Solidarität wiederherstellen und für zukünftige Krisen lernen. So beschreibt die Bundesregierung die Ziele ihres Projekts zur Pandemie-Aufarbeitung. Drei Jahre lang habe man im Ausnahmezustand gelebt, die Politik habe weitreichende Entscheidungen treffen müssen und Maßnahmen verhängt, "die Menschenleben retten konnten, aber auch zur Polarisierung und Verunsicherung in der Gesellschaft geführt haben", sagte Verfassungsministerin Karoline Edtstadler bei der Präsentation des Vorhabens am Donnerstag.
Im Zentrum des Prozesses soll nun eine sozialwissenschaftliche Analyse der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) stehen. Vier Schwerpunkte werden dabei gesetzt: Wie kommt es zur Polarisierung in einer Gesellschaft? Was macht gute Politikberatung und öffentliche Kommunikation aus? Woher kommt Wissenschaftsskepsis und wie ist damit umzugehen? Im Zuge des vierten Punktes mit dem Titel "politische Zielkonflikte" soll außerdem erforscht werden, wo sich im Laufe der Pandemie Positionen verfestigt haben und Dialogmöglichkeiten verpasst wurden, führte Alexander Bogner von der ÖAW aus. Bis Jahresende soll ein Abschlussbericht vorliegen.
Gesundheitsminister Johannes Rauch kündigte außerdem die Erstellung eines neuen Pandemieplans und eine Überarbeitung des Epidemiegesetzes an – hier sollen Erkenntnisse aus der Analyse ebenso einfließen wie vorliegende Rechnungshofberichte. Abgeschlossen sei der Prozess, "wenn wir es schaffen, Gräben zuzuschütten", sagte Edtstadler.

"Eine Konsenserwartung würde ich nicht haben"

Doch kann das gelingen? Die Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller ist skeptisch. Sie hat am Projekt "Austria Corona Panel" mitgearbeitet, im Zuge dessen Umfragen zur Einstellung der Bevölkerung zur Pandemie durchgeführt wurden. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sollen nun auch in die Fallstudie zur Wissenschaftsskepsis einfließen. "Eine Konsenserwartung würde ich jetzt nicht haben", sagt Partheymüller zur "Wiener Zeitung". Meinungen hätten sich schon zu Beginn der Pabndemie gebildet, seither verfestigt. "Es ist einfach so, dass in einer Gesellschaft Menschen unterschiedliche Meinungen haben. In der Pandemie war das teilweise anstrengend, teilweise polarisiert. Aber das gehört zu einer Demokratie, damit müssen wir leben."
Vielmehr gehe es nun darum, für die Zukunft zu lernen – und im konkreten Fall dem Problem der Wissenschaftsskepsis auf den Grund zu gehen. Eine Erkenntnis aus der Pandemie sei jedenfalls, dass in Teilen der Bevölkerung Desinteresse oder Ablehnung gegenüber der Wissenschaft vorherrsche.
Daran gelte es auch mit Blick auf zukünftige Krisen zu arbeiten. Partheymüller nennt den Kampf gegen den Klimawandel als Beispiel. "Es wird wieder so sein, dass die Menschen mitmachen müssen, neue Haltungen oder Verhaltensänderungen einbauen. Wenn man gar kein Vertrauen hat in wissenschaftliche Erkenntnisse, ist es natürlich schwierig, hier Unterstützung zu finden", sagt Partheymüller.

Eine kritische Selbstbeobachtung fehlt

Das Lernen für die Zukunft betont auch Wolfgang Gratz, Jurist, Organisationsexperte und einer der Proponenten der "Initiative bessere Verwaltung". Doch sieht er diesbezüglich auch Bedarf in Feldern, die vom nun gestarteten Aufarbeitungsprozess kaum umfasst scheinen. Der sozialwissenschaftliche Zugang mit einem Fokus auf die Bevölkerung sei zwar interessant. Was laut Gratz aber fehle, sei "kritische Selbstbeobachtung". Er führt aus: "Wie hat das politisch-administrative System in dieser Zeit funktioniert? Was hat es gelernt, was hat es nicht gelernt?" Für Gratz, der sich mit staatlichem Krisenmanagement beschäftigte, würden sich etliche Fragen ergeben: "Wie wurde da gearbeitet? Wie wurden Informationen zusammengetragen und ausgewertet, welche Gremien hat man warum eingesetzt? Wie sind politische Entscheidungen erfolgt, wie die Einbindung der Zivilgesellschaft?"
Denn ein funktionierendes Staatswesen, das aus Krisen lernt und zukunftsorientiert handelt, sei die Grundlage für Vertrauen innerhalb der Bevölkerung. Bestehe dieses Vertrauen nicht, führe das in Kombination mit bestehenden Zukunftsängsten "zu Aggressionen, die sich im politischen und öffentlichen Diskurs so äußern, wie wir es die letzten drei Jahre gesehen haben". Doch die Entwicklung, Diskussion und Umsetzung von Zukunftsentwürfen komme im politischen Diskurs zu kurz – nicht nur in Bezug auf die Pandemieaufarbeitung, sondern etwa auch Themen wie Digitalisierung oder Klimapolitik, kritisiert Gratz. Es gehe also nicht vorwiegend darum, Gräben zuzuschütten, "sondern etwas Sinnvolles zu bauen".