Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will Vollzeit-Jobs stärken. In einem Interview mit dem "Kurier" sagte er auch: "Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen." Das wurde als eine Forderung zur Kürzung von Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit gelesen und hat umgehend zu massiver Kritik von Opposition und Gewerkschaft geführt. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) stellte am Abend klar, dass Menschen mit Betreuungspflichten nicht betroffen sein dürften.
Die gesamte Passage im Interview lautete: "Wir brauchen weitere Schritte, um Vollzeitbeschäftigung attraktiver zu machen, wie eine geringere Abgabenbelastung und noch treffsicheren Einsatz von Sozialleistungen. In Österreich wird wenig unterschieden bei Sozial- und Familienleistungen, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen", so der Minister zum "Kurier".
Dabei gehe es nicht um die Kürzung von Sozialleistungen, wie es zur Klarstellung aus dem Ministerium zur "Wiener Zeitung" heißt. Vielmehr solle bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen der Aspekt der Teilzeit stärker berücksichtigt werden. Gerade vor dem Hintergrund des oft geäußerten Vorwurfs der Gießkanne sei ein treffsicherer Einsatz von Steuer- und Beitragsmitteln zentral. Gleichzeitig brauche es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen.
Breite Empörung
Empörte Reaktionen gab es unter anderem von SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch: "Gegen den Arbeitskräftemangel fällt der Regierung nichts ein, außer die Situation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer per Gesetz zu verschlechtern. Dabei müsste es doch genau umgekehrt sein", polterte er. Insgesamt sei Kochers Vorstoß ein unsozialer Angriff auf die Familien und "das Unsinnigste, was er gehört habe, seit die FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein behauptet hatte, man könne von 150 Euro im Monat gut leben".
Für die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch zeigt die Aussage von Kocher "wie dieser familienfeindliche und neoliberale ÖVP-Minister wirklich tickt". "Denn lapidar zu sagen, dass junge Mütter informiert werden sollten, dass sie bei längerer Erziehungszeit einen massiven Verlust bei ihrer zukünftigen Pension in Kauf nehmen müssen, zeugt schon von sozialer Armut", so Belakowitsch.
Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, wurde ebenfalls deutlich: "Minister Kocher soll seine frauenfeindlichen Vorschläge zur Bestrafung von Teilzeitarbeit sofort zurückziehen." Sie rechnet vor: "80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Viele Teilzeit arbeitende Frauen haben keine andere Wahl, weil die öffentliche Hand nicht ausreichend ganztägige Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stellt."
Langfristige Folgen von Teilzeitjobs
Kocher warnte heute auch davor, die langfristigen Folgen von Teilzeitjobs zu negieren. "Wer mit 68 Jahren in Pension geht, der erhält deutlich mehr Pension im Monat als bei Pensionsantritt mit 62 Jahren. Aus wirtschaftlicher Betrachtung zahlt es sich jedenfalls aus, länger zu arbeiten", gibt der Arbeitsminister zu bedenken.
Die Unternehmen würden bereits auf die demografischen Veränderungen reagieren und Mitarbeiter bitten, länger im Berufsleben zu bleiben. "Es wird aber auch bei den Sozialpartnern ein Umdenken stattfinden müssen, weil ältere Arbeitnehmer am Ende ihrer Erwerbstätigkeit kollektivvertraglich oft mehr verdienen und damit teurer sind", so der Appell des Ministers.
Zu der geringen Beschäftigungsquote von geflüchteten Menschen aus der Ukraine hielt Kocher fest: "Einige Vertriebene wollen bald in die Ukraine zurückkehren und sehen keine Notwendigkeit, in Österreich zu arbeiten. Andere arbeiten auch im Homeoffice - für ukrainische Firmen. Wie es mittel- und langfristig weitergeht, müssen wir uns natürlich anschauen." (apa)