"Wiener Zeitung": Die freiwillige Teilzeitarbeit ist laut Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria seit 2004 von 15 auf fast 30 Prozent gestiegen. Erleben wir da eine Arbeitszeitverkürzung, bei der die Beschäftigten quasi mit den Füßen abstimmen??

Jörg Flecker: Wir erleben das schon längere Zeit, aber mit dem Nachteil des niedrigeren Einkommens und Benachteiligungen bei Arbeitslosengeld und Pensionszahlungen. Was aber nicht abgefragt wird, ist Teilzeit aus gesundheitlichen Gründen. Das dürfte aber zugenommen haben, und mit alternder Bevölkerung werden wir auch weiter damit rechnen müssen. Erst die Teilzeitarbeit ermöglicht es dann, überhaupt im Job zu bleiben, weshalb man das nicht als freiwillig bezeichnen kann.

Man sieht in Umfragen aber auch, dass es einer Mehrheit der Beschäftigten mittlerweile wichtiger ist, mehr Freizeit zu haben als ein hohes Gehalt.

Ich erinnere mich an eine Statistik zu Arbeitszeitwünschen. Da hat man schön gesehen, dass Leute in kurzer Teilzeit längere Arbeitszeiten wollten, und Personen mit sehr langer Vollzeit, also 48 Stunden und mehr, sich deutlich kürzere Arbeitszeiten wünschen. Dort, wo es sich ausgeglichen hat, war um die 32 Stunden. Das könnte man vielleicht als durchschnittlich gewünschte Arbeitszeit interpretieren.

Arbeitsminister Martin Kocher hat am Donnerstag gesagt: Vollzeitarbeit muss möglich und attraktiv sein. Zur Möglichkeit: Welche Hemmnisse gibt es, abseits der Kinderbetreuung, die natürlich prioritär ist?

Wir müssen auch unser Schulsystem anschauen. Es baut darauf auf, dass Eltern zur Verfügung stehen, um mit den Kindern zu lernen. Wenn Eltern drauf Wert legen, dass ihre Kinder in der Schule reüssieren, müssen sie Zeit und Geld in Nachhilfe investieren. Da müsste man in Richtung Ganztagsschulen mit verschränktem Unterricht gehen und das Schulsystem nicht noch länger als Selektionsinstrument verwenden. Dazu kommt als Thema die oft intensive und belastende Arbeit sowie die Verschlechterung der Gesundheit der Arbeitenden, die es vielen nicht erlaubt, Vollzeit zu arbeiten.

Die Niederlande haben schon seit Jahren eine extrem hohe Teilzeitquote, deutlich mehr als andere EU-Staaten. Warum?

Die Niederländer haben, ähnlich wie Österreich, ein Modell der Elternschaft, bei dem gesellschaftlich verlangt wird, dass sich Frauen sehr lange um die Kinder kümmern. Es gibt einen starken Kontrast zu Belgien oder Frankreich, wo Vollzeit auch für Frauen die Norm ist. Das sind auch tief verwurzelte kulturelle Unterschiede. Jedes Land hat seine Eigenheiten. Was auch auffallend ist: Alle ehemals kommunistischen Länder haben heute noch die Vollzeit-Norm.

Ist es nur die Vergangenheit? Ungarn, Bulgarien, Slowakei und Rumänien, wo es kaum Teilzeitarbeit gibt, sind auch ärmer. Historisch gesehen ist steigender Wohlstand immer auch von Arbeitszeitreduktionen begleitet gewesen.

Es spielt sicher hinein, ob man es sich leisten kann. Aber in der DDR und Ungarn gab es eine Verpflichtung zur Vollzeitarbeit, dafür aber auch gut ausgebaute staatliche Kinderbetreuung. In Frankreich ist es ähnlich, wo man eher als Rabenmutter gilt, wenn man die Kinder daheim betreut. Es gibt schon sehr starke gesellschaftliche Normen. Was in der Debatte aber bisher kaum angeklungen ist: Die hohe Teilzeitquote geht nicht auf eine Reduktion des Angebots zurück, sondern auf eine Ausweitung. Es haben mehr Frauen Erwerbstätigkeit aufgenommen, aber aus gesellschaftlichen Gründen eher in Teilzeit.

Man sieht aber auch in einigen Berufen, etwa im Lehrberuf, bei Einsteigern einen sehr klaren Wunsch nach Teilzeit. Hat sich dieser Trend angedeutet?

Ja, ein bisschen sah man in den Wertestudien, dass Erwerbsarbeit den Menschen zwar weiter wichtig ist, aber andere Lebensbereiche aufgeholt haben und gleich wichtig werden. Es ist nicht überraschend. Dazu muss man sich nur die Lebenssituationen von jungen Eltern ansehen. Alles kommt zur gleichen Zeit, dazu sind die Jobs fordernder und intensiver geworden, es gibt mehr Bedarf für Weiterbildung und auch das Elternsein wird heute intensiver betrieben. Alle Lebensbereiche stellen höhere Anforderungen und das beansprucht die Menschen zu sehr. Zum Teil schaffen sie es auch nicht. Dann ist es ja eine vernünftige Entscheidung, mit dieser Überforderung in der Art umzugehen, die Arbeitszeit zu reduzieren.

Illustration: stock.adobe.com / Rudzhan - © Illustration: stock.adobe.com / Rudzhan
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Aber da beißt sich dann die Katze in den Schwanz. Wenn die einen die Arbeitszeit reduzieren, wird die Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen noch intensiver.

Ja, das sind Teufelskreise, die wir zum Beispiel auch in der Pflege sehen. Dort sind die Belastungen so groß, dass viele den Job hinschmeißen wollen. Der Personalmangel, den es seit vielen Jahren gibt, führt auch dazu, dass die Dienstpläne nicht halten und das freie Wochenende dann doch nicht frei ist. Man müsste die Arbeitszeit reduzieren, damit die Pflegerinnen auch länger im Job bleiben, aber das steht kurzfristig im Widerspruch dazu, den Personalmangel zu beheben. Aber längerfristig führt kein Weg daran vorbei.

Wer 22.000 Euro brutto im Jahr verdient, also ein eher kleines Einkommen hat, zahlt rund 850 Euro Lohnsteuer im Jahr. Würde diese Person mehr arbeiten und um 25 Prozent mehr verdienen, also 30.000 Euro brutto, steigen die Lohnsteuerabgaben aber gleich um 120 Prozent. Ist das sinnvoll?

Es ist sicher so, dass es bei nicht so hohen Einkommen abschreckend sein kann, wenn man voll in die Lohnsteuerbelastung hineinkommt. Das ist im Detail aber nicht mein Fachgebiet. Und Geld ist nur ein Aspekt und - sobald man einigermaßen über die Runden kommt - meist nicht der wichtigste. Vielfach verzichten Menschen auch auf Geld, um die Arbeit machen zu können, die sie sich wünschen.

Kochers Vorstoß zielte darauf ab: Wie reizt das Steuersystem und Sozialleistungen Teilzeitarbeit an? Hier will er offenbar ansetzen.

Keine Frage, wenn für Einzelne die Möglichkeit der Erwerbsarbeit zum Beispiel in Teilzeit einmal gesichert ist, können sie sich überlegen, ob es Sinn macht, die Arbeitszeit überhaupt auszuweiten. Aber es ist häufig nicht die Entscheidung der einzelnen Personen, und da wird es dann haarig. Manche Branchen bieten überwiegend Teilzeitstellen an. Der Handel war noch vor zwei Jahrzehnten eine Vollzeitbranche, durch längere Öffnungszeiten hat der Handel auf Teilzeit umgestellt. Anreize zu setzen, wenn die Beschäftigten das gar nicht beeinflussen können, bedeutet schlicht eine Bestrafung für jemanden, der gar nichts dafür kann.

Birgt diese Entwicklung nicht ein gewisses Konfliktpotenzial in der Pensionsdebatte? Wer Teilzeit gearbeitet hat, erhält oft nur eine geringe Pension, die dann aufgestockt werden muss. Aufgrund von Pflege und Kinderbetreuung weniger zu arbeiten, ist gesellschaftlich anerkannt. Aber wie sieht das bei rein freiwilliger Teilzeitarbeit aus: Wird es dann auch akzeptiert sein, wenn bei diesen Personen später die kleine Pension außertourlich erhöht wird?

Sobald man die Pension an das Erwerbseinkommen koppelt, handelt man sich damit auch ein, dass es bei niedrigen Erwerbseinkommen so niedrige Pensionen gibt, dass sie aufgestockt werden müssen. Einige Staaten haben eine steuerfinanzierte Volkspension. Man könnte auch einen Systemwechsel vornehmen, dann hätte man das aus der Welt. Aber so großzügig ist die Aufstockung ja gar nicht. Andererseits: Weniger zu arbeiten, weniger zu konsumieren, ist angesichts der Klimakrise und der sozialökologischen Transformation ja etwas, das wir von den Menschen wollen. Man müsste eigentlich alles dafür tun, dass die Leute auf Konsum verzichten.

Sollte der Trend zu Teilzeit anhalten, würde das nicht auch eine Ungleichheit in der Arbeitswelt verschärfen? In besser entlohnten Jobs lässt es sich auch mit der Vier-Tage-Woche gut leben, eine Reinigungskraft kann sich diesen Luxus nicht leisten.

Ja, das ist wichtig in der Diskussion auseinanderzuhalten: Es gibt diese guten Teilzeit-Jobs, diese sind aber nur eine kleine Minderheit. Die Mehrheit der Teilzeitbeschäftigten arbeitet in nicht sehr gut bezahlten Jobs. Man sieht, dass die Stundenlöhne in den Branchen, in denen es am meisten Teilzeit gibt, am niedrigsten sind. Das korreliert. Deshalb ist es der richtige Weg, die Teilzeiteinkommen durch eine Verkürzung der Vollzeit anzuheben.