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Einheitliche Assistenz für Menschen mit Behinderung ab 2023

Von Karl Ettinger

Politik

Koalition macht 100 Millionen Euro locker. Wirrwarr um unterschiedliche Unterstützung soll beendet werden.


Seit 2003 gibt es in Niederösterreich die Möglichkeit der persönlichen Assistenz, damit Menschen mit Behinderung ihre Freizeit persönlich gestalten können. Seit damals sei aber der geförderte Stundensatz nicht angepasst worden, beklagt die grüne Sozialsprecherin Silvia Moser. Das sei eine "Schande für Niederösterreich", gerade angesichts der Rekordteuerung. Während die Grünen im Vorfeld der niederösterreichischen Landtagswahl am 29. Jänner kommenden Jahres diese "Schande" anprangern, geht unter, dass die persönliche Assistenz in der Freizeit als Teil der Umsetzung der UN-Menschenrechtscharta in den Bundesländern völlig unterschiedlich geregelt ist. Das ist ein weiteres Beispiel der Zersplitterung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern im Pflegebereich zum Nachteil der Betroffenen.

Wenn es nach der Koalition von ÖVP und Grünen auf Bundesebene geht, wird sich das im kommenden Jahr ändern. Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) und ÖVP-Klubobmann August Wöginger kündigten am Dienstag mit dem Präsidenten des österreichischen Behindertenrates, Klaus Widl, eine neue, bundesweit einheitliche Förderrichtlinie für die persönliche Assistenz zur Unterstützung behinderter Menschen an. Wohl nicht zufällig am Nikolaustag, denn die Basis dafür, dass für zwei Jahre außerdem hundert Millionen Euro zusätzlich für die Umsetzung von Bundesseite zur Verfügung gestellt werden, wurde bereits mit dem schon Mitte November beschlossenen Budgetbegleitgesetz geschaffen. Vorerst ist der Start als Pilotprojekt in den drei Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg im kommenden Frühjahr vorgesehen.

Koalition spricht von "Meilenstein"

Derzeit ist die Kompetenzlage kompliziert. Denn für die persönliche Assistenz von behinderten Menschen, damit diese selbstgewählt beruflich tätig sein können, ist der Bund zuständig, dafür gelten daher auch österreichweit einheitliche Vorgaben. Braucht ein Behinderter jedoch persönliche Assistenz, damit er seine Freizeit persönlich gestalten kann, sind bisher die Bundesländer Anlaufstelle – mit neun unterschiedlichen Regelungen und der Erschwernis, dass für den Arbeitsplatz ein anderer Ansprechpartner verantwortlich ist. "Wir vereinfachen das radikal", versprach Rauch, der einmal mehr betonte, dass das Sozialministerium "ein Ort der sozialen Gerechtigkeit" sei. "Es ist ein wirklicher Meilenstein für Menschen mit Behinderung", assistierte Wöginger bei der Pressekonferenz persönlich.

Präsident Widl relativierte das Selbstlob der Koalition insofern, als er darauf verwies, dass sich Österreich mit der UN-Menschenrechtscharta zur besonderen Unterstützung behinderter Menschen verpflichtet habe. Damit soll die Abhängigkeit von nicht-selbstgewählten Betreuungspersonen durchbrochen werden.

Der Sozialminister stellte zwei Neuerungen für Behinderte in den Mittelpunkt. Mit der neuen Förderrichtlinie, die mit dem Pilotprojekt in den drei Bundesländern ausprobiert wird, werde für Betroffene eine gemeinsame Anlaufstelle geschaffen. Diese wird dann für persönliche Assistenz am Arbeitsplatz und in der Freizeit zuständig sein. Behinderte sollen damit dem selbstgewählten Beruf nachgehen können und ihre Freizeitaktivitäten mit Unterstützung selbst bestimmen können. Außerdem wird die persönliche Assistenz, die bisher auf körperliche Beeinträchtigungen abgestellt war, ausgeweitet auch auf intellektuelle und psychische Beeinträchtigungen.

Bisher 340 Millionen Euro aufgewendet

Bisher wurden dafür in Summe 340 Millionen Euro für die Unterstützung von Behinderten von Bundesseite aufgewendet. Nun werden in den kommenden Jahren hundert Millionen zusätzlich vom Bund bereitgestellt. Insgesamt wurden damit bisher etwa 600 Menschen mit persönlicher Assistenz am Arbeitsplatz unterstützt, in den Bundesländern sind es rund 2.000 Menschen im Freizeitbereich. Die zusätzlichen Mittel werden unter anderem für eine arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Absicherung der persönlichen Assistentinnen und Assistenten, die bisher oft nur geringfügig beschäftigt waren, eingesetzt.

Für ÖVP-Klubobmann Wöginger ist diese Maßnahme ein weiterer Beweis dafür, dass die seit Jänner 2020 im Amt befindliche Bundesregierung wichtige Punkte abarbeitet. Der Sozialminister betonte, dass damit ein jahrzehntelanger Wunsch von Behindertenvertretern umgesetzt werde.

Rauch und Wöginger mussten sich gerade zuletzt herbe Kritik gefallen lassen. Sie haben im Mai im Zuge der Pflegereform einen Bonus in Form eines 15. Gehalts für Pflegekräfte angekündigt, der nun im Dezember ausgezahlt wird. Soziallandesräte und Gewerkschafter kritisieren allerdings, dass die Extrazahlung in Höhe von 2.000 Euro nun brutto ausgezahlt werde, während es in der Privatwirtschaft steuerfreie Sonderzahlungen gebe.