammer und Steuerung dieser Prozesse", sagt Gustenau. Das sei derzeit nicht der Fall. Es gebe nur Teilstrategien einzelner Ministerien, etwa des Bundesheers im Falle eines Blackouts oder eines Cyber-Angriffes: "Das ist nur Stückwerk." Instrumente, Analysen und Übungen auf der gesamtstaatlichen Ebene würden hingegen fehlen.

Bis heute gebe es kein gesamtstaatliches Risiko- und Lagebild für Österreich, bemängelt Gustenau. Das "Risikobild 2030" des Bundesheeres sei für die militärstrategischen Planungen des Militärs gedacht: "Man müsste so etwas für alle Ministerien machen." Ebenso mangle es an einem gesamtstaatlichen Lagezentrum, in dem sämtliche Risiken und Szenerien für Österreich laufend analysiert werden, sagt der Ex-Bundesheer-Stratege.

Der Mangel an Instrumenten, Analysen und Krisenvorbereitung führe dazu, dass unklar sei, welches Ressort wofür zuständig sei, etwa bei der Cyber-Abwehr: "Denn auch dafür bräuchte man einen gesamtstaatlichen Konsens." Aber auch fundierte politische Debatten über Sicherheits- und Verteidigungspolitik würden so verunmöglicht werden.

So müsste das Streitkräfteprofil, das festlegt, wohin sich das Militär entwickeln soll, "politisch aus dem Parlament heraus beschlossen werden", sagt Gustenau. Das Profil wurde aber von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im März 2021 nach Vorlage durch den Generalstab ausgewählt: "Diese Entscheidung sollte eigentlich nicht die Verteidigungsministerin treffen." Dem Generalstab im Bundesheer könne man die Versäumnisse nicht anlasten: "Der leistet gute Arbeit." Doch müsse die Politik in die Gänge kommen, mahnt Gustenau. "Es müssen gesamtstaatlich analytische und planerische Fähigkeiten geschaffen werden, damit man kurzfristig reagieren kann." Denn wer keine fundierte Sicherheitspolitik beschließen könne, sei nicht handlungsfähig.

Analyse notwendig

Weiters dürfe die Politik nicht versuchen, Debatten zu verhindern - etwa zur Neutralität. Der Ukraine-Krieg habe eine ganz klare verteidigungspolitische Verlagerung hin zur Nato und weg von der EU bewirkt, sagt Gustenau. "Daher müssen auch Fragen zum Verhältnis Österreichs zur Nato zulässig sein." Es müsse gefragt werden: "Was ist der Preis eines Nato-Beitritts, was kostet, was nützt er? Man kann dann ja der Meinung sein, dass es keinen Beitritt geben soll. Aber das muss analytisch aufbereitet werden."