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Wer wie viel arbeitet und warum

Von Patrick Krammer, Simon Rosner und Vilja Schiretz

Politik

Antworten und Fakten zur Teilzeit-Debatte, ein Blick nach Europa und die Relevanz für das Sozialsystem.


Es gehe ums Attraktivieren, nicht ums Wegnehmen. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) war am Mittwoch um Beschwichtigung bemüht. Seine Aussage in einem Interview, Sozialleistungen sollten bei Teilzeitarbeit reduziert werden, hatte tags zuvor für Empörung gesorgt. "Unsinnig", "frauenfeindlich" und "neoliberale Eiskastenpolitik" waren nur einige der Attribute, mit denen Opposition, Arbeiterkammer und Gewerkschaft Kochers Vorstoß bedachten. Am Mittwoch ruderte der Minister zurück. Es sei nie darum gegangen, jemandem etwas wegzunehmen. "Sozialleistungen waren nicht das Thema, sondern wie man Vollzeitarbeit attraktiv machen kann." Das sei Voraussetzung, "damit Österreich in nächsten Jahrzehnten weiter Wohlstand genießen und sein gutes Sozialsystem zu finanzieren kann". Mütter und Menschen mit Betreuungspflichten dürften freilich keinen Nachteil erfahren, betonte Kocher. Es gehe vielmehr um Menschen, die sich freiwillig für Teilzeitarbeit entscheiden würden.

Was will Minister Kocher nun tatsächlich ändern?

Der Minister erklärte, er könnte sich Änderungen im Bereich von Steuern und Abgaben vorstellen, wo es bestehende Regelungen unattraktiv machen würden, Arbeitsstunden aufzustocken. Vollzeitarbeit müsse "attraktiv und möglich" sein, ergänzte Kocher. Das geht in die Richtung, die AMS-Chef Johannes Kopf am Dienstag vertreten hat. Auf Twitter schrieb dieser: "Es wäre schon gut, zumindest die Bevorzugung von Teilzeitarbeit in unserem Abgaben- und Steuersystem zu überdenken. Zusätzlich braucht es ganztägiges Kinderbetreuungsangebot." Dass durch die Umstellung auf den "Familienbonus Plus" Eltern mit hohen Betreuungskosten, die zuvor steuerlich absetzbar waren, weniger profitieren und daher indirekt Teilzeit gefördert wird, stellt das Ministerium in Abrede. Der Bonus flache "die Progression deutlich ab und ist daher von der Anreizwirkung als nicht besonders problematisch zu betrachten".

Wie viele Personen arbeiten in Teilzeit?

Im Jahr 2021 waren in Österreich rund 1,27 Millionen Menschen teilzeitbeschäftigt, die meisten davon unselbstständig (1,13 Millionen) und nur ein geringer Teil selbständig (133.500) tätig. Die Teilzeitquote lag bei insgesamt 4,3 Millionen erwerbstätigen Personen bei 29,4 Prozent. Als teilzeitbeschäftigt gelten jene Personen, die weniger als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Während die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitkräften bei 41,9 Stunden liegt, arbeiten Teilzeitkräfte rund 21,5 Stunden. Hier gibt es kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern.

Was meint Arbeitsminister Kocher mit Freiwilligkeit?

Was genau der Minister unter freiwilliger Teilzeitarbeit versteht, blieb unklar. Eine eindeutige Definition ist aber schwierig. Eurostat-Daten von 2021 zeigen, dass es in Österreich relativ wenig unfreiwillige Teilzeitarbeit gibt. Der Wert liegt bei 9,2 Prozent, der Wert bei Frauen liegt hier sogar noch unter jenem von Männern. Es muss aber dazugesagt werden, dass Eurostat die Unfreiwilligkeit nur mit fehlenden Vollzeitstellen definiert. Man würde gerne mehr arbeiten, findet aber nichts. Die Statistik Austria weist national auch andere Gründe aus: Betreuung von Kindern und Pflegebedürftigen, Aus- und Fortbildung, familiäre Gründe. Es gibt auch eine Kategorie "keine Vollzeittätigkeit gewünscht". Mehr als ein Viertel der Teilzeitkräfte (Frauen: 27,3 Prozent, Männer: 28,5 Prozent) wollen nicht mehr arbeiten. Im Langzeitvergleich gibt es hier ein deutliches Plus. Bei der Arbeitskräfteerhebung 2004 erklärten nur 15 Prozent der Teilzeitbeschäftigten, nicht mehr arbeiten zu wollen.

Ist Teilzeitarbeit ein reines Frauenthema?

Der Blick auf die Statistik zeigt, dass der Großteil der Teilzeitarbeit in Österreich von Frauen geleistet wird: Lediglich 50,4 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Vollzeit. Im Jahr 2021 waren knapp über eine Million Frauen in Teilzeit, bei Männern lag der Wert bei 266.321 Personen, das ist nur jeder zehnte erwerbstätige Mann.

Die Motive für Teilzeitarbeit sind sehr unterschiedlich. Mehr als ein Drittel der Frauen nennt Betreuungspflichten als Grund, bei Männern war das nur bei 6,8 Prozent der Fall. Umgekehrt sieht es bei Aus- und Fortbildung aus: Bei Männer sind es 20, bei Frauen lediglich 8,7 Prozent.

Wie hat sich die Kinderbetreuung entwickelt?

Österreich verzeichnet eine bemerkenswerte Entwicklung bei der Kinderbetreuung. Während bei den über 3-Jährigen die Betreuungsquote schon vor 20 Jahren hoch war und seither weiter von 82 auf 94 Prozent gestiegen ist, hat bei unter 3-Jährigen eine geradezu fundamentale gesellschaftliche Entwicklung stattgefunden: von 8,5 Prozent auf fast 30 Prozent in nur zwei Jahrzehnten. Rechnet man Wien heraus, wo die Betreuungsquote immer schon höher war, ist der Anstieg noch dramatischer. Diese Entwicklung erlaubte Frauen mehr Erwerbsarbeit, aber nicht immer Vollzeit. Dazu müssten die Öffnungszeiten andere sein. Knapp mehr als die Hälfte der 9.549 Kindergärten und Horte haben laut Statistik Austria bis mindestens 17 Uhr geöffnet. Aber ein Drittel etwa nur bis 16 Uhr. Bedacht werden muss auch, dass Österreich ein Land der Pendler ist, die Kinderbetreuung (wenn sie nicht betrieblich organisiert ist) ist aber an die Heimatgemeinde gebunden, was für Pendler ein weiteres organisatorisches Hindernis ist.

Was sind die negativen Folgen von Teilzeitarbeit?

Mit Blick auf den Fachkräftemangel und steigenden Kosten im Sozial- und Pensionssystem müsse man über Teilzeitarbeit sprechen, meint Monika Köppl-Turyna vom EcoAustria im Ö1-Morgenjournal vom Mittwoch. "Ausgeprägte Teilzeitarbeit führt dazu, dass es immer schwieriger wird, dieses System zu finanzieren", sagt sie. Der Fachkräftemangel würde sich durch immer mehr gut ausgebildete Menschen verschärfen, die Stunden reduzieren - vor allem Männer. Die Arbeitsstunden würden damit zwar nicht weniger, so Köppl-Turyna, aber auf mehr Köpfe aufgeteilt. Unternehmen brauchen also mehr gut ausgebildete Personen, um die gleiche Arbeitsleistung zu bekommen.

Wie hängt das mit den Pensionen zusammen?

Die Bevölkerungsstatistik, die von der Statistik Austria am Dienstag präsentiert wurde, zeigt die demografische Schieflage, mit der die Republik konfrontiert ist. In der Altersgruppe unter 18 Jahren leben eine halbe Million Menschen weniger in Österreich als zwischen 18 und 35 Jahren. Ohne Zuwanderung, die seit Jahren kräftig, aber eben auch politisch sehr umstritten ist, würde Österreich 2040 radikal anders aussehen. Heute stehen 5,75 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren 1,78 Millionen Personen über 65 Jahren gegenüber. Gäbe es keine Migration nach und von Österreich, würden im Jahr 2040 rund 4,95 Millionen im Erwerbsalter (ab 18 Jahren) 3,82 Millionen Menschen jenseits des Pensionsalters gegenüberstehen. Im Vorjahr flossen 12,6 Milliarden Euro aus dem Budget ins Pensionssystems zur Lückenabdeckung.

Wie steht Österreich im europäischen Vergleich da?

Die Definition von Teilzeitarbeit ist von Land zu Land verschieden, daher unterliegt der europäische Vergleich gewissen Limitierungen. Unstrittig ist, dass die Niederlande allein auf weiter Flur sind. Laut Zahlen der Berufsbildungs-Agentur der EU, Cedefop, arbeiten dort sogar mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Teilzeit. Andere Statistiken kommen auf einen Wert etwas unter 50 Prozent für die Niederlande, aber überall nimmt das Land klar Platz eins bei Teilzeit ein. Eurostat reiht dahinter bereits Österreich ein, gefolgt von Deutschland, Belgien und Dänemark.

Was sich ganz klar zeigt: In reichen EU-Staaten ist die Teilzeitquote relevant höher als in ärmeren. In Bulgarien, Rumänien der Slowakei oder Ungarn ist Teilzeitarbeit de facto inexistent. Die EU-Statistikbehörde fragt auch nach unfreiwilliger Teilzeitarbeit, die vorliegt, wenn keine Vollzeit gefunden werden konnte: Hier zeigt sich ein gegenteiliges Bild. In Rumänien geben zwei Drittel der Teilzeitkräfte an, nicht freiwillig weniger zu arbeiten, in den Niederlanden sind es nur 3,7 Prozent, in Österreich 9,2 Prozent. In Ländern mit niedriger Teilzeitquote ist in der Regel auch die Erwerbsbeteiligung der Frauen niedriger.

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