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Die Preise gurken nach oben

Von Karolina Heinemann, Vilja Schiretz und Kevin Yang

Politik

Die Regierung strauchelt bei der Bekämpfung der Teuerung. Ein Lebensmittelgipfel blieb ohne Ergebnis.


Es ist teurer geworden. Im April kletterten die Preise in Österreich um weitere 9,8 Prozent in die Höhe, weit höher als im europäischen Durchschnitt mit 7 oder in Deutschland mit 7,8 Prozent. Noch wesentlich geringer ist die Teuerungsrate in Spanien: Mit 3,8 Prozent gehörte sie zu den niedrigsten in Europa.

Das südeuropäische Land hat früh auf Markteingriffe gesetzt; schon im Mai 2022 führte Spanien gemeinsam mit Portugal einen Strom- und Gaspreisdeckel ein. Ein Mietpreisdeckel und die Aussetzung oder Senkung der Mehrwertsteuer auf ausgewählte Nahrungsmittel folgten. Auch andere europäische Staaten setzten - mal mehr, mal weniger erfolgreich - auf Eingriffe in den Markt, um der massiven Teuerung Herr zu werden.

Österreich setzte auf Einmalzahlungen

Die österreichische Bundesregierung beschritt einen anderen Weg. Vor allem mit Einmalzahlungen wollte man Bevölkerung und Unternehmen unter die Arme greifen, vom Klimabonus für alle bis hin zu Energiekostenzuschüssen für Unternehmen. Bei starken Eingriffen in den Markt zeigte man sich skeptisch, diese halte er für gefährlich, sagte Wirtschaftsminister Martin Kocher etwa im März.

Die Opposition sieht das freilich anders. Erst vergangene Woche wiederholte beispielsweise die SPÖ ihre Forderung nach einer Streichung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, FPÖ und Gewerkschaftsbund befürworten diese ebenfalls. Die Neos fordern die Regierung dagegen auf, die "Gießkanne", mit der Förderungen und Hilfszahlungen verteilt wurden, einzupacken. Denn das sei wiederum inflationssteigernd, warnte auch Christoph Badelt, Chef des Fiskalrats.

Doch die türkis-grüne Bundesregierung zeigte sich lange zuversichtlich, in Sachen Inflationsbekämpfung den richtigen Weg gewählt zu haben. Erst Mitte April verteidigte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) das österreichische Vorgehen: Zwar sei nicht immer eine treffsichere Förderung gelungen, räumte der Finanzminister ein, man habe die Maßnahmen aber stets mit Experten abgestimmt und "sich "zurückgehalten, was die Gießkanne betrifft". Die österreichische Inflation sei im EU-Vergleich nach wie vor hoch, doch das Haushaltseinkommen sogar leicht gestiegen, während hier andere europäische Länder mit geringerer Teuerung Einbußen hinnehmen mussten.

Allerdings tat sich die Regierung zuletzt schwer, sich auf weitere Antiteuerungsmaßnahmen zu verständigen. War man sich bei der Einführung der Strompreisbremse Ende 2022 noch weitgehend einig, scheiterten die Verhandlungen zu einer Mietpreisbremse. Schien es im Februar noch, als hätten sich ÖVP und Grüne auf ein Modell verständigt, das vorsah, den Anstieg der Richtwertmieten auf drei Jahre zu verteilen, konnte man sich schlussendlich bloß auf einen Wohnkostenzuschuss für einkommensschwache Haushalte verständigen - ein Kompromiss, mit dem wohl niemand wirklich glücklich war, woraus die Grünen auch keinen Hehl machten.

Denn vor allem innerhalb der ÖVP gab es in Bezug auf die Mietpreisbremse große Auffassungsunterschiede: Während sich der Seniorenbund etwa klar für eine solche aussprach, wollten andere Interessensgruppen innerhalb der Volkspartei Erleichterungen für Eigentümer und Vermieter wie etwa einen Entfall der Grunderwerbssteuer für das erste Eigenheim herausschlagen.

Lebensmittelgipfel sollte Antworten liefern

Nun will man offenbar die weiterhin steigenden Lebensmittelpreise in Angriff nehmen. Der von Vizekanzler Kogler und Sozialminister Rauch einberufene Lebensmittelgipfel am Montag, an dem auch Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) sowie 40 Fachleute aus Handel, Industrie, Landwirtschat und Sozialbereich teilnahmen, sollte Klarheit schaffen, wer von den hohen Preisen profitiert, wo sich die Preistreiber befinden und wie die Teuerung im Lebensmittelsektor gebremst werden könnte.

Doch Schuld an den hohen Preisen will keiner haben, schon gar nicht der heimische Lebensmittelhandel. Dieser sieht in Österreich den Wettbewerb als ausreichend an und schiebt die Schuld auf die Energiekonzerne. Die Bauern streichen hervor, die Erzeugerpreise seien zuletzt gesunken und sie würden daher nicht profitieren. Die Arbeiterkammer sieht in einer Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel ein probates Mittel. Das gewerkschaftsnahe Momentum Institut hob hervor, dass eine Steuersenkung auf Lebensmittel vor allem einkommensschwächere Haushalte entlasten würde. Geht es nach der Armutskonferenz, sollte eine Preisdatenbank eingeführt werden.

Konkrete Ergebnisse brachte der Lebensmittelgipfel vorerst jedoch keine. Besprochen wurde das französische Modell - also die Möglichkeit für Supermärkte, Preise diverser Artikel auf freiwilliger Basis für eine gewisse Zeit einzufrieren - sowie die Inkongruenz der bereits gesunkenen Preise der Bauern und jenen stetig teuren des Supermarkts. Auch will man über Möglichkeiten zur Preistransparenz nachdenken und nach Lösungen suchen, Tafeln und Sozialmärkte mit mehr Lebensmitteln auszustatten. Einig scheint man sich lediglich zu sein, dass weitere Gespräche folgen sollen.

In der Zwischenzeit bleiben die Preissteigerungen bei Lebensmittel im Alltag deutlich spürbar: Durchschnittlich gab es hier in den vergangenen Monaten einen Anstieg von 15 Prozent; bislang hatte man sich seitens Politik bei der Teuerungsbekämpfung allerdings eher auf Energie- und Ölpreise konzentriert. Vor allem für jene Haushalte, die schon vor der Krise mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, ist es schwierig, die hohen Preise in den Supermärkten zu stemmen. Wann der Gipfel dieser Teuerungswelle erreicht ist, und die Preise wieder sinken, ist ungewiss.

Wer sich vor den Teuerungen auch außerhalb des Supermarkts ein Bild machen möchte, kann Vergleichsportale heranziehen. Eine Unterstützung bietet der Preischeck der Arbeiterkammer. So lag der monatliche Warenkorb im Vergleich zwischen Diskonter und Rewe-Group bei 63,49 Euro (Hofer) und 76,26 Euro (Billa). Besonders auffällig: Markenprodukte. Der Preis für eine Tafel Milka etwa stieg bei Rewe, Interspar und Lidl um 7,8 Prozent und kostete im April 1,39 Euro; beim Diskonter Hofer bekam man den gleichen Artikel gewohnt günstiger (1,19 Euro), allerdings mit einer Steigerung von 12,3 Prozent. Am meisten blutet der Geldbeutel aber bei Produkten, die man bislang günstiger erstehen konnte. So steht die Salatgurke im Ranking der Lebensmittel-Inflationsrate derzeit bei 32,3 Prozent.

"Gießkanne" heizt die Nachfrage an

Hat die Bundesregierung in Sachen Inflationsbekämpfung bisher auf das falsche Pferd gesetzt? Waren Einmalzahlungen das richtige Mittel, oder hätte auch Österreich stärkere Markteingriffe überlegen sollen? "Was ist das Ziel?", fragt sich Makroökonom Sebastian Koch vom Institut für höhere Studien. Er vermisst in der gesamten Teuerungsdebatte die Prioritätenstellung. "Geht es um die Bekämpfung der Inflation oder der Absicherungen vor sozialen Verwerfungen?", sagt Koch.

Denn beides mit einer Maßnahme zu bekämpfen, ist laut dem Wirtschaftsforscher nicht möglich. Das "Gießkannenprinzip", wonach Geld in der Breite der Bevölkerung ausgeschüttet wird, heizt die Nachfrage und in weiterer Folge die Teuerung nur noch weiter an. "Die Frage ist: Muss ich Schokolade von der Mehrwertsteuer runtersetzen? Es geht darum, zielgerichtet zu unterstützen", sagt Koch. Der Ökonom präferiert vorerst, inflationsfördernde Maßnahmen wie die Pendlerpauschale abzustellen. Sozialpolitische Absicherungen sollten zielgerichtet direkt über Transferzahlungen organisiert werden.

Preise sind für Kunden intransparent

Marktinterventionen, in Form von staatlichen Eingriffen in die Preisgestaltung einzelner Marktteilnehmern wurden von den meisten Ökonomen bisher abgelehnt, da die Gefahr von Marktverzerrungen zu groß sei. In Anbetracht nun auseinanderklaffender Inflationsraten driftet Österreich zunehmend von jener Deutschlands ab. Selbst Wifo-Chef Gabriel Felbermayr rät der Politik, in Preise einzugreifen, denn die unterschiedlichen Inflationsraten würden letztlich die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs im Euroraum gefährden. Für Sebastian Koch steht fest: "Nebenwirkungen wird es immer geben", und es sollten zuerst Subventionen eingestellt werden.

Abseits von Maßnahmen zur Senkung oder Abfederung der Inflation betont Koch auch die Notwendigkeit von transparenten Preisen. "Der Konsument wird von der Information abgeschnitten", sagt der Ökonom. "Er bekommt Informationen nur auf Abruf." In puncto Preistransparenz wünscht er sich konkrete Vorschläge, so wie die Markttransparenzstelle im deutschen Kartellamt. Denn in Österreich sieht er die bisherigen Instrumente nur für brancheninterne Preisvergleiche dienlich. Einen effektiven Nutzen für den Konsumenten haben sie nicht. Ob der Lebensmittelgipfel hier ein Anstoß für künftige Verbesserungen war, wird sich weisen.