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Kickls Erfolg und die Folgen

Von Simon Rosner

Politik

Dass die FPÖ die Umfragen anführt, sorgt in anderen Parteien für Nervosität und schafft auch Fakten. Ein Überblick.


Dass die FPÖ im Bund in Umfragen seit Monaten auf dem ersten Platz ausgewiesen wird, sorgt bei den anderen Parteien für erhöhte Nervosität. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern war Parteichef Herbert Kickl wenig Strahlkraft über die blaue Kernklientel hinaus zugetraut worden: zu radikal, zu unbeliebt. Doch die FPÖ arbeitete sich von unter 20 auf zuletzt rund 30 Prozent hinauf. Umfragen sind zwar keine Wahlergebnisse, doch sie schufen bereits Fakten. Ein Rundblick.

ÖVP

Sebastian Kurz hatte der zuvor wenig konturierten Volkspartei das klare Profil einer rechtskonservativen Partei verpasst. Die Koalition mit der FPÖ war die logische Konsequenz, die Zusammenarbeit mit den Grünen einem Video aus Ibiza geschuldet. Als Karl Nehammer übernahm, wütete erst Omikron, dann Russland. Der neue Bundeskanzler war Krisenkanzler, der von der Zeitenwende und wohl auch seiner neuen Rolle auf der Weltbühne ergriffen war. Er flog zu Selenskyj und Putin, in den Niederungen der Innenpolitik hielt er sich selten auf.

Das einst von Kurz gezeichnete Profil verblasste aber, weil Nehammer auch bewusst den Verbinder geben wollte. Auf dem Parteitag im Mai stellte sich die ÖVP wieder selbst als heterogene Partei dar, für Bauern und Bürger, Alt und Jung, von modern bis traditionell. Ein Imagevideo zeigte eine Frau mit Rastazöpfen, urbane Hipster und Hardrocker - neben Schuhplattlern. In Umfragen ging es aber immer weiter runter. Im November wurde Ex-Kurz-Sprecher Gerald Fleischmann in die ÖVP-Zentrale geholt.

Mit dem Schengen-Veto, vor allem dann mit der "Österreich-Rede" hat Nehammer eine Image-Kehrtwende vollzogen. Es ist eine klar erkennbare strategische Volte, um den hunderttausenden Zuwanderern mit FPÖ-Hintergrund dauerhaft eine neue politische Heimat zu bieten. Die türkise Willkommenskultur äußert sich nicht nur in der Migrationsfrage, sondern auch mit Positionierungen zu gesellschaftspolitischen Aufregern. Es war wohl kein Zufall, dass Nehammer in seiner Rede Signalwörter wie "Klimaklebern" und "Gendern" verwendete. Beim Klimaschutz ist die Bundes-ÖVP gegenüber der Kurz-Ära sogar einen Schritt zurückgegangen - kommunikativ und faktisch. Auf Regierungsebene scheint bei sämtlichen Gesetzesinitiativen in diesem Bereich die Pausetaste gedrückt worden zu sein.

Hinwendung an die FPÖ?

In Zeiten täglicher Klimaproteste mag es jene berühren, die durch sie genervt sind. Doch wie wirkt diese Botschaft, wenn im Sommer in Europa, vielleicht sogar in Österreich, die Tanklaster für Trinkwasser ausrücken müssen? Der steirische ÖVP-Obmann Christopher Drexler hat jüngst von "der Herausforderung unserer Epoche" gesprochen, Nehammer dagegen zuletzt nur ein vages "Innovation!" kommuniziert. Das wird langfristig zu wenig sein für eine staatstragende Rolle.

Die Kehrtwende des Kanzlers, auch hinsichtlich der Corona-Politik, wo er "Aussöhnung" will, wird als Hinwendung an die FPÖ gedeutet. In Niederösterreich wurde eine Koalition mit den Freiheitlichen in ihrer radikalen Version auch Realität. Doch das ignoriert die Tatsache, dass Parteien selten bis über die laufende Periode hinausdenken, sondern von der Stimmenmaximierung bis zur Wahl getrieben sind. Inhaltlich liegt eine ÖVP-FPÖ-Koalition auf der Hand, aber das tut sie seit Jahrzehnten. Dennoch war und ist Schwarz-Blau nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Gelingt es der Volkspartei nicht, mit ihrem Kurswechsel vor den Blauen zu landen, ist es fraglich, ob sie Kickl zum Kanzler macht.

SPÖ

Ohne den Aufschwung der FPÖ in den Umfragen wäre die SPÖ kaum ins aktuelle Chaos geschlittert. Denn der Konflikt zwischen der Parteiführung und Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil schwelt seit Jahren, dennoch war es bis November weitgehend ruhig. Sogar das ernüchternde Ergebnis bei der Tirol-Wahl hatte zunächst keine Konsequenzen. Die Funktionärs-Riege war da noch nicht sehr nervös. Doch im Oktober zeichnete sich ein Aufwind für die FPÖ ab, im November war sie mit der SPÖ gleichauf. Erst dann, Ende des Monats, lancierte Doskozil jene Umfrage, die einer SPÖ unter ihm mehr Potenzial bescheinigte. Damit nahm eine Dynamik ihren Lauf, die nach der Wahl in Kärnten in der Eskalation mündete.

Derzeit befindet sich die Partei in einem unstrukturierten Prozess der Neuaufstellung. Zunächst einmal personell, doch bei einem Wechsel an der Parteispitze würden sich wohl auch die inhaltlichen Prioritäten und Signale verändern.

Doskozil glaubt, dass es der SPÖ nur unter ihm gelingen kann, erstmals seit 1979 eine Mehrheit jenseits von Schwarz-Blau zu erreichen. Unplausibel ist dieser Gedanke nicht, denn der ehemalige Verteidigungsminister strahlt nachweislich in Wählerschichten rechts der Mitte und er hat bei seiner ersten Landtagswahl im Burgenland auch tatsächlich FPÖ-Wähler in signifikanter Anzahl gewonnen.

Rote Rechenspiele

Was bisher nur eine interne Rechnung seines Lagers war, hat Doskozil im Ringen um den SPÖ-Vorsitz nun öffentlich gemacht, eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen und sich für Rot-Grün-Pink deklariert. Diese Offenheit könnte Doskozils Anschlussfähigkeit an Konservative unterlaufen. Wie viele werden wechseln, wenn sie glaubten, mit ihrer Stimme Rot-Grün-Pink zu unterstützen?

Andreas Babler strebt grundsätzlich dasselbe an, will weder mit FPÖ, noch mit der ÖVP zusammenarbeiten, doch er wirkt eher ins grüne und linke Milieu. Im Idealfall, so die Hoffnung des Babler-Lagers, spricht der Traiskirchner Bürgermeister jener Nicht- und Ex-Wähler an, die sich aus Enttäuschung von der SPÖ abwandten, die sich für mehr Umverteilung und die Abschöpfung von Vermögen zu begeistern sind. Beide Herausforderer von Parteichefin Pamela Rendi-Wagner würden eine Zäsur für die Partei bedeuten, im Fall von Doskozil auch, was die Rolle der Gewerkschaft in der Partei betrifft. Da sich die Sozialdemokraten aber gerade inmitten dieses Prozesses befinden, ist eine Analyse zukünftiger Positionierungen und Koalitionsoptionen sowie deren Chancen und Risiken nicht seriös vorzunehmen.

Grüne

Der Juniorpartner der ÖVP in der Bundesregierung verfügt über eine Stabilität, die viele den Grünen in dieser Koalition gar nicht zugetraut hätten - auch hinsichtlich der Umfragen. Sieht man von der kurzen Hausse in der ersten Pandemiephase ab, stehen die Grünen seit drei Jahren bei rund zehn Prozent. Das ist zwar weniger als bei der Wahl 2019, doch das war, zwei Jahre nach dem Raufwurf aus dem Parlament, bei vielen Grün-Sympathisanten auch die Wahl des schlechten Gewissens, die dann ins beste Ergebnis aller Zeiten mündete.

Die vielfach prognostizierte Massenabwanderung aufgrund der asymmetrischen Koalition mit der ÖVP fand bisher aber nicht statt. Was übrigens auch die These zum ewigen grünen Konflikt zwischen "Fundis" und "Realos" schlecht altern lässt. Der Großteil der Anhänger akzeptiert offensichtlich den beschränkten Rahmen des Möglichen in dieser Koalition. Wenn die ÖVP aber im Ringen um Profilierung bei den noch offenen Klimaschutz-Initiativen tatsächlich Ernst macht, wird sich auch bei den Grünen die Sinnfrage in dieser Koalition stellen.

Die Stärke der FPÖ bedeutet für sie aber auch, dass ein Weiterregieren nach der kommenden Wahl schwierig werden wird. Eine Zweierkoalition dürfte rechnerisch unmöglich sein, eine Dreierkoalition wie in Deutschland ist kompliziert.

Inhaltlich fokussieren die Grünen nach außen fast nur mehr auf Klimaschutz, zumal sie da mittlerweile einiges vorweisen können. Durch Leonore Gewessler in der Regierung und Lukas Hammer im Parlament hat die Partei die zwischenzeitlich verlorene Glaubwürdigkeit bei diesem Thema zurückgewonnen. Es war 2017 auch ein Grund für das Desaster, dass die Ökopartei ihre Kernkompetenz, den Umweltschutz, eingebüßt hatte. Das mittelfristige Problem: Werden sich Ministerinnen wie Gewessler und Alma Zadic nach einer Wahl, die keine Regierungsämter bringt, jahrelang ins Parlament setzen?

Neos

Die Entwicklung der Neos gleicht jenen der Grünen in deren Anfangsphase. Es geht zwar bergauf, aber nur sehr langsam. Während die Grünen die Opposition stets gut ausgehalten haben, entsteht bei den Pinken der Eindruck der Ungeduld. Seit ihrer Gründung drängen die Neos auf Mitgestaltung. Doch für die Liberalen gilt derzeit dasselbe wie für die Grünen: Je stärker die FPÖ, desto geringer die Chance auf eine Regierungsbeteiligung.

Dass die Neos vom Ende der Ära Kurz bisher nur wenig profitierten, ist zwar insofern naheliegend, weil die damals 37,5 Prozent der ÖVP in erster Linie der großen Wählerwanderung von Blau zu Türkis zu verdanken waren. Warum also sollten diese Gruppen, von der ÖVP enttäuscht, nun die Neos wählen? Doch da war ja noch etwas.

Der Abschied von Kurz war die Folge der Inseraten-Affäre samt staatsanwaltlicher Ermittlungen. Die Neos waren schnell mit dem Generalverdacht gegen die ÖVP zur Stelle. Die ÖVP habe kein Korruptionsproblem, sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, "die ÖVP ist ein Korruptionsproblem". Die Aussage war eine Pointe, wie man sie von einer Oppositionspartei erwarten kann. Und die direkte Konfrontation mit der Volkspartei ist aufgrund der Biografie der Partei auch logisch. Die Pinken propagieren, wie ihr Name verheißt, ein "neues Österreich" und die ÖVP-Chats dokumentieren, wie kaum eine Affäre davor, das alte Österreich mit seiner Parteibuchwirtschaft. Auch inhaltlich rückte die ÖVP in den vergangenen Wochen noch weiter weg (allerdings spreizt es sich inhaltlich auch mit einer SPÖ unter Doskozil, die "mehr Staat" verlangt).

Dennoch macht diese Frontstellung zur ÖVP den Weg für potenziell wechselwillige Türkise sehr weit. Es ist eine ähnliche Situation wie sie die seinerzeitige SPÖ-Doktrin zur FPÖ bedingte: Für die Partei und ihre Funktionäre funktioniert die entschiedene Ablehnung, die Anschlussfähigkeit für Wechselwähler geht verloren.