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Der rote Vorreiter, der aneckt

Von Karl Ettinger

Politik

Das Burgenland ist bei Entlastung, Pflege und Löhne für so manchen in der SPÖ Vorbild. | Für den SPÖ-Gewerkschafter Muchitsch ist aber ein gesetzlicher Mindestlohn "ein Schuss ins Knie".


Ein Thermenhotel in Stegersbach bildete den gediegenen Rahmen für die Klausur des SPÖ-Landtagsklubs. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil gab am Freitag die weitere Route auf dem "burgenländischen Weg" aus der Krise vor. Mit "sozial treffsicheren" Maßnahmen gegen die Teuerung wurde demonstrativ ein "Gegenmodell" zu den Entlastungspaketen der Bundesregierung von ÖVP und Grünen vorgelegt. Vom wahlkämpfenden niederösterreichischen SPÖ-Landeschef Franz Schnabl wurde Doskozil zuletzt ausdrücklich als Vorbild umschwärmt. Bei anderen jedoch in der SPÖ, allen voran bei roten Gewerkschaftern, stößt der machtbewusste burgenländische Landeshauptmann mit seinem Kurs für einen gesetzlichen Mindestlohn auf Widerspruch.

In Stegersbach ist es der Wärmepreisdeckel zur Entlastung privater Haushalte, mit dem sich Doskozils SPÖ österreichweit als Vorreiter betrachtet. Während sich die Bundesregierung mit Kritik auch von Experten konfrontiert sieht, dass von Entlastungsmaßnahmen teilweise alle und damit auch Spitzenverdiener profitieren, ist der Wärmepreisdeckel fürs Heizen im Burgenland sozial gestaffelt. Je nach Haushaltsnettoeinkommen und gemeldeten Personen im Haushalt wird eine Förderung bis zu 2.000 Euro gezahlt.

Um die Mieten zu bremsen, erhöht Doskozil den Druck auf die Wohnbaugenossenschaften im Land, die er zu einem Treffen einberuft. Im Hinblick auf den neuen Finanzausgleich legt er sich mit dem Sozialversicherungsimperium an: "Bevor die Sozialversicherungsträger die Spitäler der Länder übernehmen, werden höchstwahrscheinlich die Länder die Sozialversicherung übernehmen." Und angesichts des Ärztemangels habe man sich mit Vertretern der Spitalsärzte geeinigt, die Facharztgehälter im Burgenland anzuheben samt einem Einstiegsgehalt von 140.000 Euro brutto pro Jahr.

Doskozil ist auch beim Gehaltsabschluss für den öffentlichen Dienst ausgeschert. Die Einigung für den Bundesdienst sah eine Anhebung der Bezüge zwischen 7,15 und 9,41 Prozent vor, was üblicherweise auch Richtschnur für Bundesländer und Gemeinden ist. Der Landeshauptmann rechnete vor, dass dies bei niedrigen Einkommen aber nur ein Plus von 183 Euro brutto bedeute, für höhere Bezüge hingegen bis zu 700 Euro mehr. Doskozil setzte stattdessen auf eine Anpassung um 300 Euro brutto für alle. Wobei er nicht vergaß hinzuzufügen, dass damit 80 Prozent der Landesbediensteten besser aussteigen als nach dem Bundesabschluss und dies für niedrige Bezügen ein Plus bis zu 15 Prozent bedeute.

Für Landesbedienstete mit den niedrigsten Einkommen bedeutet das nunmehr rund 2.000 Euro netto. Von mehr als 130 der 171 Kommunen im Burgenland wird das Mindestlohnmodell, das mit 1.700 Euro netto eingeführt wurde, übernommen. Dazu kommen nach Auskunft des Büros des Landeshauptmanns die Beschäftigten in den Spitälern der Landesgesellschaft sowie im landeseigenen Pflegebereich. Für Bedienstete in Pflegeheimen anderer Träger wurde eine Übergangsfrist bis 2024 eingeräumt.

"Ich wünsche mir überall 2.000 Euro netto", sagt der designierte Vorsitzende der SPÖ-Gewerkschaftsfraktion und Sozialsprecher im Parlament, Josef Muchitsch. "Da spricht ja nichts dagegen", betont er. Denn dabei sei das Land Burgenland selbst Arbeitgeber. "Es ist immer die Frage, wer zahlt das."

Mit Alternativmodell zu 1.700 Euro Lohn

Anders sieht es allerdings bei den Plänen Doskozils für einen gesetzlichen Mindestlohn für alle von seinerzeit 1.700 Euro netto aus, für den sich der SPÖ-Landeshauptmann nach seiner Wiederwahl mit absoluter Mehrheit vor drei Jahren ausgesprochen hat. Der künftige SPÖ-Fraktionschef in der Gewerkschaft kann dem Eingriff der Politik in die Lohnfrage jedoch nichts abgewinnen. "Das ist ein Schuss ins Knie", sagt Muchitsch zur "Wiener Zeitung". Per Gesetz da Hand anzulegen, sei "ein Rückschritt".

Doskozil kommt dabei den Sozialpartnern, also den Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, die in Österreich Kollektivverträge und Löhne aushandeln, ins Gehege. "Dort, wo die Sozialpartnerschaft funktioniert, soll man nicht hineingrätschen", sagt Muchitsch. Wenn man die Lohnfrage der Politik überlasse, sei zu befürchten, dass Erhöhungen länger auf sich warten lassen, meint er mit Hinweis etwa auf Belgien. "Ich erkämpfe lieber Lohnerhöhungen auf der Straße oder am Verhandlungstisch", bevor es Erhöhungen alle drei oder vier Jahre gebe. Man könne außerdem nicht alle Branchen über einen Kamm scheren. Immerhin würden in Österreich mehr als 500 Kollektivverträge abgeschlossen.

Der SPÖ-Gewerkschafter setzt lieber auf ein Alternativmodell, um 1.700 Euro netto österreichweit umzusetzen. Sein "großer Wunsch" sei, wie Muchitsch ausdrücklich hervorhebt, dass die öffentliche Hand per Direktvergabe nur mehr Aufträge an jene Firmen erteilt, in denen zumindest 1.700 Euro netto gezahlt werden. Das wäre für ihn ein großes Projekt für das heurige Jahr. Doskozil ist in der Vergangenheit mit den 1.700 Euro schon der Bundespartei mit SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner in die Quere gekommen, die eine Vier-Tage Woche mit 32 Stunden propagiert hat.

Für und Wider beim Pflegemodell

Niederösterreichs SPÖ-Chef Schnabl holte sich dagegen in der Vorwoche ausdrücklich Schützenhilfe vom "Vorbild" Doskozil. Bei Pflege, Gesundheit und mit dem Gratis-Kindergarten, den Schnabl gern auch ganztätig gratis in seinem Bundesland hätte, laufe im Burgenland vieles besser. Mit der Anstellung von jenen Personen, die Angehörige selbst daheim pflegen und dafür auch gut 1.700 Euro netto erhalten, sorgte das Burgenland als Vorreiter über Österreich hinaus für Aufsehen. Kritiker bemängelten freilich, dass dies nur ein kleiner Baustein einer Pflegereform sei.

Elisabeth Potzmann, die Präsidentin des österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, sieht dieses burgenländische Modell "sehr skeptisch". Es sei gut für Eltern, die ihre schwerkranken Kinder pflegen. Nicht aber wenn beispielsweise eine Frau mit 55 kündigt, um daheim ihren Vater zu pflegen. Wenn dieser nach zwei Jahren sterbe, finde sie nur schwer wieder einen Job. Generell sollte ein anderer Weg beschritten werden. "Ich finde, man muss die professionellen Strukturen stärken", betont Potzmann.