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Doskozil will sehen

Von Simon Rosner

Politik

Der ewige Konflikt um die SPÖ-Parteispitze war zuletzt ein Pokerspiel. Rendi-Wagner ging "all-in", nun zog Doskozil nach.


Es war über Monate ein Pokerspiel, bei dem nicht wenige glaubten, Hans Peter Doskozil bluffe. Dass der burgenländische Landeshauptmann mit der aktuellen Parteileitung unzufrieden ist, war kein Geheimnis. Aber ob er wirklich selbst will? Der Konflikt eskalierte zusehends, in der Vorwoche ging dann die Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner "all-in". Zuerst kritisierte sie ihren Widerpart öffentlich scharf und warf ihm "Heckenschützenmentalität" vor, dann bereitete sie den Weg für einen vorgezogenen Parteitag auf und berief Präsidium und Vorstand für Mittwoch ein. Er wird doch nicht...? Doch Doskozil konterte.

Am Dienstag, einen Tag vor den Parteigremien, kündigte Burgenlands Parteichef an, sich um die Spitze zu bewerben. Dies aber nicht auf einem "überhastet organisierten Sonderparteitag", teilte Doskozil mit, sondern ausschließlich über einen Mitgliederentscheid. Auch das ist nichts anders als "all-in". Und Doskozil will nun sehen. Denn ein solches Votum kategorisch abzulehnen, wäre für eine Parteileitung wohl auch keine Zier. Das weiß er.

Auf einem Parteitag mit Delegierten hätte Doskozil ziemlich sicher das Nachsehen, bei einem Mitgliederentscheid sind seine Chancen besser, vielleicht sogar gut. Eine rezente Umfrage von Unique Research für "Heute" zeigt zwar unter SPÖ-Wählern eine sehr klare Präferenz für Rendi-Wagner, aber diese Gruppe ist nicht deckungsgleich mit Parteimitgliedern. Klar ist: Beide können nun verlieren - womöglich auch beide zusammen.

"ln der Öffentlichkeit geben wir als SPÖ ein desaströses Bild ab", schreibt Doskozil in einem Brief an die Gremien, und er bekundet: "Auch mein Team und ich haben daran unseren Anteil." Es sei ihm nie darum gegangen, auf einer persönlichen Ebene zu agieren. Sein Fazit: "Es ist hoch an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen und Klarheit zu schaffen."

Widerspruch im Statut als mögliche Hürde

Dem Präsidium wolle er am Mittwoch einen "Mitgliederentscheid nach §24 des Organisationsstatuts" vorschlagen. Ein Votum der Mitglieder ist laut Statut durchzuführen, wenn es von zehn Prozent aller Mitglieder verlangt wird, "wobei aus wenigstens drei Landesorganisationen jeweils zumindest 25 Prozent der insgesamt für die Einsetzung eines Mitgliederentscheides erforderlichen Mitglieder dies fordern". Aus Salzburg und Niederösterreich kamen bereits Signale in diese Richtung. Ein Problem für Doskozil: Ein erfolgreiches Votum muss zwar laut Statut vom Vorstand umgesetzt werden, aber über den Vorsitz (§ 47) entscheidet nur der Parteitag, nicht der Vorstand. Es ist ein inhaltlicher Widerspruch.

Die Absicht Doskozils wurde am Nachmittag publik, bis Redaktionsschluss lag keine Reaktion der Bundespartei vor. Es darf vermutet werden: Mit diesem Zug hat in der Löwelstraße niemand gerechnet. Es gibt auch keine Erfahrungswerte in der Partei, wie ein Mitgliedervotum durchzuführen ist - oder wie es vielleicht auch verhindert werden kann.

Es ist denkbar, dass diese Volte am Dienstag noch nicht die letzte gewesen ist. Da Doskozil in der Partei nicht gerade wohlgelitten ist, werden die Gedanken einiger Genossen in Richtung möglicher Gegenkandidaten gehen. Es ist also ungewiss, ob es zu einem Showdown zwischen Rendi-Wagner und Doskozil kommen wird.

Was die Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl betrifft, ist unmittelbar wohl auch keine Entscheidung zu erwarten. In seinem Brief äußert sich Doskozil dazu mit keiner Silbe. Bis zur nächsten Wahl vergehen auch noch anderthalb Jahre, sollten ÖVP und Grüne nicht doch plötzlich draufkommen, dass sie nicht mehr miteinander zusammenarbeiten wollen. Derzeit deutet aber wenig daraufhin, auch wenn sich gemeinsames Regieren und wechselseitiges Sekkieren im Wochenrhythmus abwechseln. Die SPÖ hat das Wirken der Bundesregierung aber ohnehin erfolgreich aus den Medien verdrängt.

Anzeichen eines politischen  Erschöpfungssyndroms

Dafür gibt es viele verschiedene und tief liegende Ursachen. Die jüngere Geschichte spielt hinein, aber auch länger zurückliegende Entwicklungen wirken immer noch nach. Von außen betrachtet kann man der SPÖ eine Art politisches Erschöpfungssyndrom diagnostizieren. Die Strukturen der Partei passen nicht mehr in die heutige Zeit und machen eine strategische Führung kaum möglich. Die aus dem früheren Glanz abgeleiteten Ansprüche sorgen für chronische Unzufriedenheit bei vielen Funktionären und Sympathisanten. Inhaltlich wechseln alte Rezepte aus Großvater Brunos Küche mit neuen Ideen wie der Vier-Tage-Woche, insgesamt wirkt dies wenig konzise und irgendwie ungelenk.

Doch in der Partei haben sich für das Leid der vergangenen Jahre nur zwei Diagnosen durchgesetzt, die sich in Rendi-Wagner einerseits und Doskozil andererseits personifizierten. Dieser Konflikt, der aber kaum inhaltlich geführt wird, beschäftigt die SPÖ bereits so lange, dass beide auch zu Symbolen der Ursachenforschung der jeweils anderen Seite geworden sind. Und darin liegt für die SPÖ auch eine gewisse Gefahr der Spaltung. Auch wenn es vor allem Projektion ist. Für die einen verdichtet sich in der Person Rendi-Wagners ein sozialdemokratischer Irrweg, für die anderen steht Doskozil für einen geradezu unethischen Kurs. Am Dienstag sagte die Vorsitzende bei ihrem Auftritt bei der Klausur des Wiener Gemeinderatsklubs, dass jene, die der SPÖ empfehlen, ein bisschen nach rechts zu rücken, es nicht gut mit der Partei meinen würden.

Dem Koalitionspartner in Wien, den Neos, würde eine derartige Beschreibung des etatistischen Weges im Burgenland nie über die Lippen kommen. Doskozil hat einen (landes)gesetzlichen Mindestlohn umgesetzt, pflegende Angehörige werden beim Land angestellt, die mobile Pflege wurde monopolisiert. Das Land Burgenland hat ein Busunternehmen gegründet und ist mit einer Tochtergesellschaft der Landesimmobilien GmbH in den sozialen Wohnbau eingestiegen. In seinem Brief an die Gremien zählt Doskozil einige dieser Beispiele auf.

Dieser Sturm und Drang zur Verstaatlichung ist ein geradezu demonstrativ neuer (oder sehr alter?) Weg, den Doskozil für das Burgenland gewählt hat. Er spielt im parteiinternen Konflikt aber nur subkutan hinein. Denn es gibt so gut wie keine inhaltliche Auseinandersetzung damit. Das am Dienstag erschienene Interview des "Standard" mit der ehemaligen Staatssekretärin und späteren Siemens-Managerin Brigitte Ederer war einer der wenigen Debattenbeiträge dazu aus dem Inneren der SPÖ. Ederer ist wenig begeistert von Doskozils Politik, weil sie strukturell nichts ändere und nur an der Oberfläche kratze. Die Kritik wird ihn nur bedingt ärgern. Es war vor allem die Gleichgültigkeit seinem Weg gegenüber, die Doskozil, der gerne rotes Vorbild wäre, so störte. Das offenbart sich auch in seinem Brief. "Inhaltliche Debatten führen wir derzeit jedoch nicht."

Der von Rendi-Wagner insinuierte mögliche Rechtsruck macht sich in erster Linie an der Asylfrage fest. Der Ex-Verteidigungsminister, der 2015 noch als Polizeichef die Versorgung und den Transport von Flüchtlingen organisierte, steht heute für eine restriktive Linie bei Asyl und Zuwanderung. Rund 60 Prozent der FPÖ-Wähler halten Doskozil laut Umfrage für einen guten SPÖ-Spitzenkandidaten.

Die Asylfrage ist geklärt - eigentlich

Auf der anderen Seite verweist Rendi-Wagner bei Fragen zu Asyl und Migration stets auf den von Doskozil und Kärntens Peter Kaiser gemeinsam erarbeiteten Maßnahmen-Plan. Es ist Parteilinie, dass es Verfahrenszentren an den EU-Außengrenzen und vermehrt Rückführungsabkommen geben soll, um abgelehnte Asylwerber besser abschieben zu können. Doskozil wich zumindest bisher nicht darüber hinaus ab.

Der Unterschied: Ende August sagte Rendi-Wagner im "Sommergespräch" des ORF, sie "sehe keine Flüchtlingskrise", drei Wochen später warnte Doskozil davor, dass Österreich eine "Migrationssituation wie 2015" erleben werde. Es sind diametrale Aussagen und damit auch Signale. Inhaltlich lagen beide jeweils nur halb richtig. Denn im Vorjahr wurden sogar mehr Asylanträge gestellt als 2015, als man sicher von einer Krise sprechen konnte. Allerdings zog vor sieben Jahren zusätzlich noch eine weitere Million Menschen durch Österreich durch, die hier oft auch kurz versorgt, aber nicht registriert wurden. Von den 108.000 Asylwerbern im Vorjahr blieb dagegen nur rund ein Drittel im Land - kein Vergleich zu 2015.

Umgekehrt ist aber auch die Zuschreibung Rendi-Wagners aus dem Lager ihrer Kritiker fragwürdig. Sie wird von einigen Genossen in direkter Linie zu jenen gesehen, die der Sozialdemokratie einen "dritten Weg" verordnet haben, die wenig bodenständig sind und sich mittlerweile für teure Weine und Uhren mehr interessieren als für die Sorgen der einfachen Menschen.

Zwar entspricht die Parteichefin nicht dem Typus der Hacklerin, doch Rendi-Wagner und ihr engeres Team haben sich mittlerweile sehr nahe an die Gewerkschaft begeben. Fast alle Forderungen wurden zuletzt auch von der SPÖ übernommen. Dafür waren die Gewerkschafter bisher stets zur Stelle, wenn Rendi-Wagner in Bedrängnis kam.

Diese Nähe hat den Verdacht genährt, dass die aktuelle Parteispitze, um sozialpartnerschaftliche Eintracht bemüht, wieder in Richtung großer Koalition strebt. Doskozil hat zuletzt eine Präferenz für eine Zusammenarbeit mit Neos und Grünen offenbart. Auch das wäre eine strategische Frage, mit der sich die Partei beschäftigen könnte. Doch dazu ist vorerst keine Zeit.