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Das neutrale Tummelfeld für Spione

Von Daniel Bischof

Politik

Historiker Thomas Riegler schildert in seinem neuen Buch die ambivalente Einstellung Österreichs zu Nachrichtendiensten.


Für Nachrichtendienstexperten ist Wien ein gefundenes Fressen. Nicht nur hat die Stadt eine reiche Geschichte als Hotspot für Spionage während des Kalten Krieges. Die Gegenwart bietet ebenfalls Material. Einerseits die Affären der vergangenen Jahre wie die Umtriebe des flüchtigen Österreichers und Wirecard-Vorstandes Jan Marsalek. Andererseits wird Wien durch den Ukraine-Krieg und wieder auflodernden Ost-West-Konflikt im Fokus der Spione bleiben.

Der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Spionage in Österreich widmet sich der Historiker Thomas Riegler in seinem eben erschienenen Buch "Österreichs geheime Dienste. Eine neue Geschichte". Es handelt sich um eine rundherum aktualisierte Neufassung seines ersten Nachrichtendienst-Buches aus 2019. Riegler will darin in die "Abgründe der ,Insel der Seligen‘" eintauchen, wie er schreibt.

Riegler erzählt seine Geschichte vor allem anhand der Entwicklung der österreichischen Nachrichtendienste. Auffallend ist, von welcher Kontinuität diese Entwicklung geprägt ist. Bereits in der Habsburger-Monarchie galt der Staatsschutz als polizeiliche Domäne. Der nachrichtendienstlich-analytische Arm war im Staatsschutz dann auch in der Zweiten Republik schwach ausgeprägt, was sich bereits in der Bezeichnung der 1945 neuaufgestellten "Staatspolizei" widerspiegelte.

Das 2002 gegründete Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) konnte sich ebenfalls nie zu einem echten Inlands-Nachrichtendienst entwickeln. Die polizeiliche Gefahrenerforschung mit seinem Offizialprinzip, nach dem die Behörde beim Verdacht einer Straftat von Amts wegen einschreiten muss, blieb ein Eckpfeiler. Ob die im Vorjahr gegründete Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst eine Trendwende einleitet, bleibt abzuwarten.

Historische Skepsis

Die Skepsis gegenüber einem Inlands-Nachrichtendienst in Österreich ist historisch bedingt. "Die österreichische Debatte zeichnet weiters aus, dass aufgrund der Erfahrung des Gestapo-Terrors ein generelles Misstrauen gegenüber Geheim- und Nachrichtendiensten vorherrscht", so Riegler. In den angloamerikanischen Ländern spielten die Dienste im Zweiten Weltkrieg hingegen eine Schlüsselrolle "und sind seitdem überwiegend positiv besetzt".

Überhaupt war das Verhältnis zwischen der Politik und der Spionage ambivalent. Einerseits herrschte Skepsis, andererseits wurden die Dienste politisiert, Posten parteipolitisch besetzt. Darunter im militärischen Auslands-Nachrichtendienst, dem Heeresnachrichtenamt und dem Abwehramt, das den Eigenschutz des Bundesheeres gegen Spione und Extremisten wahrnimmt. Lange wurde das Nachrichtenamt der ÖVP zugeordnet, das Abwehramt der SPÖ.

Zwar wurde die Neutralität zum Dogma der Sicherheitspolitik, nachrichtendienstlich aber wurden Bande zum Westen geknüpft. Riegler schildert, wie die USA beim Aufbau der Abhörstation Königswarte des Heeresnachrichtenamts in Hainburg 1959 und 1960 finanziell behilflich waren. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sollen die USA noch heute für sich abgreifen. Solche Gegenleistungen "stellen für das an sich neutrale Österreich mitunter eine Herausforderung dar".

Das fiel dem Osten auf. Etwa der DDR. Riegler zitiert aus einem Papier aus den Archiven der DDR-Staatssicherheit aus 1988. Das Heeresnachrichtenamt sei ein prowestlich geprägter "Geheimdienst, der seinen ausländischen Partnern vorbehaltlos Informationen und andere Spionagematerialien zur Verfügung stellt und im Prinzip jede geforderte Unterstützung leistet", heißt es darin.

Andererseits wurden auch der DDR und Russland weite Handlungsspielräume in Österreich gelassen, wie die zwölf Fallbeispiele zeigen, die Riegler in seinem Buch ausführt. Darunter eines zu den DDR-Militärspionen in Österreich. Russland wiederum errichtete in Wien "eine der größten Legalresidenturen" des Landes weltweit. Von dort sollen zahlreiche Spionageoperationen in Österreich, aber auch in anderen Ländern geplant werden.

Es sei wahrscheinlich, dass die "russische Residentur in Österreich in das geheimdienstliche Vorgehen im Ukraine-Krieg stark involviert" sei, schreibt Riegler. Das reiche von der Beobachtung ukrainischer Flüchtlinge, der Auskundschaftung der Wege für die westlichen Waffenlieferungen in die Ukraine bis zum Technologieschmuggel für die russische Rüstungsindustrie. Für Riegler wird "immer deutlicher: Das neutrale Österreich kann sich von der spannungsgeladenen Weltlage nicht mehr länger abkoppeln."

Anmerkung der Redaktion, Korrektur im Text: Lange wurde das Heeresnachrichtenamt der ÖVP zugeordnet, das Abwehramt der SPÖ (und nicht umgekehrt, wie ursprünglich geschrieben).

Thomas Riegler, "Österreichs geheime Dienste. Eine neue Geschichte", 380 Seiten, Klever Verlag, 26 Euro