Nur mehr ein paar Mal schlafen. Dann hat die SPÖ das Ergebnis ihrer Mitgliederbefragung, bei der nach wie vor unklar ist, ob es sich um einen Basisentscheid oder bloß die "Erhebung eines Stimmungsbildes" handelt. Beide Deutungen sind möglich, das erwähnte Zitat vom Stimmungsbild geht auf Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch zurück. Er hat dies Ende März gesagt, als sich die Parteigranden auf das Procedere festlegten.
Konterkariert wurde seine Sichtweise allerdings seither von der Vorsitzenden selbst, Pamela Rendi-Wagner, sowie auch von ihrem Herausforderer Hans Peter Doskozil. Beide erklärten nämlich mehrfach, dass sie sich selbst bei nur einer Stimme weniger zurückziehen werden. Ist es also doch ein Votum statt einer lapidaren Befragung? Doch unabhängig, wer am Montag vorne liegen wird, bedeuten alle möglichen Ausgänge gewisse Risiken und werden auch unmittelbar Folgewirkungen haben. Selbst wenn personell alles beim Alten bleiben sollte. Ein analytischer Blick auf mögliche Szenarien für Montag, wenn die Wahlkommission der SPÖ das Ergebnis bekanntgeben wird.
- Was, wenn ein Kandidat mehr als 50 Prozent hat?
Dies ist für die SPÖ wohl der kurzfristig günstigst mögliche Ausgang, egal, wer am Ende vorne liegt. Denn in einer Demokratie entscheiden nun einmal Mehrheiten, und wenn sich die absolute Mehrheit der Mitglieder in einer Befragung für einen der beiden Herausforderer oder eben die Amtsinhaberin ausspricht, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass auch der Parteitag am 3. Juni friktionslos verlaufen wird.
Ob die Partei danach auch zur Ruhe kommt, wird mitunter davon abhängen, ob und wie die neue (oder alte) Parteiführung die per Befragung festgestellte Minderheit inkludieren wird. In einer Demokratie schaffen nämlich nicht nur Mehrheiten Legitimität, sondern auch, wie man mit davon abweichenden Sichtweisen und Bedürfnissen umgeht. Es wird nach dem Parteitag innerparteiliche Koalitionen geben müssen, um keine Spaltung der SPÖ zu riskieren. Wobei die Schwierigkeit paradoxerweise darin besteht, dass die inhaltlichen Unterschiede doch eher gering sind. Gerade deshalb fokussiert sich aber bei den zwei Herausforderern mehr oder weniger alles auf die Personen Andreas Babler und Hans Peter Doskozil. Dass sie von der bestehenden Parteiführung künftig mehr eingebunden werden als bisher, ist nicht zu erwarten. Doch wie gehen Babler und Doskozil bei einem etwaigen Sieg mit den Unterlegenen um? Und wie die deren Anhänger?
- Was, wenn der Sieger nur die relative Mehrheit hat?
Endet die Mitgliederbefragung mit nur einer relativen Mehrheit eines der Kandidaten, was nicht unwahrscheinlich ist, wäre das für die Partei die nächste große Herausforderung. Rendi-Wagner und Doskozil haben bereits angekündigt, sich jedenfalls bei einer Niederlage, egal wie knapp sie ausfallen möge, zurückzuziehen und nicht auf dem Parteitag anzutreten. Nicht so Babler, der sich dies im Fall einer engen Entscheidung offenließ. Wie knapp es sein müsste, damit er es dort versucht, sagte er bisher nicht.
Im Fall eines Antretens gegen Rendi-Wagner könnte Babler wohl mit Stimmen von Unzufriedenen rechnen, also auch von Doskozil-Unterstützern. Sicher ist das nicht. Die Delegierten auf dem Parteitag sind zwar in ihrer Wahl frei, aber Parteiräson könnte dazu führen, dass zumindest ein Großteil der delegierten Mitglieder, unabhängig ihrer persönlichen Präferenz, dem Ergebnis der Befragung folgt. Tun sie es nicht und erhält auf dem Parteitag Babler als unterlegener Bewerber der Mitgliederbefragung die Mehrheit, würde das ganze Procedere der vergangenen Wochen ad absurdum geführt - auch wenn in diesem Fall seine Wahl statuarisch einwandfrei wäre.
Bei diesem Szenario besteht die potenzielle Unwägbarkeit auch darin, dass der Sieger oder die Siegerin zwar jedenfalls mit Mehrheit auf dem Parteitag gewählt sein wird, aber die Gewissheit mitschwingen wird, dass es bei der Mitgliederbefragung eben keine absolute Mehrheit gab - nicht gerade eine ideale Voraussetzung für einen Einigungsprozess.
- Welche personellen Folgen sind zu erwarten?
Das hängt naturgemäß davon ab, wer sich durchsetzt, doch es wird in jedem Fall personelle Änderungen geben. Gewinnt Rendi-Wagner, wird Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch - vorerst - im Amt bleiben, aber ein zweiter Parteimanager soll an seine Seite gestellt werden. Vordergründig aufgrund der Vorbereitungen für die Wahlen im kommenden Jahr (EU, Nationalrat), doch wäre das so dringend geboten, hätte die Partei auch vor 2019 eine solche "Ergänzung" vorgenommen. Eine Neuaufstellung der Parteizentrale wäre auch der einfachste Weg, um die Hände in Richtung anderer Lager auszustrecken.
Relevanter werden die Auswirkungen auf den Parlamentsklub. Doskozil-Vertrauter Max Lercher hat angekündigt, bei einer Niederlage seinen Sitz jedenfalls zurücklegen zu wollen. Spannender wird es, wenn sich einer der Herausforderer durchsetzen sollte.
Rendi-Wagner hat für diesen Ausgang ihren Abschied aus der Politik avisiert. Damit würde der SPÖ-Klub während der Legislaturperiode ihre Klubchefin verlieren. Ihren Platz im Nationalrat könnten aber weder Doskozil noch Babler einnehmen, sie haben vor vier Jahren auf keiner Liste kandidiert. Babler ist seit wenigen Wochen aber Bundesrat und damit immerhin Teil des roten Klubs. Er könnte deshalb auch die Leitung übernehmen - wohl ein Unikum als Bundesrat. Von den Nationalratsabgeordneten haben sich nicht viele für einen der Herausforderer deklariert, die prominentesten sind Lercher und Philipp Kucher (für Doskozil) sowie Julia Herr (für Babler).
- Wie ist das Gezerre um die Auszählung zu werten?
Das wechselseitige Vertrauen der Lager war schon im Vorfeld, höflich formuliert, ausbaufähig. In der Vorwoche, nach dem Rückzug von Harry Kopietz als Leiter der Wahlkommission, ist dann ein öffentlicher Streit um den Auszählvorgang ausgebrochen. Die Wahlkommission wollte einen externen IT-Sicherheitsexperten hinzuziehen, wobei die Entscheidung zwar mehrheitlich, aber nicht einstimmig fiel. Die Parteiführung ließ dagegen sogar ein Gutachten erstellen.
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Angesichts dessen ist es keineswegs sicher, dass das Ergebnis der Befragung von den Unterlegenen außer Streit gestellt wird. Schon vor Tagen hatten sich Mitglieder gegenüber der "Wiener Zeitung", wenn auch vorsichtig, über ihnen berichtete Auffälligkeiten gewundert. Es ist zwar zu erwarten, dass das Ergebnis grundsätzlich schon anerkannt werden wird, aber gerade bei einem knappen Ausgang und aufgrund des doch generell sehr holprigen Procederes könnte jeder öffentlich geäußerte skeptische Halbsatz eine Dynamik auslösen, die die Legitimität des Siegers oder der Siegerin untergraben könnte - und für neue Unruhe sorgt.