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Schock für ÖVP im Kernland

Von Patrick Krammer

Politik

Die ÖVP verliert die Mehrheit in der Landesregierung. Im Landtag haben SPÖ und FPÖ keine Mehrheit.


Kaum ein Stein ist in Niederösterreich nach der Landtagswahl auf dem anderen geblieben. Die Volkspartei hat deutlich verloren und mit rund 40 Prozent der Stimmen und 23 der 56 Mandate keine Mehrheit mehr im Landtag. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fuhr das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte ein und verlor aller Voraussicht nach durch das niederösterreichische Proporzsystem zwei Landesräte an die FPÖ - und damit die Mehrheit in der Landesregierung. FPÖ und SPÖ haben mit fünf von neun Landesräten nun die Mehrheit in der niederösterreichischen Landesregierung, im Landtag geht sich die Mehrheit mit 26 Mandaten aber nicht aus. Komplizierte Voraussetzungen für die zukünftige Arbeit im Landtag und in der Landesregierung.

Auf Bundesebene wird sich das Wahlergebnis bei der Zusammensetzung des Bundesrats auswirken: Dort wird die Bundesregierung ihre Ein-Mandats-Mehrheit an die Opposition verlieren, da die ÖVP zwei Mandate abgeben muss. Eines wird zum Koalitionspartner, den Grünen, wandern, das zweite zur FPÖ.

Zum ersten Mal seit 2003 braucht die ÖVP in Niederösterreich eine Arbeitsübereinkunft mit einer anderen Partei, um ihre Politik umsetzen zu können. Die FPÖ wurde zweitstärkste Kraft und überholte die SPÖ, gewann über zehn Prozentpunkte und zwei Landesräte dazu. In der nächsten Landesregierung hält sie nun bei drei Sitzen. Außerdem führt das Ergebnis dazu, dass die Freiheitlichen nun den stellvertretenden Landeshauptmann stellen.

Neben der ÖVP fuhr auch die SPÖ mit knapp 21 Prozent ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis ein, verlor ein Mandat im Landtag, behielt aber zwei Landesräte in der Landesregierung. Die Kleinparteien Grüne und Neos verzeichneten unterdessen geringe Zugewinne.

Höhere Wahlbeteiligung und Wahlmotiv Rot-Blau

Landeshauptfrau Mikl-Leitner rief die Wahl im Wahlkampf zur Schicksalswahl aus, deutete im Vorfeld doch alles darauf hin, dass sie ihre hauchdünne absolute Mandatsmehrheit aus 2018 verlieren würde. Die Frage war nur, wie hoch die Verluste sein würden. "Dieser Tag kann zum Schicksalstag für Niederösterreich werden", sagte sie bei ihrer Stimmabgabe in Klosterneuburg deshalb und malte einmal mehr das türkis-schwarze Schreckgespenst einer blau-roten Mehrheit an die Wand.

Gut dürfte dieser Mobilisierungsversuch nicht funktioniert haben: Bei der Wahlbeteiligung gab es zwar ein großes Plus auf 72,5 Prozent. Der Grund dafür war wohl auch die Wahlbeteiligung von 2018, die mit 66,6 Prozent auf einem absoluten Tiefpunkt war. Zum ersten Mal seit 1945 lag der Wert damals unter 70 Prozent. In der Gemeinde Semmering wählten weniger als 50 Prozent der Wahlberechtigten, 2023 kletterte der Wert der 533 Einwohner starken Gemeinde wieder auf 75 Prozentpunkte.

Bei den Wahlmotiven gaben kaum ÖVP-Wähler an, ihre Stimme mit Blick auf eine rot-blaue Mehrheit abgegeben zu haben.

Ein zweiter, womöglich mitbestimmender Faktor waren die 97.518 Wählerinnen und Wähler mit Zweitwohnsitz, die in Niederösterreich seit dem Frühjahr 2022 ihr Wahlrecht verloren haben. Nur wer bis 18. November 2022 in Niederösterreich mit seinem Hauptwohnsitz gemeldet war, durfte auch zur Wahl gehen.

FPÖ mit einem Plus von 10 Prozentpunkten

Großer Gewinner des Tages war einmal mehr die FPÖ, die mit 24,8 Prozent das beste Ergebnis der niederösterreichischen Parteigeschichte erreicht hat. Seit der Landtagswahl 2013 haben die Blauen 16,6 Prozentpunkte, 10 Mandate und drei Landesräte dazugewinnen können. Spitzenkandidat Udo Landbauer stellte früh den Landeshauptmann-Anspruch und konnte sich mit den blauen Kernthemen Asyl, Migration und Teuerung von der ÖVP abheben.

Des einen Freud ist des anderen Leid: Die SPÖ kam nicht nur nicht vom Fleck, sondern verlor rund drei Prozentpunkte und erreichte lediglich 21 Prozent. SPÖ-Spitzenkandidat Franz Schnabl baute dem erwartbar schlechten Ergebnis schon in den letzten Tagen vor und definierte das Wahlziel in erster Linie mit ÖVP-Verlusten und erst dann mit SPÖ-Gewinnen. Bei seiner Stimmabgabe in St. Pölten - die SPÖ-Hochburg der letzten Landtagswahl 2018 - meinte der 64-jährige Ex-Polizist: "Es ist ganz wichtig, dass die absolute Mehrheit der ÖVP fällt und, wenn es gut geht, deutlich gebrochen wird. Und ganz super ist das Wahlergebnis, wenn auch noch die Ideen der Sozialdemokratie gestärkt werden." Das Wahlergebnis von 20,8 Prozent lässt darauf schließen, dass die ÖVP-Verluste vor allem der FPÖ und nicht der SPÖ genutzt haben. Die schwarz-blaue Mehrheit von rund 65 Prozent bleibt im Vergleich zu 2018 unverändert. Eine Wählerstromanalyse liegt aber noch nicht vor.

Neos gefestigt, Grüne wieder mit Klubstatus

Die Neos, unter Spitzenkandidatin Indra Collini, zogen in ihrem ersten Versuch 2018 in den niederösterreichischen Landtag ein. Mit 5,15 Prozent schafften die Pinken damals den Sprung über die Vier-Prozent-Hürde. Vor allem der Speckgürtel rund um Wien war für die Neos extrem wichtig. Im zweiten Antritt gelang es der Partei, ihr Ergebnis auf 6,6 Prozent zu verbessern. Im Landtag bleibt es bei drei Neos-Mandaten.

Für die Grünen ist die Landtagswahl eine Trendumkehr: Musste man 2018 Verluste hinnehmen, erreichte man 2023 mit 7,5 Prozent um 1,07 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl. Damit bekommen die Grünen das wichtige vierte Mandat, mit dem sie den Klubstatus wiedererlangen, den sie 2018 verloren haben.