Verlängerte Grenzkontrollen zu Slowenien und Ungarn sind rechtswidrig, wenn Österreich nicht eine "ernsthafte Bedrohung" geltend macht. Darauf weist der Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck in der "Tiroler Tageszeitung" (Samstagausgabe) hin. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) argumentiert die Kontrollen mit einem "Migrationsdruck" - doch das allein reicht laut Obwexer nicht aus.
Obwohl die Geschleppten vor allem über Ungarn kämen, gebe es "einen Druck zunehmend auch auf dieser Seite", hatte Karner am Dienstagvormittag bei der Präsentation des Schlepperberichts 2022 gesagt. Daher "halte ich es für notwendig, weiter die Kontrollen aufrecht zu erhalten".
Obwexer sagt dagegen laut "TT": "Österreich muss eine neue ernsthafte Bedrohung geltend machen. Allein sich wieder auf die Migration zu beziehen, reicht nicht aus. Dann wären die neuen Grenzkontrollen rechtswidrig."
In einer E-Mail an die Apa erklärte Obwexer am Samstagnachmittag: "Diese Aussage habe ich so nicht gemacht; sie wäre auch nicht begründet. Gesagt habe ich, dass eine Verlängerung der Grenzkontrollen um weitere 6 Monate nach dem Schengener Grenzkodex dann rechtskonform ist, wenn Österreich eine neue ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit geltend gemacht und belegt hat. Ob dies zutrifft, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Mitteilung(en) Österreichs an die EU-Kommission und die anderen 26 Mitgliedstaaten nicht kenne."
Innenministerium geht auf Notwendigkeit einer Bedrohung nicht ein
In einer Aussendung des Innenministeriums am Samstag wird nicht auf die Notwendigkeit der Geltendmachung einer neuerlichen "ernsthaften Bedrohung" eingegangen, die Notwendigkeit verlängerter Grenzkontrollen dafür aber neuerlich mit Asylmissbrauch sowie der Bekämpfung von Schleppermafia, Terrorismus und organisierter Kriminalität argumentiert. Neben Österreich würden gleichzeitig auch Deutschland (zu Österreich), Frankreich (zu allen Nachbarstaaten), Dänemark (zu Deutschland), Norwegen und Schweden die Grenzkontrollen verlängern.
Auch die vom slowenischen Botschafter angedrohten Vergeltungsmaßnahmen wären laut Obwexer nicht rechtens. "In Ljubljana werden momentan alle Optionen geprüft, auch die Einführung von Grenzkontrollen zu Österreich", hatte Botschafter Aleksander Gerina gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" (Donnerstagsausgabe) gesagt. Doch auch hier könne man nicht mit einer Bedrohung der inneren Sicherheit argumentieren, so Obwexer.
EuGH verlangt Nachweis einer ernsthaften Bedrohung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im vergangenen April geurteilt, dass ein EU-Land im Schengenraum Grenzkontrollen im Fall einer ernsthaften Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit für maximal sechs Monate einführen darf. Danach brauche es den Nachweis einer neuen ernsthaften Bedrohung. Österreich scheine dies seit 2017 nicht nachgewiesen zu haben, heißt es in dem Urteil.
Damit könne eine Person bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat nicht gezwungen werden, ein Reisedokument vorzuzeigen. Letztlich müsse dies aber das Landesverwaltungsgericht Steiermark prüfen. Anlassfall war ein EU-Bürger, der sich bei der Einreise nach Österreich im August und November 2019 an der slowenisch-österreichischen Grenze weigerte, ein Dokument vorzulegen. Dies zog eine Geldstrafe in Höhe von 36 Euro nach sich. Knapp zwei Monate nach dem EuGH-Urteil stellte das Landesverwaltungsgericht Steiermark fest, dass die seit dem Jahr 2017 vollzogenen Kontrollen an Österreichs Grenze zu Slowenien rechtswidrig gewesen seien. (apa)
Update 17:30 Uhr: Der Titel wurde geändert, nachdem Walter Obwexer seinem Zitat in der "Tiroler Tageszeitung" widersprochen hat.