In Sachen Flüchtlingspolitik ließ die ÖVP in vergangenen Wochen mit einer Forderung aufhorchen: Die EU brauche eine "Zurückweisungsrichtlinie", durch die Menschen ohne Aussicht auf Asyl direkt an der Grenze abgeschoben werden können. Die Forderung findet sich auch im Fünf-Punkte-Plan, den Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) Ende November als Diskussionsgrundlage für ein Ja Österreichs zur Schengen-Erweiterung für Rumänien und Bulgarien präsentiert hat. Eine solche Richtlinie dürfte aber rechtlich unmöglich sein, sind sich viele Experten einig.

Ende Jänner hatte Karner bei der gemeinsamen Reise mit Kanzler Karl Nehammer nach Bulgarien die Forderung wiederholt und erklärt, die EU-Kommission solle prüfen, wie es rechtlich möglich wäre, sich Einzelfallprüfungen bei jenen Schutzsuchenden zu ersparen, "die praktisch keine Chance auf Asyl haben". Umgekehrt habe man es ja auch für die Ukrainer geschafft, innerhalb weniger Tage die Vertriebenenrichtlinie in Kraft zu setzen, erklärte der Innenminister.

Eine pauschale Zurückweisung von asylsuchenden Personen würde aus Sicht des UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) gegen Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Anti-Folterkonvention sowie der EU-Grundrechtecharta verstoßen, hieß es aus dem UNHCR-Büro in Wien gegenüber der APA. Auch Walter Obwexer, Experte für Europa-und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, hob gegenüber dem Nachrichtenmagazin "profil" die Unvereinbarkeit des Vorschlags mit den EU-Grundrechten hervor. Der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk ortete im "Standard" ebenfalls einen Verstoß gegen die Flüchtlingskonvention.

Ein Kernprinzip der Konvention, zu deren Einhaltung sich die Europäische Union und alle Mitgliedstaaten verpflichtet haben, ist das Verbot, einen Flüchtling in ein Land zurückzuweisen, in dem er oder sie Verfolgung oder eine weitere Zurückweisung fürchten muss (Non-Refoulement). Um dies feststellen zu können, ist es aber nötig, jeden einzelnen Asylantrag zu prüfen.

"Die Einzelfallprüfung für alle Asylsuchenden ist ein Eckpfeiler des Flüchtlingsschutzes. Pauschale Zurückweisungen von Menschen etwa aufgrund ihrer Nationalität, ohne jegliches Asylverfahren, können Leben gefährden", warnte Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich. Zurückweisungen ohne Prüfung des Asylantrages würden einem Pushback gleichkommen, so Pinter.

Ungewöhnlich viele
Asylanträge aus drei Ländern

Betreffen würde die EU-Zurückweisungsrichtlinie laut Innenminister Karner hauptsächlich Angehörige sicherer Drittstaaten wie Marokko, Tunesien oder Indien. Zwar sind die Chancen auf Asyl für Menschen aus diesen Ländern tatsächlich äußerst gering, freilich gibt es aber auch Ausnahmen, wie ein Blick auf die Asylstatistik 2022 zeigt. So erhielten im vergangenen Jahr 13 Personen aus Marokko, zwei Personen aus Tunesien und eine Person aus Indien Schutz in Österreich. Für diese, in ihren Ländern politisch oder religiös verfolgte Menschen war die individuelle Prüfung ihres Asylantrags "lebenswichtig", so das UNHCR.

Aus den drei von Karner erwähnten Ländern hatte es im Vorjahr ungewöhnlich viele Asylanträge gegeben, nämlich 40.600. Nur ganz wenige, etwa 500 davon, waren jedoch in der Grundversorgung. Es ist anzunehmen, dass sie in andere Länder zogen, um dort klandestin zu arbeiten. Wie viele bei einem ordentlichen Asylverfahren ein Bleiberecht erhalten könnten, lässt sich aus den Zahlen nicht sagen. Die Verfahren werden dann ohne Ergebnis geschlossen.

Über die genauen Inhalte der vorgeschlagenen Richtlinie - wie etwa sichergestellt werden kann, dass ohne individuelles Verfahren die Grundrechte und Flüchtlingsrechte nicht verletzt werden - schwieg das Innenministerium bisher. Die EU-Kommission solle das Rechtliche prüfen, hieß es.

Anstatt pauschaler Zurückweisungen wären beschleunigte Asylverfahren unter Einhaltung von Mindeststandards aber möglich - und notwendig, um das Asylsystem zu entlasten, erklärte das UNHCR-Büro in Wien. "Auf diese Weise könnten nicht nur Asylanträge von Personen mit geringer Bleibewahrscheinlichkeit rasch entschieden werden, sondern auch Anträge von Personen, die wahrscheinlich hohen Schutzbedarf haben."