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Die zwei Lesarten des leistbaren Wohnens

Von Simon Rosner

Politik
Die "Schaffung von leistbarem Wohnraum" findet sich auch im Programm der aktuellen Bundesregierung.
© adobe.stock / focus finder

ÖVP und Grüne sind beim Thema Wohnen überquer, doch beide machen nun medial Druck.


Leistbares Wohnen, und speziell die Forderung danach, sind ein Evergreen des politischen Plattenladens, der vor allem zu Wahlkampfzeiten gerne aufgelegt wird. Er schallte auch jüngst durch Tirol, wo Ende September gewählt wurde. Und natürlich findet sich die "Schaffung von leistbarem Wohnraum" auch im Programm der aktuellen Bundesregierung, wobei dieses Stück noch weitgehend ungespielt ist. Türkis-Grün hat sich darin nicht weniger als eine Novellierung des Mietrechts vorgenommen, das zu einem legistischen Labyrinth geworden ist. Doch das ist maximal Zukunftsmusik.

Denn aktuell ist es sogar unsicher, dass eine bereits erzielte Einigung zwischen ÖVP und Grünen zur Reform der Maklerprovision hält. Vorgesehen ist die Umstellung auf ein Bestellerprinzip, dass also jene Vertragsseite die Provision bezahlt, die das Maklerbüro beauftragt hat. Bei Mietwohnungen sind das in der Regel die Vermieter.

Im März hatte die Regierung die Einigung präsentiert, bis Mai war der Entwurf in Begutachtung. Geplanter Start für die neue Regelung war Anfang 2023, doch der Zeitplan sei nicht haltbar, sagt die grüne Wohnbausprecherin Nina Tomaselli. Sie wirft der ÖVP vor, den bereits verhandelten Entwurf wieder aufschnüren zu wollen. Konkret soll die Volkspartei darauf drängen, jene Passagen, die Umgehungen des Bestellerprinzips verhindern sollen, wieder aus dem Entwurf zu nehmen. Aus Sicht von Tomaselli trage die ÖVP "politische Spielchen auf dem Rücken der Mieter" aus. Der Wohnbausprecher der ÖVP, Johann Singer, reagierte auf Anfragen der "Wiener Zeitung" nicht.

Die Volkspartei singt dem Koalitionspartner derzeit aber ohnehin ein anderes Lied - und beruft sich ebenfalls auf das Ziel des leistbaren Wohnens im Regierungsprogramm. Schon vor dem Sommer, heißt es aus dem Finanzministerium, sei den Grünen ein Konzept überreicht worden, um die Anschaffung des ersten Eigenheims zu erleichtern. Bisher habe es darauf aber keine Antwort von grüner Seite gegeben.

Der Finanzminister ist bereit, auf einen Teil der Grunderwerbsteuer zu verzichten, indem ein Freibetrag für den Kauf des ersten Eigenheims eingeführt wird. Vorgeschlagen werden 500.000 Euro, wobei dieser Betrag eine Verhandlungsbasis sei, lässt man wissen. Wer das erste Eigenheim erwirbt, in diesem Beispiel um eine halbe Million Euro, soll künftig nicht die vorgesehenen 3,5 Prozent Grunderwerbsteuer bezahlen. Der Anschaffungspreis würde sich dadurch um 17.500 Euro verringern. Das Ministerium rechnet dadurch insgesamt mit einem Steuerausfall von jährlich 300 Millionen Euro.

Grüne wollen keine weiteren Steuerentlastungen

Außerdem hat man auf ÖVP-Regierungsseite ein Auge auf die Grundbucheintragungsgebühr und die Pfandrechtseintragungsgebühr geworfen. Auch sie fallen beim Hauskauf an, werden vom Justizministerium eingehoben und schlagen dort budgetär zu Buche. Das mögliche Entlastungsvolumen pro Jahr wird auf je 100 Millionen Euro geschätzt. Ergäbe insgesamt 500 Millionen Euro. Auf Nachfrage wird im Finanzministerium erklärt, dass dieser Betrag im kürzlich beschlossenen Budget noch nicht eingepreist ist. Ressortchef Magnus Brunner sagt dennoch: "Ich gehe davon aus, dass wir diese Erleichterung für den Erwerb des ersten Eigenheims gemeinsam umsetzen."

In diesem Konflikt um leistbares Wohnen offenbart sich besonders anschaulich, dass Türkis und Grün mitunter tatsächlich zwei Welten sind. Auf der einen Seite die Mieter, auf der anderen die Häuslbauer. Und wohl auch: Stadt gegen Land.

Interessant ist die Gleichzeitigkeit, mit der beide Anliegen von den zwei Regierungsparteien an die Öffentlichkeit getragen wurden. Auf den ersten Blick würde auch tatsächlich viel für ein Junktim sprechen. In beiden Anliegen geht es um Leistbarkeit beim Wohnen, das eine ist den Grünen, das andere der ÖVP wichtig.

Nina Tomaselli erhebt aber sofort Einspruch. Das eine sei ein Wunsch, der nicht im Koalitionsprogramm stehe, das andere, nämlich die Neuerung bei der Maklerprovision, sei sogar ausverhandelt, präsentiert und begutachtet worden. Eine derartige Konstellation sei eben nicht für ein Junktim geeignet.

Dass es nicht im Regierungsprogramm stehe, will die ÖVP nicht so stehen lassen, da in diesem sehr wohl verankert worden sei, "Wohnraum leistbarer zu machen" und "die Bildung von Eigentum zu erleichtern". Dass vage Absichten in einen Koalitionsvertrag geschrieben werden, ist nicht ungewöhnlich. Türkis-Grün hat seine Vorhaben aber auf mehr als 300 Seiten verewigt, weil man möglichst genau und detailliert sein wollte. Auch die Frage der Grunderwerbsteuer sei in den Verhandlungen besprochen worden, die Grünen lehnten dies aber aufgrund der Verteilungswirkung ab. Es sind Steuererleichterung für Gut- und Besserverdienende.

Deutlicher Einbruch bei Wohnbaukrediten

Auf ÖVP-Seite hält man dem entgegen: Auch die Anti-Teuerungsmaßnahmen stünden nicht im Regierungsprogramm, auf aktuelle Entwicklungen müsse man reagieren. Man verweist auf einen deutlichen Einbruch bei Wohnbaukrediten, der von der Raiffeisenbank auch bestätigt wird. In den vergangenen zwei Monaten seien die Kredite um 30 Prozent zurückgegangen: "Die Gründe sind - neben den steigenden Zinsen, den höheren Baukosten und den erheblicheren Lebenserhaltungskosten - insbesondere die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung", heißt es von der Bank.

Diese Verordnung (KIM) hat die Finanzmarktaufsicht durchgesetzt und sieht unter anderem vor, dass zumindest 20 Prozent Eigenkapital vorhanden sein muss und maximal 40 Prozent des Haushaltseinkommens für die Tilgung verwendet werden darf. Im Vorfeld der Landeshauptleute-Konferenz am Freitag in Wien hat auch Tirols Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) auf Erleichterungen bei der Wohnkreditvergabe gepocht. "Der Druck gegenüber der FMA muss erhöht werden. Denn ich will, dass Tirol ein Land der Eigentümer ist, nicht der Mietabhängigkeit", sagte Mattle.

Die Finanzmarktaufsicht hat die Regeln vor Sommer durchgesetzt, um die "zunehmenden systemischen Risiken bei der Wohnimmobilienfinanzierung" zu begrenzen. "Bei der Kreditvergabe muss die Rückzahlungsfähigkeit des Kreditnehmers und nicht die hypothekarische Besicherung des Kredits im Vordergrund stehen." Eine zu freizügige Vergabe von Wohnbaukrediten in den USA war Ausgangspunkt der weltweiten Wirtschaftskrise 2008/09.

Die Grünen sehen den Vorstoß der ÖVP im Lichte der Wahl in Niederösterreich. Dort hat man sich dem Thema selbstverständlich angenommen. Das Land wird ab 1. Jänner bei Wohnbaukrediten für bis zu 30.000 Euro haften und die notwendige Eigenkapitalquote drücken. Die Grünen hoffen, dass nach dem 29. Jänner, wenn in Niederösterreich gewählt wird, das Thema wieder vom Tisch ist. Freilich, die neue Maklerregelung sollte da schon ein Monat in Kraft sein.