Am 400. Tag des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine kam es im österreichischen Parlament zu einer Premiere: Zum ersten Mal durfte hier der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprechen. Österreich ist eines der letzten EU-Länder, in dem Selenskyj vor dem Parlament noch nicht gesprochen hat. Nur Bulgarien und Ungarn fehlen jetzt noch. Das hätte schon vergangenes Jahr passieren sollen, scheiterte aber an SPÖ und FPÖ. Nun ist es mit einer Umgehungskonstruktion doch gelungen: Selenskyj trat nicht während einer Sitzung des Nationalrats auf, sondern bei einer Veranstaltung davor. Der Aufmerksamkeit tat dies keinen Abbruch, die Besucherränge waren voll, neben Österreichs Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen war auch der ukrainische Botschafter in Wien Wassyl Chymynez anwesend.
Selenskyj ging in seiner Rede in erster Linie auf die Rolle und Unterstützung Österreichs ein und lud Vertreter des Nationalrates zum Lokalaugenschein in die Ukraine ein. Im Gegensatz zu Reden in anderen europäischen Parlamenten forderte er dieses Mal auch keine Waffen- oder Munitionslieferungen. Er verzichtete auch auf einen Auftritt im Tarnanzug. Selenskyj bedankte sich in seiner knapp elfminütigen Rede vielmehr für die humanitäre Hilfe Österreichs. Er hielt sich dabei nicht lange mit Stehsätzen auf, sondern sprach Krankenhäuser in Wien, Linz und Graz an, in denen ukrainischen Brandopfer nach einem Hubschrauberabsturz behandelt worden waren. "Das war ein sehr wichtiger Ausdruck der Unterstützung", so Selenskyj. Der Fokus lag auf den Auswirkungen des Krieges, nicht den Verteidigungshandlungen. Es ging um die Opfer. "Wir verlieren Menschenleben", auch weil man Menschen dort, wo sich die Russen zurückgezogen hätten, nicht schnell genug medizinisch betreuen könne.
Humanitäre Unterstützung
Auch den Rest seiner Rede passte Selenskyj an Österreichs Diskussionen zum Krieg an: 174.000 Quadratkilometer seines Landes seien durch Minen und nicht explodierte Geschosse kontaminiert, so Selenskyj weiter. "Diese kontaminierten Gebiete sind so groß wie die doppelte Fläche von Österreich." Er erzählte von Handgranaten in Klavieren und Waschmaschinen und Stolperfallen in Gemüsegärten. Auf Minen kam der ukrainische Präsident wohl nicht zufällig zu sprechen, Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, der wegen des Staatsbesuchs seines schwedischen Amtskollegen Ulf Kristersson nicht anwesend war, sprach sich vor einem Monat noch gegen die Ausbildung ukrainischer Minenräumer aus.
Auch zur Neutralität hatte Selenskyj etwas vorbereitet, sprach Österreich aber nicht direkt an. Es sei wichtig, "moralisch nicht neutral gegenüber dem Bösen zu sein." Es gehe dabei nicht militärisch-politische Angelegenheiten – sprich: Neutralitätsfragen –, sondern darum, dass "ein Mensch immer ein Mensch bleiben muss."
Zum Abschluss bedankte sich Selenskyj einmal mehr für die humanitäre Hilfe, das Hilfsprogramm "Nachbar in Not" und die Unterstützung "bei der Räumung der Minen". Er freue sich auf den Zeitpunkt nach dem Krieg, wenn er sich bei Österreich für die Unterstützung bedanken könne, mit der die Ukraine verteidigt und der Frieden sichergestellt werden konnte.
SPÖ-Abwesenheit
Dass die FPÖ gegen die Rede Selenkskyjs protestieren will, hat Parteichef Herbert Kickl schon im Vorfeld angekündigt. Man verließ zu Beginn der Rede den Saal, und platzierte stattdessen Schilder mit den Botschaften "Platz für Neutralität" und "Platz für Frieden". Neben den Freiheitlichen fehlten aber auch viele SPÖ-Abgeordnete, darunter Parteichefin Pamela Rendi-Wagner. Sie sei krank, erklärte sich die SPÖ nach der Rede.
Von 40 SPÖ-Abgeordneten waren laut Neos nur 18 vor Ort. Die SPÖ widerspricht gegenüber der "Wiener Zeitung": Da es eine Veranstaltung war, gelte die übliche Sitzordnung nicht. Es könne sein, dass die Abgeordneten woanders gesessen seien. Man schätze die Anwesenheit auf zwei Drittel, heißt es aus der SPÖ und betont, dass es keine Anwesenheitspflicht gebe.
"Der Standard" berichtet unterdessen, dass die Parteispitze die Teilnahme ausdrücklich freigestellt habe, weil sie intern umstritten gewesen sei. Das alles bekam Selenskyj nicht mit. Er wird es vom ukrainischen Botschafter Chymynez aber wohl berichtet bekommen.