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Hohes Risiko für Österreich durch "eingeschränkte Strategiefähigkeit"

Von Daniel Bischof

Politik

Die österreichische Neutralität wird laut der Expertin Ulrike Franke unter Druck kommen.


Instrumente, um Krisen frühzeitig zu erkennen, Risiken abzuschätzen und Handlungsoptionen zu entwickeln: Daran mangelt es Österreich laut dem neuen "Risikobild 2023" des Bundesheeres. In dem Bericht werden die derzeitigen und potenziellen Bedrohungen für Österreichs Sicherheit aufgelistet. Am Freitag wurde er in Wien vorgestellt.

Als aktuelle und massive Bedrohungen finden sich ganz oben in der Liste nicht nur die Punkte "Konfrontation Russland-EU", "Eskalation Ukraine-Konflikt" und "Migrationsströme nach Österreich". Auch der Punkt "eingeschränkte Strategiefähigkeit Österreichs", der als "politisches Risiko eingeordnet wird, ist auf der Bundesheer-Liste der Bedrohungen prominent vertreten.

Neu ist dieses Risiko nicht. Bereits das "Risikobild 2030" - ein früheres Strategiepapier des Bundesheeres aus dem Jahr 2021 - ortete große Defizite bei der "strategischen Handlungsfähigkeit" Österreichs. Diese bezieht sich "auf die Fähigkeit des Staates, in komplexen und schwierigen Krisensituationen" angemessen zu reagieren. Über die dafür notwendigen Analyse- und Handlungsinstrumente verfüge der Staat aber nicht, hieß es. Österreich sei daher gefordert, "sich zukünftig für mehrere, auch gleichzeitig auftretende Krisen zu rüsten".

Vernetzte Risiken

Eine Verbesserung gab es seither aus Sicht des Bundesheeres aber offenbar nicht. Vielmehr wird diese Bedrohung im neuen "Risikobild 2023" im Gegensatz zum "Risikobild 2030" als noch akuter als zuvor eingestuft. In ihrem Beitrag zum "Risikobild 2023" geht Silvia Angerbauer, Leiterin der Abteilung Verteidigungspolitik und Strategie im Verteidigungsministerium, auf diese Bedrohung ein.

Sie verweist darauf, dass Risiken vermehrt voneinander abhängig sind. "So hat etwa zum Beispiel Russlands Angriffskrieg bereits jetzt erhebliche Auswirkungen auf die bestehende Ressourcenknappheit auf dem afrikanischen Kontinent, das verursacht weitere Destabilisierung bis hin zum Staatszerfall, was wiederum steigende Migrationsströme nach Europa und damit Österreich zu Folge hat", schreibt sie. Solche Risikowirkungsketten könnten nur durch eine umfassende Betrachtung erfasst werden.

Die Komplexität und Vernetzheit lege "systemische Risiken wie beispielsweise eine potenzielle mangelnde Strategiefähigkeit Österreichs offen", so Angerbauer. Es seien gesamtstaatliche Ansätze notwendig, "um einerseits als Republik gewappnet zu sein und andererseits die Streitkräfte zu befähigen, ihren verfassungsmäßigen Auftrag zu erfüllen". Laut Angerbauer scheinen in Österreich auf gesamtstaatlicher Ebene jedoch nicht ausreichend entwickelte Instrumente für die "Krisenfrüherkennung, Risiko- und Folgenabschätzung, Entwicklung von Handlungsoptionen und strategische Entscheidungsfindung" vorhanden zu sein. Es bleibe abzuwarten, "inwieweit und ob sich hier das Ende 2022 vorgestellte Krisensicherheitsgesetz als ausreichend strategische Organisationsform bewahren wird".

Lage verschlechtert sich

Eine Verbesserung der strategischen Handlungsfähigkeit wird für Österreich umso wichtiger, als die Herausforderungen zunehmen. Bei der Vorstellung des Berichts am Freitag in Wien wurde in der Debatte mehrfach auf die sich verschlechternde Sicherheitslage hingewiesen. "Die Welt ist ohne Zweifel noch instabiler geworden", sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP).

Laut Brigadier Peter Vorhofer weisen alle Megatrends auf eine Verschlechterung hin. Als ein Beispiel warnte er vor der Gefahr eines Angriffs auf einen EU-Mitgliedsstaat. Dieses Risiko habe sich durch den Ukraine-Krieg verstärkt, unabhängig davon, ob es sich um einen konventionellen Angriff oder einen Angriff unterhalb dieser Schwelle handle. "Bei einer weiteren Eskalation wird Österreich blitzartig in eine weitere sicherheitspolitische Herausforderung kommen", so Vorhofer. "Österreich muss sich rasch bezüglich Solidarität und Beistandspflicht Gedanken machen."

Die deutsche Verteidigungsexpertin Ulrike Franke geht davon auf, dass auf Österreich schwierige Zeiten zukommen. Österreich mache sich bisher mit seiner Neutralität einen schlanken Fuß, doch werde es sich nicht mehr so einfach aus den Debatten stehlen können. "Die Neutralitätsfrage wird in den nächsten Jahren viel mehr aufs Parkett kommen", so Franke. Diese Frage werde Österreich aufgrund seiner geografischen Lage deutlich mehr betreffen als andere neutrale Staaten wie Irland und Malta.