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Patient Pflege

Von Georg Hönigsberger

Politik

Betten bleiben wegen Personalmangels gesperrt, Nachwuchs fehlt, die Arbeitsbedingungen sind äußerst belastend.


Pflegenotstand herrsche in Österreich, heißt es. 75.000 Pflegekräfte fehlen bis 2030, verlautbart der niederösterreichische Samariterbund, die Freiheitsbeschränkungen in Pflegeheimen sind im Vorjahr drastisch angestiegen, erklärt das Vertretungsnetz-Bewohnervertretung, "wie wir täglich beobachten, vergrößert sich der Notstand trotz der Maßnahmen weiter", berichtete die Diakonie vor vier Tagen, 200 Betten in Vorarlberger Pflegeheimen wegen Personalmangels gesperrt, stand vor einer Woche in der APA zu lesen.

Was geschieht soeben in diesem Land, wenn nahezu alle Pflegedienstleister "Alarm" rufen? Vor einem Jahr präsentierte die Bundesregierung die "größte Pflegereform der vergangenen Jahrzehnte". "Die Maßnahmen, die gesetzt wurden, waren durchaus wichtig, aber keine Reform, sondern Notmaßnahmen", berichtet Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Auch der Rechnungshof hat sich bereits mit der Materie Pflege auseinandergesetzt und einen Mangel an koordinierten Bedarfsprognosen und Entwicklungsplänen sowie eine fehlende Gesamtstrategie zur Finanzierung sowie das Fehlen flächendeckender wohnortnaher Pflegedienstleistungen kritisiert.

Die Finanzierung von Pflege liegt in den Händen der Bundesländer, die soeben mit dem Bund versuchen, mehr Geld für den Pflegebedarf auszuverhandeln. Zum Internationalen Tag der Pflege am 12. Mai meinte Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne), dass man sich derzeit bemühe, "die Finanzierung zur Pflege im Zuge des Finanzausgleichs abzusichern".

Boomende Boomer

Ein Knackpunkt ist der eklatante Personalmangel in der Alten- und Behindertenpflege. Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe, sieht die Situation noch drastischer als der Samariterbund: "Bis 2030 fehlen 90.900 Pflegekräfte, davon 82.700 Diplomierte, Pflegeassistenten und Pflegefachassistenten. Dazu kommen noch 8.200 Heimhelferinnen." Dass sich die Lage verschlimmern wird, ist seit langem klar. Die Boomer-Generation kommt schön langsam in das Alter, in dem mitunter Pflege benötigt wird. "Wir warnen schon seit 15, 20 Jahren vor der Situation", sagt Fenninger. Seitens der Politik habe man kaum reagiert. "Nur Wien hat vor einem Jahr wichtige Schritte in der Ausbildung gemacht."

Die Volkshilfe fordert für angehende Pflegekräfte ein Ausbildungsgeld. Als Vorbild gelten die 1.800 Euro brutto, die Polizeischülern zustehen. Der Betrag solle allen zustehen, die die Ausbildung zur Pflegeassistenz, -fachassistenz beziehungsweise zur diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege absolvieren, fordert Fenninger. Derzeit gibt es, wenn überhaupt, nur geringere Beträge. "Jene, die die dreijährige Fachhochschul-Ausbildung der diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege (DGKP) machen, bekommen 600 Euro Ausbildungsgeld", erklärt Manuela Pracher, Pflegedienstleiterin der Volkshilfe Wien. Berufsumsteiger, die die einjährige Ausbildung zur Pflegeassistenz oder die zweijährige zur Pflegefachassistenz machen, können via AMS rund 1.400 Euro monatlich lukrieren, schildert Pracher. Dies gilt aber eben nur für Quereinsteiger. Personen, die nicht von einem anderen Beruf in die Fachausbildung wechseln, gehen leer aus. "Das Ausbildungsgeld von 1.800 Euro ist eine Maßnahme, die rasch umsetzbar wäre", sagt Fenninger. Ein sicheres Gehalt während der Lehrzeit würde die Attraktivität des Pflegeberufes steigern und den Andrang neuer Pflegekräfte erhöhen, ist man seitens der Volkshilfe überzeugt. Zudem solle die Durchlässigkeit bei den Ausbildungsarten verbessert werden, also die zweijährige Fachassistenz-Ausbildung für ein DGKP-Diplom angerechnet werden.

Ein weiterer Schritt müsse in Sachen Rot-Weiß-Rot-Card geschehen. Qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten müsse der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden, ist Fenninger überzeugt. "Da sehe ich seitens der Politik aber derzeit keine Bemühungen." Minister Rauch will den Zugang nun weiter erleichtern und die Anerkennung ausländischer Abschlüsse beschleunigen.

Der Volkshilfe-Geschäftsführer ortet hier aber noch ein weiteres Problem: "Es wird derzeit so stark auf Migrantinnen und Migranten hingehauen, dass sie sich lieber andere Länder suchen." Die jüngsten Rufe der FPÖ, dass für die Fremdarbeiterinnen im Pflegebereich Deutschpflicht gelten müsse, sorgt bei den Hilfsorganisationen für Kopfschütteln. "Deutsch ist schon längst notwendig", erklärt Pflegedienstleiterin Pracher. Für Pflegeassistenz und -fachassistenz ist das Niveau B2 nötig, für Heimhilfen B1. Auch entsprechend qualifizierte Personen, die ein Asylverfahren haben, sollen, wenn es nach der Volkshilfe geht, in der Pflege arbeiten dürfen, "wenn sie eine Ausbildung oder Vorausbildung haben", meint Fenninger.

Burgenland kein Vorbild

Das "burgenländischen Modell" - Anstellung pflegender Angehöriger beim Land - sieht Fenninger nicht als der Weisheit letzter Schluss: "Das wird nur punktuell von wenigen Leuten angenommen." Stattdessen bräuchte es mehr semistationäre Pflegeeinrichtungen und Tageseinrichtungen. So gäbe es in Oberösterreich Pilotprojekte für die Tagesbetreuung Demenzkranker. "Eigentlich bräuchten wir das flächendeckend längst in jedem Bezirk", fordert Fenninger auf, rascher auf die Herausforderungen zu reagieren.

"Die Arbeit ist erfüllend und macht Spaß", bricht Pracher trotz aller Probleme eine Lanze für ihren Job. Es liege an der Politik, die Voraussetzungen zu schaffen, dass er auch für viele künftige Pflegekräfte attraktiv wird.