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Eine Parteiposse um das Bundesheer

Von Daniel Bischof

Politik

Vor zehn Jahren wurde die Abschaffung der Wehrpflicht abgelehnt. Über ein sonderbares Kapitel in Österreichs Politik.


Es war die Zukunft des Bundesheeres, die vor genau zehn Jahren zur Abstimmung stand: Am 20. Jänner 2013 fand in Österreich erstmals eine - rechtlich nicht bindende - Volksbefragung dazu statt. 59,7 Prozent votierten damals für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes. 40,3 Prozent stimmten für die Einführung eines Berufsheeres und eines freiwilligen sozialen Jahres.

Die Volksbefragung bleibt in der Nachbetrachtung ein äußerst sonderbares Kapitel der österreichischen Innenpolitik. Zehn Jahre später hat sich vor allem durch den Ukraine-Krieg die Sicht auf die Wehrpflicht seither auch verschoben. 2013 kämpfte die SPÖ mit dem damaligen Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) im Schlepptau der "Kronen Zeitung" für die Abschaffung, für die ebenfalls die Grünen plädierten.

Heutzutage ist das kein Thema mehr. Am Freitag veranstaltet die Plattform "Wehrhaftes Österreich" in Erinnerung an die Volksbefragung zum zehnten Mal den "Tag der Wehrpflicht" in Wien: Die Grußworte kommen von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP), danach diskutieren die Wehrsprecher aller Parlamentsparteien - sogar die Grünen sind dabei - über den "Aufbauplan 2032" des Bundesheeres.

Zurück zu den Ursprüngen der Volksbefragung. Der Trend in Europa ging vor einem guten Jahrzehnt in Richtung Berufsheer. Schweden setzte 2010 die Wehrpflicht aus, Deutschland im Jahr 2011. "Debattiert wurde damals noch über die Friedensdividende", sagt Erich Cibulka, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, zur "Wiener Zeitung". Geld sollte statt in die Verteidigung in andere Bereiche fließen.

Spektakuläre Kehrtwende

Auch in Österreich begann damals eine Debatte um die Wehrpflicht, wobei diese eine seltsame Genese hatte. Losgetreten wurde sie von der "Kronen Zeitung", die 2010 eine Kampagne zur Abschaffung der Wehrpflicht lancierte. Verteidigungsminister Darabos konnte dem zunächst nichts abgewinnen. Am 3. Juli 2010 sagte er zur "Tiroler Tageszeitung": "Für mich ist die Wehrpflicht in Stein gemeißelt. Mit mir als Verteidigungsminister wird es kein Ende der Wehrpflicht geben." Auch andere SPÖ-Spitzenpolitiker versicherten, dass ein Ende der Wehrpflicht kein Thema sei.

Doch vollzog sich in der SPÖ innerhalb weniger Monate ein spektakulärer Schwenk. Wenige Tage vor der Wien-Wahl 2010 forderte Bürgermeister Michael Häupl in der "Kronen Zeitung" eine Volksbefragung zur Wehrpflicht. Die Parteispitze zog nach: Bereits im Jänner 2011 wurde im Präsidium die Festlegung in Richtung Berufsheer getroffen. Am 17. Jänner präsentierte Darabos seine Pläne zum Wehrpflicht-Aus.

Es sei versucht worden, über Wien einen "180-Grad-Stimmungswandel" zu erzeugen, so der heutige SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer. Für Cibulka war das erstaunlich, denn die SPÖ sei aus historischer Perspektive stets für die Wehrpflicht eingetreten. In den Folgejahren sollte oft parteiinterner Unmut über den Schwenk auftauchen. Wie bei der Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller, die für die Wehrpflicht votierte.

Während die SPÖ unter Bundeskanzler Werner Faymann auf ein Berufsheer drängte, machte ihr Junior-Koalitionspartner, die ÖVP, ebenfalls eine Kehrtwende. Eigentlich sei die ÖVP damals eher in Richtung Berufsheer und auf einem Nato-Trip unterwegs gewesen, so Cibulka. "Aber weil die SPÖ etwas anders gemacht hat, hat die ÖVP gedacht, sie muss es wieder anders als die SPÖ machen." So gerieten die Schwarzen zu vehementen Befürwortern der Wehrpflicht.

Die allmählich einschlafende Debatte wurde dann wieder von der ÖVP, die ursprünglich eine Befragung abgelehnt hatte, entfacht. Im August 2012 forderte Landeshauptmann Erwin Pröll eine solche Abstimmung, woraufhin sich ÖVP und SPÖ rasch einigten, eine Volksbefragung im Jänner 2013 abzuhalten.

Warnung vor Zivildienst-Aus

SPÖ und ÖVP sei es nur darum gegangen, "die andere Partei bei Wahlen zu besiegen", sagt Cibulka: "Da ging es nicht um Überzeugung." Eine tiefere inhaltliche Debatte zu den Vor- und Nachteilen der Wehrpflicht, eine Auseinandersetzung mit sicherheits- und militärpolitischen Fragen blieb dann auch aus. SPÖ und ÖVP müssten sich beide vorwerfen lassen, dass sie "nicht über das Bundesheer geredet haben", sagt Laimer.

Die SPÖ hoffte vor allem auf die Mobilisierungskraft der "Kronen Zeitung", die mit Titeln wie "Die Wehrpflicht - ein Auslaufmodell. Können 21 europäische Länder irren? Freiwilligenheer als Zukunftskonzept" aufwartete. Sie warb mit im Dienst verstorbenen Grundwehrdienern für ein Berufsheer. Die ÖVP wiederum debattierte weniger um die Wehrpflicht, sondern verlautbarte, dass deren Abschaffung auch das Ende für den Zivildienst bedeute - mit katastrophalen Folgen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) warnte, das Aus für den Zivildienst könnte für die Österreicher lebensgefährlich werden - dann nämlich, wenn die Rettung ohne Zivis zu spät komme.

Debatte um Pflichtübungen

Seit der Volksbefragung scheint die Wehrpflicht nun tatsächlich in Stein gemeißelt. Eine Debatte darüber ist seit einem Jahrzehnt nicht mehr aufgekommen. Der Trend geht aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage auch europaweit wieder in die andere Richtung: 2017 führte Schweden die ausgesetzte Wehrpflicht wieder ein. Und auch in Deutschland wird die Aussetzung heute nicht gerade als durchschlagender Erfolg gesehen. In der SPÖ sei man nun auch wieder für die Wehrpflicht, sagt Laimer. Stimmen, die weiterhin eine Abschaffung fordern, seien ihm keine bekannt.

Diskutiert wurde im vergangenen Jahrzehnt vor allem, ob die verpflichtenden Milizübungen wiedereingeführt werden sollen. Laut Cibulka kann eine Wehrpflicht nur bei einem Grundwehrdienst samt verpflichtenden Übungen funktionieren. Das jetzige Modell, bei dem man sechs Monate Grundwehrdiener ausbilde und sie nie wieder zu Übungen einberufe, sei die "größte Ressourcenverschwendung": "Wehrpflicht bedeutet, einsatzbereit zu sein."

Verpflichtende Übungen hatte es bis 2006 gegeben. Nach dem Wehrdienst absolvierte der Großteil der Grundwehrdiener zwei Monate Milizübungen: Alle zwei Jahre mussten die Männer für ein paar Tage einrücken. Unter Verteidigungsminister Günther Platter (ÖVP) wurde das abgeschafft. Seither beruht das System auf Freiwilligkeit, wobei das Militär große Probleme hat, genügend Freiwillige zu finden.

Die Wiedereinführung der Pflichtübungen wird in Militärkreisen und von FPÖ und SPÖ gefordert. Nach Ausbruch des Ukraine-Krieges stand sie zur Debatte. Die Grünen machten aber klar, dass sie dagegen sind - vor allem, weil dies einen längeren Zivildienst bedingen würde. Daraufhin ließ das ÖVP-geführte Verteidigungsressort das Thema rasch liegen.