Zum Hauptinhalt springen

Keine Asyldebatte wie 2015

Von Simon Rosner

Politik

Beim Ziel, die illegale Migration zu beenden, sind sich die Parteien einig, beim Handeln hapert es aber bei allen.


Blickt man nur auf die Zahl der Asylanträge, gleicht die Situation jener des Jahres 2015, am Höhepunkt der Fluchtkrise. Tatsächlich sind aber nicht viel mehr Asylwerber in der Grundversorgung als vor einem Jahr, da der Großteil ganz offensichtlich in andere Länder weiterzieht. Sie stellen einen Antrag, reisen dann aber ebenso illegal wieder aus, wie sie auch einreisten. Andererseits kommen mehr als 50.000 Vertriebene aus der Ukraine noch hinzu.

Die Situation heute ist also nicht direkt mit 2015 vergleichbar, die politische Debatte darüber wird mittlerweile aber genauso hitzig wie damals geführt. Aber sind die Positionen der Parteien tatsächlich so verschieden? "Es vereint alle politischen Parteien, dass die irreguläre Migration gestoppt werden muss. Diese Zielsetzung ist klar", sagt die Politikwissenschafterin Sieglinde Rosenberger von der Universität Wien. Konsens sei auch, so Rosenberger, dass das EU-Asylsystem ("Dublin") gescheitert ist, dass es deutlich mehr Außengrenzschutz benötigt. "Mit welchen Maßnahmen aber das Ziel erreicht werden soll, bleibt vage."

"Es geht mehrum Botschaften"

Auch wenn die Diskussion anderes insinuiert, ist der rechtliche Handlungsspielraum von nationalen Regierungen, Fluchtmigration zu stoppen gering. Das offenbarte sich nicht zuletzt auch in dem Umstand, dass selbst unter Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) die Zahl der Abschiebungen nicht gestiegen, sondern 2019 sogar leicht gesunken ist. Und unter Kickl gab es auch mehr Asylanträge als im ersten Jahr unter Türkis-Grün.

"Es geht mehr um Kommunikation und Botschaften", sagt Rosenberger, die auch Mitglied im deutschen Sachverständigenrat für Integration und Migration ist. An Botschaften der Parteien mangelte es in den vergangenen Wochen wahrlich nicht. Für die FPÖ ist das Thema ein Heimspiel, sie hatte es auch bereits im Frühling thematisiert und etwa dringliche Anfragen im Parlament dazu gestellt. Alle übrigen Parteien bewegen sich in Asylfragen dagegen auf rohen Eiern - auch die ÖVP.

FPÖ treibt die ÖVPvor sich her

Zwar ist die Frage innerhalb der Volkspartei längst entschieden, doch als Kanzlerpartei, die zudem den Innenminister stellt, ist es kommunikativ schwierig, sich nach außen als Fels gegen illegale Migration zu behaupten, wenn die Zahlen das Gegenteil sagen. Es vergeht auch kaum ein Tag, an dem die FPÖ der ÖVP nicht Untätigkeit vorwirft.

Das hat in der ÖVP einerseits bereits erste Gedankenexperimente hervorgerufen, die Menschenrechtskonvention zu ändern. Auch beim Thema Schengen-Erweiterung kamen unterschiedliche Signale von Kanzler und Innenminister.

Doch diese gemischten Botschaften waren zuletzt auch bei anderen Parteien zu beobachten. So sind in den vergangenen Wochen erst die roten Landesparteien auf einen strengeren Asyl-Kurs eingeschwenkt, dann folgte auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Sie äußerte etwa Verständnis für Italien bei der abweisenden Haltung gegenüber Bootsflüchtlingen. Noch im August hatte sie dagegen "kein Asylproblem" gesehen, was ihr nun wiederum von der ÖVP vorgehalten wird.

SPÖ verweist auf Positionspapier

Bei Kritik an diesem Kursschwenk verweist die SPÖ gerne auf ein vor gut fünf Jahren erarbeitete Positionspapier zu Migration. Darin finden sich zwar weitgehend unumstrittene, aber eben auch unerreichbare Rufe nach einem neuen europäischen Asylsystem. Diese Forderungen, wie etwa Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen, gleichen auch jenen der Neos und sogar der ÖVP. Hier gibt es keinen Konflikt. In der aktuellen Situation helfen diese Wünsche aber nicht weiter.

Und so macht vor allem der Ton die Debatte, aber nicht nur in der SPÖ. Auch bei den Neos hat sich dieser Ton verändert. "Wir können uns keine offenen Tore leisten, nein, das schaffen wir in diesen Krisenzeiten nicht", sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger bei der jüngsten Mitgliederversammlung. Rein inhaltlich gibt es auch bei den Neos keine größere Kurskorrektur, rhetorisch aber ist die Aussage eine kleine Zäsur.

In der Asyl-Debatte gibt es einen weißen Elefanten: die Verteilungsfrage innerhalb der EU. "Es wird einen Verteilungsschlüssel brauchen", sagt Rosenberger. Die SPÖ hat diese Forderung, die auch die EU tief gespalten hat, aber nicht in ihr Papier aufgenommen. Und die ÖVP hat sich gegen ein derartiges Begehr der Grünen im Regierungsprogramm immunisiert, in dem erklärt wird, was man nicht tun werde. "Mechanismen zur Verteilung von Asylwerbern innerhalb der EU sind gescheitert. Österreich setzt daher keine Initiativen in Richtung Verteilungsregeln."

Das Asylthema ist damit weiterhin mehr vom Reden als vom Handeln geprägt, wie auch die innerösterreichischen Probleme bei der Beherbergung von Geflüchteten offenbaren - und das nicht zum ersten Mal. Die systemischen Schwachstellen sind seit einem rund einem Jahrzehnt bekannt, sie wurden seither nicht behoben.

"Es gibt keine Einigkeit zwischen Bund und Land", sagt Rosenberger. Und auf Länderebene sind alle im Nationalrat vertretenen Parteien irgendwo in Regierungsverantwortung und damit zu einem Teil auch mitverantwortlich an der Misere.

Asylzahlen 2022~ Von Jänner bis Oktober stellten in Österreich 89.867 Personen einen Asylantrag. Rund 40 Prozent davon entfallen auf Syrer und Afghanen, die meistens internationalen Schutz erhalten. Ähnliche viele Anträge kommen von Personen aus Indien, Tunesien, Pakistan und Marokko, denen nur in Einzelfällen ein Schutzstatus zuerkannt wird. Darüber gibt es rund 56.500 Vertriebe aus der Ukraine. Sie müssen keinen Asylantrag stellen.

Die ukrainischen Kriegsvertriebenen stellen in der Grundversorgung die mit Abstand größte Gruppe dar, wobei die meisten privat untergebracht sind. Zieht man diese Gruppe ab, waren Ende Oktober 35.110 Asylwerber in der Grundversorgung, das sind um rund 5.000 Personen mehr als zu Beginn des Jahres. Drei Viertel davon entfällt auf Geflüchtete aus Ländern, die meistens Schutz erhalten (Syrien, Afghanistan, Somalia, Irak), Personen aus Indien oder Tunesien tauchen bisher nur vereinzelt in der Grundversorgung auf. Das bedeutet, dass sie zwar einen Antrag stellen, sich dann aber dem Verfahren entziehen und wohl in andere europäischen Länder weiterreisen.