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Rechtsstreit über Postfächer

Von Patrick Krammer

Politik

Weil Beschuldigte ihre E-Mails gelöscht haben, braucht die WKStA E-Mails aus dem Kanzleramt. Dieses stellt sich quer.


Seit Monaten versucht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft an E-Mails aus dem Bundeskanzleramt zu kommen, die sie für ihre Ermittlungen gegen ehemals hochrangige Mitarbeiter mit ÖVP-Nähe braucht. Und seit Monaten stellt sich das Kanzleramt von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) quer. Dafür hat es sogar die Hilfe von der Finanzprokuratur in Anspruch genommen. Die Staatsanwaltschaft stellt die Patt-Situation mit dem Bundeskanzleramt in mehreren Berichten an die Oberstaatsanwaltschaft Wien dar, die der "Wiener Zeitung" vorliegen.

Es geht um interne E-Mails, die Sebastian Kurz’ früherer Pressesprecher Johannes Frischmann und sein Medienbeauftragter Gerald Fleischmann mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geschrieben haben. In den Postfächern der beiden fand die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft bei der Durchsuchung am 6. Oktober 2021 nur noch E-Mails vom Vortag, der Rest war fast komplett gelöscht, das Beweismaterial weg. Einzig einige E-Mails zu Flugbuchungen waren noch zu finden. Die Oberstaatsanwälte mussten sich das Material zur Auswertung über den Umweg holen. Das heißt, sie müssen die fraglichen E-Mails aus den Postfächern jener Mitarbeiter holen, die potenziell wichtige E-Mails bekommen oder geschrieben haben.

Hintergrundgespräch nach Berichterstattung

Wer diese Mitarbeiter sind, weiß die WKStA nicht. Sie hat versucht, über die öffentlich einsehbaren Geschäftseinteilungen zu erheben, wer mit den Beschuldigten in Kontakt stehen könnte, eine komplette Einteilung bekam sie vom Kanzleramt erst, als der Sicherstellungsantrag schon geschrieben und übergeben war. Der Staatsanwaltschaft bleibt also nur die Postenfunktion übrig und will deshalb alle E-Mails von Mitarbeitern, die mit Inseraten zu tun hatten. Die WKStA hat sich am 12. August das Okay der Fachaufsicht geholt, einen Sicherstellungsantrag zu stellen, der am 16. August übergeben wurde. Laut Unterlagen zeigte sich das Bundeskanzleramt zuerst "einvernehmlich" und "unproblematisch", verweigerte bei einer mehrfach verschobenen Besprechung mit dem damaligen Generalsekretär Bernd Brünner und Wolfgang Peschorn, dem Chef der Finanzprokuratur, aber plötzlich die Unterstützung und überreichte eine erklärende Stellungnahme.

Am selben Tag lud das Kanzleramt ausgewählte Journalistinnen und Journalisten zu einem Hintergrundgespräch (die "Wiener Zeitung" war nicht geladen), in dem Brünner zusammen mit Wolfgang Peschorn "die Anordnung und deren Umsetzung in einer Verschlusssache" erörtert haben sollen. In ihrem Bericht hebt die WKStA dieses Hintergrundgespräch deshalb so hervor, weil Peschorn die Staatsanwaltschaft am Vormittag noch um die Unterlassung von Öffentlichkeitsarbeit gebeten haben soll. Diese Bitte kam allerdings nach Medienberichten, die schon Ende August von der Sicherstellungsanordnung berichtet haben.

Private Nutzung der Postfächer ein Problem

In der überreichten Stellungnahme spricht das Kanzleramt von angeblichen Mängeln der Anordnung, die behoben werden müssten: Die Anordnung sei zu unkonkret. Es würden die Namen der betroffenen Mitarbeiter und die Geräte fehlen. Außerdem hätten die Behörden auch andere Ermittlungsschritte setzen können, um konkretere Informationen zu den Personen zu erlangen.

Verweigerte Amtshilfe des Bundeskanzleramtes

Vor allem die Frage einer möglichen Amtshilfe ist ein Streitpunkt zwischen WKStA und Bundeskanzleramt: Das Kanzleramt argumentiert, dass mit einer Sicherstellungsanordnung nicht das gelindeste Mittel gewählt wurde und es ein Amtshilfegesuch - also eine eigenständige Einordnung der E-Mails mit freiwilliger Übergabe - gebraucht hätte.

Das kommt für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft aber nicht in Betracht. Denn, vereinfacht gesagt: Weil die Postfächer auch privat benutzt werden dürfen, gehört der Inhalt nicht nur den Ministerien, sondern auch den Mitarbeitern. Das Kanzleramt kann deshalb nicht einfach darüber entscheiden. So hat, laut Angaben der WKStA, vor kurzem auch das Bundeskanzleramt selbst argumentiert, als es um Aktenlieferungen an den Ibiza-U-Ausschuss ging. Vor dem Parlament habe es argumentiert, dass es nicht auf E-Mails zugreifen dürfe, die auch privat verwendet werden. Weshalb man "nunmehr genau gegenteilig" argumentiere, ist für die Staatsanwälte unklar.

Das ist aber nicht das einzige Problem mit der Amtshilfe: In einem an Brünner adressierten Dokument schreibt die WKStA, dass dieser einer anderen Staatsanwaltschaft im Oktober 2021 Amtshilfe ausdrücklich verweigert hätte, weshalb man von einer fehlenden Bereitschaft zur Leistung von Amtshilfe ausgehen müsse. Am 18. November schickte die "Wiener Zeitung" dem Kanzleramt eine Anfrage, die bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet blieb.

Sogar dem ÖVP-Untersuchungsausschuss ist das Gezerre um die Sicherstellung aufgefallen. Er überreichte der WKStA vergangene Woche 5.000 E-Mails, die das Kanzleramt an den U-Ausschuss geliefert hatte. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft braucht die Daten trotzdem aus dem Kanzleramt. Weder Vollständigkeit noch Richtigkeit seien gesichert, sagt die WKStA.