Zum Hauptinhalt springen

Wie das Klima ins Gesetz kommen kann

Von Barbara Sorge

Politik

Während Klagen für mehr Klimaschutz international immer öfter Erfolg haben, braucht es für diese Form der Bürgerbeteiligung in Österreich kreative Ansätze.


Die Auswirkungen des Klimawandels werden immer spürbarer. Gleichzeitig fühlen sich immer mehr Menschen von der Politik nicht ausreichend vor weiteren Verschlechterungen geschützt. Derzeit gibt es in Österreich etwa kein gültiges Klimaschutzgesetz (KSG). Das Gesetz, das die Treibhausgasbudgets pro Jahr festlegt, ist 2020 ausgelaufen. Seitdem gibt es keine gesetzlichen Zielwerte. Um unter anderem auf diese Problematik aufmerksam zu machen, nutzen Klimaaktivisten alle Formen der Bürgerbeteiligung. Das sind zum einen regelmäßige Demonstrationen, zu denen unter anderem die "Fridays for Future"-Bewegung aufruft. Derzeit sorgen zum Teil verzweifelt wirkende Klebe-Aktionen für Schlagzeilen. Zum anderen erreichte das Klima-Volksbegehren 2020 trotz der schwierigen Corona-Zeit 380.590 Unterschriften.

Neben der Mobilisierung der Straße wird immer wieder auch der Weg vor ein Gericht beschritten. Im Februar reichten zwölf Kinder und Jugendliche eine Klimaklage beim österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein. Sie bemängeln, dass die Bundesregierung durch fehlende Maßnahmen ihre Zukunft gefährden würde. Ende April möchte die Nichtregierungsorganisation AllRise, die 2021 den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wegen Zerstörung des Amazonas vor dem Internationalen Strafgerichtshof angezeigt hat, eine Staatshaftungsklage beim VfGH einreichen. Mit der Schadenersatzklage soll das Fehlverhalten des Gesetzgebers behandelt werden, weil dieser laut der NGO zu wenig für den Bodenschutz unternimmt.

Für Demokratieforscherin Tamara Ehs sind solche Klimaklagen ein weiterer Teil der staatsbürgerlichen Partizipation neben einer starken Zivilgesellschaft und den bürgerlichen Grund- und Freiheitsrechten. Gerade beim Klimaschutz werden alle Möglichkeiten der Beteiligung ausgeschöpft: "Mit der strategischen Prozessführung wird versucht, öffentliches Problembewusstsein aufzubauen und das politische Agenda Setting zu unterstützen." Allerdings würden die derzeitigen Regelungen keine einklagbaren Individualrechte darstellen, daher ist es nicht so leicht, den Staat mittels Klagen dazu zu bringen, mehr für den Klimaschutz zu tun.

So wurde zum Beispiel im Oktober 2020 eine Klage der Umweltschutzorganisation Greenpeace vom VfGH zum Teil deshalb zurückgewiesen, weil die Berechtigung fehlte, die Regelungen zur steuerlich "unfairen Bevorteilung" des klimaschädlichen Flugverkehrs gegenüber der Bahn überhaupt anzufechten. Als Bahnfahrer seien die Antragsteller nicht unmittelbar in ihren Rechten verletzt worden, so der VfGH damals.

Dieses Urteil hat laut Malte Kramme für Kritik in verfassungsrechtlichen Fachkreisen gesorgt. Der Jurist, der die Euregio-Stiftungsprofessur für Technik-, Mobilitäts-, und Nachhaltigkeitsrecht an der Uni Innsbruck hält, beobachtet inzwischen auf internationaler Ebene ein Umdenken. "Wir sind mitten in einer Entwicklung, dass man nicht mehr fragt, ob der Klimawandel wirklich den Einzelnen betrifft." Als Beispiel führt er den Klimabeschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts an.

Dieses hat Ende April 2021 das dortige Klimagesetz als teilweise verfassungswidrig eingestuft, weil die CO2-Einsparungen und damit die Lasten ab 2031 deutlich steigen würden. Das treffe vor allem die jetzt jungen Menschen. Ähnlich ist auch die Klage der Jugendlichen vom Februar in Österreich gelagert. Kramme hofft daher, dass der VfGH in diesem Fall anders entscheidet als beim ersten Mal und die persönliche Betroffenheit weiter auslegt, "weil es eine absehbare Entwicklung ist, dass, wenn wir jetzt nichts tun, wir hinterher einschneidende Maßnahmen erleben werden, die wir alle spüren".

Umweg über völkerrechtliche Verträge

Einen Wandel vollzieht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser hat im März erstmals eine Klimaklage zugelassen. Die Frauen des Vereins Klimaseniorinnen Schweiz mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren sehen ihre Gesundheit durch die Erderwärmung und die steigenden Temperaturen besonders bedroht. Sie wollen vor Gericht prüfen lassen, ob und auf welche Art Menschenrechte einzelne Staaten verpflichten, den Klimawandel aufzuhalten.

Den EGMR und die Europäische Konvention der Menschenrechte (EMRK), die auch in Österreich im Verfassungsrang steht, sieht auch Ehs als mögliches Einfallstor für Klimaklagen in Österreich. Der Völkerrechtler Ralph Janik erklärt, dass es im Vergleich zu anderen Ländern in Österreich schwieriger ist, besseren Klimaschutz einzuklagen. Er forscht an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien zu Völkerrecht und Menschenrechten und hat sich zuletzt in seinem Buch "Umwelt und Strafe: Überlegungen zum Ökozid" mit internationalem Umweltrecht auseinandergesetzt. "In Österreich muss man kreativer sein und den Umweg von völkerrechtlichen Verträgen gehen, da es kein eigenes Recht gibt", sagt er.

Demgegenüber hat das deutsche Bundesverfassungsgericht 2021 bestätigt, dass die Staatszielbestimmung zum Umweltschutz in Artikel 20a des Grundgesetzes eine "justiziable Rechtsnorm" ist, während sich der österreichische Verfassungsgerichtshof hier noch etwas ziert, führt Janik aus. Und in den Niederlanden würden NGOs mehr Klagsmöglichkeiten eingeräumt. Dort erreichte die umweltpolitische Stiftung Urgenda bereits 2015 - höchstgerichtlich bestätigt wurde das Urteil Ende 2019 -, dass die Regierung zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen verpflichtet wurde. Seit März 2020 gilt daher tagsüber ein geringeres Tempolimit von 100 km/h auf den Autobahnen.

Wie Kramme bemerkt auch Janik einen Wandel in der Rechtssprechung, doch sieht er eigentlich nicht die Gerichte als Ansprechpartner: "Der Rechtsweg wird derzeit nur so oft beschritten, weil der Gesetzgeber untätig bleibt." Für Ehs geht es bei der strategischen Prozessführung nicht darum, neue Gesetze zu erzwingen, sondern darum, den Rechtsrahmen zu konkretisieren, was etwa das ‚Recht auf Gesundheit‘ beinhaltet. Das kann den Nationalrat unter Zugzwang setzen, neue Mehrheiten zu finden. Das könnte dann auch so ausgehen, dass das jeweilige Gesetz abgeschwächt werde.

Klagen im Namen von Naturobjekten

Um den Klimaschutz auch in Österreich leichter durchsetzbar zu machen, könnte man ein individuelles Recht auf Klimaschutz einräumen, sagt Janik. Oder, wie es in anderen Ländern schon vereinzelt der Fall ist, Initiativen die Möglichkeit geben, im Namen einzelner Naturobjekte vor Gericht aufzutreten: "Der Neusiedler See kann nicht klagen. Da könnte dann eine Bürgerinitiative als Kläger auftreten," erläutert Janik.

Auf globaler Ebene könnte der Straftatbestand "Ökozid" im Völkerstrafrecht dafür sorgen, dass Menschen, die großflächig die Umwelt zerstören - wie zum Beispiel der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro durch die Abholzung des Regenwalds - zur Verantwortung gezogen werden, wie es derzeit bei Kriegsverbrechen der Fall ist.

"Das ist die Tragödie der Allmende", erklärt auch Malte Kramme, "dass man Schäden der Allgemeinheit aufhalsen kann, weil die Natur sich nicht selbst wehren kann." Daher sollten in einem neuen Klimaschutzgesetz auch Durchsetzungswerkzeuge vorgesehen werden: "Es sollte nicht bloß ein in Gesetzesform gegossenes Lippenbekenntnis zum Klimaschutz sein."