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In der Praxis ist so manches möglich

Von Patrick Krammer

Politik

Das Verfahren gegen Sophie Karmasin gibt Einblicke, wie es sich manche in Ministerien richten können. Eine Analyse.


Die ehemalige Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin steht derzeit vor dem Straflandesgericht Wien. Sie soll mit zwei anderen Unternehmerinnen wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen getroffen haben, um vom Sportministerium Aufträge für drei Studien zu bekommen. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat neben Karmasin einen zuständigen Abteilungsleiter angeklagt. Eine der Unternehmerinnen konnte sich mit der Staatsanwaltschaft diversionell einigen, die andere, Sabine Beinschab, hat Kronzeugenstatus.

Vorauseilender Gehorsam auf Beamtenebene

Der Prozess gibt neben der Frage einer strafrechtlichen Verantwortung auch Einblicke in die Praxis bei Auftragsvergaben durch Ministerien und ihre Probleme. Er zeigt, wie man mit Kontakten in die politische Ebene einen Fuß in die Tür bekommt und später auf Beamtenebene Fragwürdiges einfach hingenommen und als eine Art vorauseilender Gehorsam als Wunsch von oben verstanden wird. Prozesse, die Kontrolle und Qualität sichern sollen, werden dabei ebenso ad absurdum geführt wie interne Vorgaben.

Zurück zu Karmasin: Die Ex-Ministerin wandte sich mit einer Idee ans Ministerium. Sie hatte eine Studie erstellt und wollte die Ergebnisse zum Thema Verhaltensökonomie nun auf Themen des Sportministeriums anwenden. Vor Gericht sagte Karmasin, sie sei die Einzige gewesen, die das zu diesem Zeitpunkt so habe umsetzen können. Die Vertraute von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bekam auch prompt einen Termin mit einem der höchsten Beamten des Hauses, Philipp Trattner, der Heinz-Christian Straches stellvertretender Kabinettschef war und als Sektionschef für Sport gleich in der höchsten Beamtenebene installiert worden war.

Trattner bekam ihre Visitenkarte von einer Kabinettsmitarbeiterin, traf sie zum Essen und wollte mit Karmasin zusammenarbeiten. (Nach Bekanntwerden der Ermittlungen sah er bei sich keine Mitverantwortung, sondern verwies auf den mitangeklagten, ihm untergebenen Beamten.)

"Vergleichsangebote üblich, aber nicht vorgeschrieben"

Für Karmasin war klar, dass sie den Auftrag für die erste Studie bekommen wird. Sie sagte sogar mehrfach aus, dass sie ihn schon vor dem Einholen der Vergleichsangebote bekommen hat. Er sei ihr mündlich erteilt worden, sie sei mit den zuständigen Beamten des Sportministeriums stundenlang zusammengesessen, habe am Konzept gearbeitet und positive Rückmeldungen dazu bekommen. Alles vor dem Einholen von Vergleichsangeboten, die Karmasin selbst organisiert und teils mitformuliert hat. Auch bei den Preisen der Mitbewerber habe sie mitgesprochen. Die Vergleichsangebote waren nur Fingerübung für die "nachträgliche Dokumentation". Eine "Formalität". Man hat im Nachhinein einen Prozess im Sportministerium dokumentiert, der so nie stattgefunden hat.

"Vergleichsangebote sind im Gesetz nicht explizit vorgesehen aber allgemein üblich. Interessanterweise steht in den Erläuterungen zum Gesetz, dass Vergleichsangebote einzuholen sind", sagt Martin Kreutner zur "Wiener Zeitung". Er ist Korruptionsexperte, leitete die Anti-Korruptionsakademie und ist Proponent des Anti-Korruptionsvolksbegehrens, das mehr als 300.000 Personen unterschrieben haben.

Dass der Sinn der Vergleichsangebote ad absurdum geführt wurde, gibt Karmasin auch unumwunden zu. Die seien nie ernstzunehmen, sondern nur "für die Schublade" gewesen. Das Ministerium habe sie gebeten, Firmen für Vergleichsangebote zu organisieren. Karmasin verwendete vor Gericht dabei immer wieder den Begriff "vertrauenswürdige Unternehmen", konnte aber nicht erklären, was sie damit konkret meint. Es sei auch das Sportministerium gewesen, das ihr gesagt hätte, die anderen beiden angebotslegenden Unternehmen sollten als Subauftragnehmer beauftragt werden. Korruptionsbekämpfende Maßnahmen wurden als eine lästige, nicht ernst zu nehmende Aufgabe gesehen. Ein Problembewusstsein fehlt.

Grenzen für Vergaben wurden angehoben

Gesetzlich können Aufträge unter 100.000 Euro von öffentlichen Stellen ohne großes Tamtam direkt vergeben werden. Die Grenze war früher erheblich weiter unten angesetzt, bei 40.000 Euro, doch nach der Wirtschaftskrise 2009 argumentierte der Bund, dass man den Gemeinden schnell einfache Investitionen ermöglichen müsse. Die Grenze wurde angehoben und nie wieder gesenkt.

Es gibt auch keine Daten, ob Gemeinden von dieser Regel wirklich profitieren oder sie primär dem Bund zugutekommt. Wie hoch die durchschnittliche Auftragsvergabe der österreichischen Gemeinden ist, können auf Anfrage weder der Gemeindebund noch das Zentrum für Verwaltung und Forschung (KDZ) sagen, das zu Kommunalfinanzen forscht.

Um bei Direktvergaben Missbrauch nicht Tür und Tor zu öffnen, haben mehrere Ministerien interne Regeln eingeführt. Mit Vergleichsangeboten sollen Beamte zumindest ein Gefühl für die Preisgestaltung bekommen. Man holt sich Angebote von anderen Firmen ein und vergleicht sie qualitativ und preislich. Nur so können Ministerien feststellen, wie ein vorliegendes Angebot einzuschätzen ist. Dabei gibt es nicht einmal die Regel des Billigstbieters, sondern des Bestbieters, wie Karmasins Anwalt Norbert Wess und Beamte des Sportministeriums in diesem Prozess betonen. Teil von Karmasins Verteidigungsstrategie ist es sogar, auf die sinnentfremdeten Vergleichsangebote hinzuweisen: Wess argumentiert, dass das Sportministerium nie an einem Wettbewerb interessiert gewesen sei, der Vorwurf der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen deshalb ins Leere gehe. Das Ministerium habe nie vorgehabt, jemand anderen als Karmasin zu beauftragen. Wenn es keinen Wettbewerb gab, konnte dieser auch nicht manipuliert werden, lautet die Argumentation ihrer Anwälte.

Schlampige Verhältnisse im Ministerium

Nicht nur Karmasin fehlt das Problembewusstsein, sondern es fehlt auch dem Zweitangeklagte und anderen Beamte des Ministeriums, die als Zeugen geladen waren. Während der ersten beiden Verfahrenstage wurden sie immer wieder auf Dinge angesprochen, die sich mit den Vorstellungen einer sauberen Vergabe schwer in Einklang bringen lassen. So hatten die Firmen lediglich zwei Tage Zeit, ein Angebot zu erarbeiten, das mit jenem von Karmasin mithalten können sollte. Die Beamten mussten wissen, dass Karmasin ihr Angebot schon längst fertig hatte, wurde sie doch um Kontakte zu Unternehmen gebeten, die mitbieten sollten. Die Zweitagesfrist sei ein administrativer Fehler gewesen, sagte der Mitangeklagte. Dass Karmasin diese Kontakte organisieren sollte, "ist ein völliges No-Go und widerspricht auch dem Befangenheitsgrundsatz und dem fairen Wettbewerb", so Kreutner.

Der Beamte widersprach der ehemaligen Familienministerin bei ihrer angeblichen mündlichen Beauftragung. Ein anderes Unternehmen hätte sehr wohl beauftragt werden können, der Beamte sagte aber auch, dass für ihn klar war, dass seine Vorgesetzten mit Karmasin zusammenarbeiten wollten. Außerdem sei es nicht das einzige Mal gewesen, dass man sich von einer potenziellen Auftragnehmerin Unternehmen für Vergleichsangebote vorschlagen habe lassen. Nachträglich eingeholte Angebote "für die Schublade" scheinen im Ministerium öfter vorzukommen.

Eine Beamtin, die erst bei der Auftragsvergabe der dritten Studie dazukam, sagte vor Gericht aus, sie habe die Anweisung bekommen, Vergleichsangebote genau so einzuholen, wie dies bei den vorherigen beiden Studien geschehen ist, also Beinschab, eine zweite Unternehmerin und Karmasin zur Anbotslegung einladen. Dabei hatte die Ministeriumsmitarbeiterin schon ein Konzept von Karmasin zu genau der Studie in der Hand, von der sie Karmasin erst informieren sollte. Karmasins Anwalt Wess fragte die Zeugin, ob ihr das nicht seltsam vorgekommen sei. Doch die Zeugin erwiderte nur, dass das schon bei den beiden vorherigen Auftragsvergaben so passiert sei.

Der Vorgesetzte des angeklagten Abteilungsleiters, Sport-Sektionschef Trattner, sagte zwar, dass er Karmasin nie etwas versprochen habe. Gleichzeitig konfrontierte ihn der Richter mit seiner Kommunikation mit Karmasin. Sie beschwerte sich laut "Standard" über eine schlechte Auftragslage. Trattner schrieb ihr daraufhin: "Da finden wir eine Lösung." Und weiter: "Wir werden ein Projekt erarbeiten." Für Anti-Korruptionsexperte Kreutner sind solche Nachrichten problematisch: "Im Sinne der Objektivitäts- und Unparteilichkeitsgebote sowohl des Vergaberechts, des Wettbewerbsrechts als auch des Beamtendienstrechts ist die bekanntgewordene Vorgangsweise der beamteten Entscheidungsträger zumindest aus Compliance-Überlegungen mehr als nur fragwürdig", sagt Kreutner dazu so diplomatisch wie nur irgendwie möglich. Karmasin jedenfalls freute sich: "Du bist und bleibst spitze", schrieb sie an Trattner zurück.