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Spiel mit dem Vertrauen

Von Vilja Schiretz

Politik

Misstrauensanträge sind kaum erfolgreich, aber ein beliebtes Instrument der Opposition. Warum?


Es war ein Misstrauensantrag, der 2019 einen Schlussstrich unter die türkis-blaue Regierungszusammenarbeit gezogen hat. Ein historischer Moment in der Geschichte des österreichischen Parlaments, war es doch das erste und bislang einzige Mal, dass es der Opposition gelang, einer Regierung oder einem Regierungsmitglied mit einer Mehrheit im Nationalrat das Vertrauen zu entziehen. Denn in der Regel halten die Koalitionspartner einander die Treue, oder angezählte Regierungsmitglieder kommen der Abstimmung mit einem Rücktritt zuvor.

Misstrauensanträge gelten als schärfstes Mittel, das der Opposition zur Verfügung steht, um auf Missstände aufmerksam zu machen und ihrer Unzufriedenheit mit der Regierung Ausdruck zu verleihen. Weder braucht es für einen solchen Antrag eine besondere Begründung, noch müssen rechtliche Verfehlungen eines Regierungsmitglieds vorliegen.

Ursprünglich für Ausnahmesituationen vorgesehen, seien die Versuche, Regierungsmitgliedern das Vertrauen zu entziehen, auch zu einem symbolischen Mittel geworden, mit dem die Opposition ihre Kritik unterstreichen könne, erklärt Politikwissenschafter Reinhard Heinisch von der Paris Lodron Universität Salzburg. Das zeigt sich in der aktuellen Legislaturperiode: So starteten Abgeordnete der Oppositionsparteien in den vergangenen knapp drei Jahren bereits 24 Versuche, einem Regierungsmitglied oder gleich der gesamten Regierung das Vertrauen zu entziehen, erst am vergangenen Mittwoch brachte die FPÖ einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung ein.

"Kontroverse,schwierige Zeit"

Grund für die zuletzt hohe Zahl seien nicht zuletzt die multiplen Krisen, mit denen die Koalition fertig werden muss, von der Pandemie über politische Skandale bis hin zur Teuerung, sagt Heinisch. Er spricht auch von einer "sehr kontroversen, schwierigen Zeit". Eine Stimmung, die Misstrauensanträge freilich begünstigt: So begründeten die Freiheitlichen ihre - besonders zahlreichen - Misstrauensanträge etwa häufig mit der Corona-Politik der Regierung.

Insgesamt sieben Mal stand das Vertrauen gegenüber der gesamten Regierung zur Abstimmung, sechs Misstrauensanträge wurden alleine in der aktuellen Legislaturperiode gegen den früheren Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) eingebracht. Doch auch Bundeskanzler und Ex-Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), der frühere Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) mussten sich bereits Misstrauensvoten stellen. Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) überstand einen Misstrauensantrag durch die FPÖ, einem weiteren, der möglicherweise auch vom grünen Koalitionspartner unterstützt worden wäre, entging er durch seinen Rücktritt im Oktober 2021.

Faymann-Regierung hält Misstrauensantrags-Rekord

Politik mit dem Mittel des Misstrauensantrags ist aber kein ganz neues Phänomen. Werner Zögernitz vom Institut für Parlamentarismus und Demokratiefragen sieht einen deutlichen Anstieg in diesem Jahrtausend, ungefähr "seit dem Ende der großen Koalition". In Zahlen gegossene Vergleiche mit den Jahrzehnten davor sind allerdings schwierig, erst seit 1996 sind die entsprechenden Daten einsehbar. In den meisten - unterschiedlich langen - Legislaturperioden verzeichnet die Statistik seither meist zwischen 13 und 18 Misstrauensanträgen. Ausreißer ist hier die Zeit der ersten Regierung unter Werner Faymann mit 41 Versuchen, der Regierung das Vertrauen zu entziehen. Türkis-Blau musste sich übrigens nur 10 Misstrauensvoten stellen, allerdings dauerte diese Legislaturperiode auch kürzer als zwei Jahre.

Aber wieso greift die Opposition so gerne auf dieses in der Theorie mächtige, in der Praxis aber kaum erfolgreiche Instrument zurück? "Misstrauensanträge leben von der Ankündigung und von Medienberichten", sagt Zögernitz. Ein Thema, bei dem die Opposition punkten möchte, werde vermehrt aufgegriffen und beleuchtet - ganz unabhängig davon, ob der Antrag schlussendlich eine Mehrheit findet. Andererseits signalisieren Misstrauensanträge den Wählern der jeweiligen Oppositionsparteien "ich tue etwas, ich treibe die Regierung vor mir her", sagt Heinisch. Dann gibt es noch die Hoffnung, ein Misstrauensantrag könne einen Keil zwischen die Koalitionspartner treiben: "Auf einmal muss man etwas verteidigen, was man eigentlich gar nicht verteidigen will", so der Salzburger Politikwissenschafter.

Kontrollinstrument nicht leichfertig einsetzen

Und auch für das betroffene Regierungsmitglied seien Misstrauensanträge immer unangenehm, meint Zögernitz. Vor allem bei knappen Mehrheiten im Nationalrat könnten beispielsweise schon einzelne Krankheitsfälle zu einer unerwarteten Mehrheit führen. Auch in der Öffentlichkeit entstehe durch Misstrauensanträge ein negatives Bild: "Die Bevölkerung hat das Gefühl, der Minister hat versagt", meint Zögernitz. Letzteren Effekt sieht Heinisch wiederum weniger stark ausgeprägt: Es gebe keine Daten, die belegen würden, dass Misstrauensanträge in der Bevölkerung besonders stark wahrgenommen würden.

Zögernitz, lange Jahre ÖVP-Klubdirektor, warnt jedenfalls davor, Misstrauensanträge leichtfertig einzusetzen. Eine solche Entwicklung sei etwa seit den 1990er Jahren bei der Dringliche Anfrage zu beobachten gewesen. Vor einigen Jahrzehnten noch Seltenheit, "ist man heute fast enttäuscht, wenn es einmal keine Dringliche gibt". Dieser Trend habe sich seither verstärkt, wodurch sich die Kontrollfunktion gewissermaßen "abgenutzt" habe. Heinisch zieht einen Vergleich mit Untersuchungsausschüssen, die über die Jahre zur "politischen Folklore" geworden seien. Dass auch Misstrauensanträge einen Bedeutungsverlust erfahren, halten sowohl Zögernitz als auch Heinisch für wahrscheinlich. "Alles, was inflationär eingesetzt wird, verliert an Gewicht", sagt Zögernitz.