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Die rot-schwarz-rote Mark als Vorbild

Von Raffael Reithofer

Politik

Erst Tirol, nun wieder Kärnten, bald Salzburg? Rot und Schwarz können wieder miteinander regieren, Steiermarks Landeshauptmann Drexler singt sogar Hymnen auf die große Koalition. Ein Modell für den Bund?


Es soll bei einem Glaserl südsteirischen Weins in einer landwirtschaftlichen Fachschule geschehen sein, dass sich anno 2010 Franz Voves und Hermann Schützenhöfer ausgemacht haben, nicht weitere fünf Jahre zu streiten, sondern die Steiermark zu reformieren.

Franz Voves war damals seit fünf Jahren Landeshauptmann, der erste der SPÖ. ÖVP-Urgestein Schützenhöfer war sein Stellvertreter. Das Koalitionsklima zwischen 2005 und 2010 sei damals "wirklich verfeindet" gewesen sein, erinnert sich Heinz Wassermann, Zeithistoriker und Politikexperte am Institut für Journalismus und PR an der Grazer FH Joanneum: "Damals hat man eine körperlich spürbare Abneigung zwischen SPÖ- und ÖVP-Politikern gesehen. Gerade, dass sie sich nicht coram publico an die Gurgel gegangen sind."

Und auch der erfahrene Politikjournalist Ernst Sittinger von der "Kleinen Zeitung" kommentierte die Landesregierung Voves I anno 2010 mit den Worten: "Über allem liegt aber wie Mehltau das Unvermögen der Regierungsparteien, miteinander zu arbeiten."

Dreizehn Jahre später ist alles anders. Der nunmehrige Landeshauptmann Christopher Drexler lobte jüngst die "vertrauensvolle Zusammenarbeit" zwischen seiner ÖVP und der SPÖ. Zwei Tage nach Präsentation der schwarz-blauen Koalition in Niederösterreich betonte Drexler in seiner "Steiermarkrede" die "Gestaltungskraft bürgerlich-sozialdemokratischer Koalitionen". Er fügte an: "Hier und darüber hinaus."

Die Steiermark ist ein Beispiel, wie es den beiden einstigen Großparteien gelungen ist, die wechselseitige Ablehnung tatsächlich abzulegen. Laut Wassermann soll daran auch der heutige Landeshauptmann aus der zweiten Reihe mitgewirkt haben. Die zweite Landesregierung Voves zwischen 2010 und 2015 war nicht nur harmonischer, sondern vor allem inhaltlich wesentlich ambitionierter.

Die Regierung betrieb eine Verwaltungsreform, bei der mehrere Bezirke zusammengelegt und insbesondere die Zahl der Gemeinden von 542 auf 287 beinahe halbiert wurde - teils gegen heftigen Widerstand der örtlichen Bürgermeister beziehungsweise der Ortsbevölkerung.

Dass ÖVP und SPÖ auf pragmatischer Basis gut zusammenarbeiten können, ist angesichts des Aufstiegs einer fundamentaloppositionellen FPÖ unter Parteichef Herbert Kickl von Relevanz. Die Stärke der Blauen könnte Zweierkoalitionen mit kleinen Parteien rechnerisch verunmöglichen, gleichzeitig fällt beiden Parteien eine Zusammenarbeit mit Kickl schwer. Insofern könnte die die Steiermark einen gewissen Vorbildcharakter entfalten.

Große Koalition imBund in der Dauerkritik

In Tirol regiert Landeshauptmann Anton Mattle (ÖVP) seit vergangenem Oktober mit der SPÖ unter Georg Dornauer, die zweitplatzierte FPÖ blieb außen vor. Auch in Kärnten fanden die beiden ehemaligen Großparteien erneut zusammen, was wenig überraschend war. Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und ÖVP-Obmann Martin Gruber regieren seit fünf Jahren ruhig und sachlich. Auch in Salzburg ist eine große Koalition möglich, da der Fortsetzung der ÖVP-geführten Regierung mit Neos und Grünen vermutlich die Mehrheit fehlen wird.

Während auf Bundesebene die einstige SPÖ-ÖVP-Koalition unter Dauerkritik des Stillstandes und der Reformunwilligkeit stand, zeigte sich in der Steiermark, dass eine ambitionierte große Koalition, die eine Verwaltungsreform durchführt, in der Bevölkerung mitunter auch auf wenig Gegenliebe stößt. Denn in den Gemeinden, die im Rahmen der sogenannten Reformpartnerschaft unter Voves und Schützenhöfer miteinander fusioniert wurden, konnte bei den Landtagswahlen 2015 vor allem die FPÖ reüssieren, während ÖVP und SPÖ Verluste einfuhren. Das legt eine empirische Untersuchung von Heinz Wassermann nahe, der die Einzelergebnisse der 385 zusammengelegten mit den 157 nicht zusammengelegten Gemeinden miteinander verglich.

Freilich war die Gemeindestrukturreform von Voves und Schützenhöfer nicht der einzige Grund für den Aufstieg der FPÖ. Nachdem ÖVP-Funktionäre in der Steiermark nach der Wahl 2015 mit einer schwarz-blauen Koalition liebäugelten, überließ der in die Ecke gedrängte Franz Voves kurzerhand seinem inzwischen zum Freund gewordenen Vize Schützenhöfer als Chef der zweitgereihten ÖVP den Landeshauptmann-Sessel.

Steiermark nurein Sonderfall?

Voves hat sich damit innerhalb der steirischen SPÖ bis heute unbeliebt gemacht, der Parteivorsitz ging an seinen Vertrauten, den damals erst 35-jährigen Michael Schickhofer. Dieser sieht auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" drei Gründe für die gute Zusammenarbeit von SPÖ und ÖVP in der Steiermark: Erstens hätte die Reformpartnerschaft von Voves und Schützenhöfer dafür den Weg geebnet, zweitens mache es der Sozialdemokratie die Zusammenarbeit leichter, dass die ÖVP in der Steiermark unter Schützenhöfer weltanschaulich eher christlich-sozial eingestellt sei. Schützenhöfer und Drexler kommen beide aus dem ÖPV-Arbeitnehmerbund (ÖAAB), wobei sich Drexler leicht rechts von Schützenhöfer positioniert. "Mit dem Aufstieg von Sebastian Kurz 2017 ist es aber zunehmend schwierig geworden", sagt Schickhofer.

Drittens sei aber auch die Stimmung im steirischen Landtag unter allen Parteien noch vergleichsweise konziliant: "Man konnte mit Vertreterinnen und Vertretern aller Parteien auf ein Bier gehen." Schickhofer hat die Politik übrigens 2019 verlassen, als die SPÖ bei der Landtagswahl mehr als sechs Prozentpunkte verlor. Die Koalition konnte aber insgesamt ein Mandat dazugewinnen.

In Niederösterreich scheiterte Schwarz-Rot

Von einer regionalen Spezialität spricht man gegenüber der "Wiener Zeitung" auch im Büro von Drexler: Es sei womöglich eine steirische Besonderheit, "dass in unserem Land noch mehr miteinander geredet wird und so mehr Verständnis für die Positionen und Ansichten des anderen besteht als anderswo". Experte Wassermann relativiert: "Das ist in Vorarlberg, Tirol und Salzburg auch nicht anders. Das sollte man nicht zu sehr hochjazzen."

Allerdings stimmt Wassermann mit der These überein, dass sich SPÖ und ÖVP in den Kernländern der beiden Parteien, Wien und Niederösterreich, viel feindsinniger gegenüberstehen. Eine Koalition zwischen Schwarz und Rot wurde über Wochen zwar auch in Niederösterreich verhandelt, scheiterte dann aber kurz vor dem Abschluss, wobei sich beide Seiten seither die Schuld für das jähe Ende geben.

Auf der anderen Seite hat in Wien die ÖVP die Gangart gegenüber der regierenden SPÖ weiter verschärft. Für die Ebene des Bundes ist dieser Umstand eher von Bedeutung als Kärnten, Tirol und die Steiermark. In den Bundesparteien geben derzeit Wien (SPÖ) und Niederösterreich (ÖVP) den Ton an.