Der Bodenverbrauch in Österreich ist ungebrochen hoch. Täglich werden 11,3 Hektar Boden verbaut, das entspricht etwa 16 Fußballfeldern. Noch immer - denn bereits vor 20 Jahren stand der Zielwert von 2,5 Hektar täglichen Bodenverbrauchs in der Nachhaltigkeitsstrategie der damaligen Bundesregierung. Und auch die aktuelle Bundesregierung hat sich diese Zielvorgabe ins Regierungsprogramm geschrieben. Erreicht werden soll die Reduktion bis 2030 - nunmehr in sieben Jahren. Im Oktober 2021 wurde unter der damaligen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) die Bodenschutzstrategie auf den Weg gebracht. Sie sollte Ende 2022 präsentiert werden.
Präsentation "im ersten Halbjahr"
Der nunmehrig zuständige Minister Norbert Totschnig (ÖVP) vertröstete auf Nachfrage immer wieder auf eine Präsentation im Laufe des Jahres. Dieses Mal heißt es in einer Information des Ministeriums, dass die zuständige Organisation, die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK), intensiv an der Fertigstellung der Bodenstrategie arbeite und noch im ersten Halbjahr der Termin zum Beschluss des Strategiepapiers im Rahmen einer politischen ÖROK-Sitzung stattfinden solle.
Darauf, die Bodenstrategie endlich einer politischen Beschlussfassung zuzuführen, und mit der Umsetzung zu beginnen, drängten am Donnerstag mehrere Wissenschafter der Scientists for Future in einer Pressekonferenz, in der auch ein offener Brief an den Landwirtschaftsminister präsentiert wurde. Darin fragen sie: "Wo bleibt der Schutz unserer Böden?" 175 Wissenschafter und Wissenschafterinnen haben ihn unterzeichnet.
Konkrete Maßnahmen und eine koordinierte Strategie des Bundes, mit der die Bundesländer stärker in die Pflicht genommen werden und Handlungsdruck von den oft überforderten Bürgermeistern genommen werde, seien überfällig, denn "ich will mir nicht vorstellen, wie Österreich 2050 sonst aussieht. Wir schneiden uns unsere Lebensgrundlagen ab. Es muss etwas passieren!", sagte der ehemalige BOKU-Rektor, Ökologe und Bodenkundler Martin Gerzabek beim Pressegespräch des Wissenschaftsnetzwerkes Diskurs. Bis 2050 sehen EU-Vorgaben einen Netto-0-Bodenverbrauch vor. Das Ziel, den Bodenverbrauch bis 2030 auf 2,5 ha pro Tag zu senken, würde Österreich "mit Sicherheit nicht erreichen", sagte BOKU-Agrarwissenschafter Franz Fehr.
Dabei seien genügend intakte Böden nicht nur als CO2-Speicher wichtig - laut Renate Christ, der ehemaligen Leiterin des IPCC-Sekretariats, werden derzeit 29 Prozent der globalen CO2-Emissionen von Böden gebunden -, sondern sind auch für die Nahrungsmittelsicherheit entscheidend. Gerzabek ortet für die Zukunft einen "doppelten Zielkonflikt". Einerseits würden künftig große Flächen für die Erzeugung erneuerbarer Energie benötigt, andererseits brauche Österreich "schon längst jede fruchtbare Fläche", da durch den Klimawandel die Ertragsfähigkeit bei Pflanzen wie Winterweizen oder Körnermais abnehme. Es gäbe aber auch Länder wie China und Russland, die vom Klimawandel etwa durch das Auftauen der Permafrostböden profitieren werden.
EU-weit habe auch Österreich 2004 eine Bodenschutz-Strategie per Veto verhindert, sagte Gerzabek. Nun sei auf europäischer Ebene als Teil der EU-Bodenstrategie für 2030 ein Bodengesundheitsgesetz in Entwicklung. Dieses würde zumindest den Druck auf die nationalen Regierungen erhöhen.
Druck über Verfassungsgerichtshof
Den Druck erhöhen will auch die auf Klimaklagen fokussierte österreichische NGO AllRise. Diese hat am Donnerstag eine Staatshaftungsklage wegen des Bodenverbrauchs gegen die Republik beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Die Konsequenzen des politischen Fehlversagens hätte der Bürger zu tragen, sagte der Initiator von AllRise, Johannes Wesemann, vor Journalisten. "Wir glauben, dass der Kampf gegen die Klimakrise zu einem Gutteil auf den Gerichtshöfen stattfinden wird, weil wir einfach klare Entscheidungen brauchen und die Politik diese nicht liefert."
Das Vorhaben wurde über eine Crowdfunding-Kampagne finanziert. 25.000 Euro konnten gesammelt werden. Die Aktion läuft noch bis Ende Mai, um das Ziel vor 32.000 Euro zu erreichen. Unterstützung erhielt die NGO mit ihrer Klage von den Neos. (bs)