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Unsere Probleme ernst nehmen? Nicht genügend!

Von Georg Hönigsberger

Politik
Wollen Kindern und Jugendlichen mehr Gehör verschaffen: Andrea Holz-Dahrenstaedt (Jugendanwaltschaft Salzburg), Ernst Berger (Kinder- und Jugendpsychiater), Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez (Netzwerk Kinderrechte), Birgit Satke ("Rat auf Draht") und Barbara Buchegger ("Safer Internet") (v.l.n.r.).
© Georg Hönigsberger

Der Sonderbericht "Kinderrechte und Corona" stellt der österreichischen Politik ein vernichtendes Zeugnis aus.


Seit 2011 sind die Rechte von Kindern und Jugendlichen in ein Bundesverfassungsgesetz gegossen. Dort heißt es unter anderem "Bei allen Kindern betreffenden Maßnahmen (...) muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein." Schon vor einem Jahr attestierte das "Netzwerk Kinderrechte Österreich", dass die Politik das Verfassungsgesetz "verschwiegen, ignoriert, missachtet" habe. In den Jahren der Pandemie seien die Mängel in den sozialen Systemen des Landes, die schon zuvor geherrscht hätten, noch deutlicher zutage getreten.

Im Netzwerk sind zahlreiche Organisationen wie etwa die Kinder- und Jugendanwaltschaften, Pfadfinder, Volkshilfe oder "Rat auf Draht" vertreten. In einem Sonderbericht "Kinderrechte und Corona" hat man zahlreiche Studien aus der Pandemie gesammelt und daraus Forderungen und Empfehlungen abgeleitet.

Am Donnerstag legte das Netzwerk seinen Sonderbericht vor. "Es gab im Zuge der Pandemie dramatische Entscheidungen und die Verantwortungsträger sind nicht einmal auf die Idee gekommen, das Bundesverfassungsgesetz einzubeziehen", sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Ernst Berger bei der Präsentation.

Die Schulschließungen zu Beginn der Pandemie seien nachvollziehbar, aber danach habe man versäumt, über Alternativen nachzudenken. "Wir hatten in Österreich nur ein Auf-zu-auf-zu", sagt Berger. Stattdessen wäre es wichtig gewesen, zumindest Teile des Betriebs stets aufrechtzuerhalten, etwa durch zusätzliches Personal und kleinere Gruppen. Immerhin habe der Gesundheitsminister die Schließung der Schulen als Fehler anerkannt.

Kinder durften nichts

Aber auch in anderen Bereichen seien die Kinder "im Denken der Verantwortlichen nicht vorhanden" gewesen, sagt Berger. Die Salzburger Kinder- und Jugendanwältin Andrea Holz-Dahrenstaedt: "Kinder durften in der Pandemie nichts machen. Für Seilbahnen, die Wirtschaft oder die Fußball-EM gab es Ausnahmen. Für Kinder nicht." Spielplätze waren gesperrt, für das Treffen des Freundes oder der Freundin setzte es Strafen, Kinder von getrennt lebenden Eltern war der Besuch des Vaters oder der Mutter verboten.

Kritisiert wird vom Netzwerk auch, dass Kinder und Jugendliche in den Pandemie-Jahren nicht gehört wurden. Auch Experten seien mit fachlichen Ratschlägen nicht zu den Entscheidungsträgern durchgedrungen. Im Sonderbericht meint ein Jugendlicher zur Performance der Verantwortlichen: "Unsere Probleme ernst nehmen? Nicht genügend!"

"Die Belastungen verschwinden nicht von heute auf morgen", betont Birgit Satke von der Beratungshotline "Rat auf Draht". So brauche es mehr Beratungsangebote und Therapieplätze. Immerhin seien durch die Pandemie wichtige Bezugspersonen wie Trainerinnen und Trainer in Sportvereinen weggefallen. Nach wie vor melden sich viele Jugendliche, die von Suizid-Gedanken, Essstörungen oder Selbstverletzungen berichten, schildert Satke.

Das Netzwerk verlangt als Konsequenz der Corona-Pandemie unter anderem die Einrichtung einer unabhängigen Kindermonitoringstelle zum Schutz der Kinderrechte. Außerdem sollte es als Kompensationsleistung für in der Pandemie gemachte Fehler psychosoziale Gesundheitsteams an allen Schulen geben.

Zur Ankündigung der Bundesregierung, die Pandemie aufarbeiten zu wollen, meint Netzwerk-Koordinatorin Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez: "Wir haben Vorarbeit geleistet. Jedes Ministerium kann sich unseren Bericht anschauen und nachlesen, was zu tun ist."