Die Pflegereform war das erste große Vorhaben der türkis-grünen Bundesregierung. Oder besser, hätte es sein sollen. Denn die Reform, die mit einem groß angelegten Dialogprozess beginnen sollte, wurde durch die einsetzende Pandemie jäh unterbrochen. Erst vor einem Jahr wurde dann Teil eins der Pflegereform vorgelegt, eine Milliarde Euro stellte die Bundesregierung für ein Bouquet an Maßnahmen und und Gehaltsaufbesserungen bereit. Nun folgt, vorerst per Ankündigung, Teil zwei der Reform. So sehen es zumindest ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger und Sozialminister Johannes Rauch (Grünen).

Die Reaktionen von Pflegeorganisationen fielen deutlich weniger euphorisch aus. Zwar nicht ablehnend, doch Maria Katharina Moser, die Direktorin der Diakonie, bezeichnete die Vorhaben lediglich als "Ergänzungen", von einem Teil zwei der Pflegereform könne man nicht sprechen. Auch die Caritas reagierte in dieser Art. Für Präsident Michael Landau sind es "sinnvolle weitere Maßnahmen", wie er sagte, "aber keine Pflegereform Teil II". Beide Organisationen forderten tiefgreifende Änderungen. "Ein Herumdoktern an Einzelmaßnahmen ist zu wenig", so Moser, das Pflegesystem müsse grundlegend neu gedacht werden.

Die Pläne, die Wöginger und Rauch am Mittwoch nach dem Ministerrat vorstellten, sind tatsächlich mehrere Einzelmaßnahmen, die sowohl die Pflege direkt als auch den Bereich der Betreuung betreffen. Strukturelle Änderungen sind vor allem im Bereich der Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten geplant, wobei etwa die Erleichterungen bei der Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen schon vor einem Jahr angekündigt wurde. Nun soll dies umgesetzt werden. Unter anderem soll eine Datenbank für ausländische Qualifikationen erstellt werden, um die Prozesse zur Nostrifikation zu beschleunigen. Ausländischen Pflegeassistenten soll zudem für zwei Jahre eine befristete Ausübung von pflegerischen Tätigkeiten ermöglicht werden, wenn noch ergänzende Ausbildungen nachgeholt werden müssen (bis zur Absolvierung der sogenannten "Ausgleichsmaßnahmen"). Künftig werden bei ausländischen Pflegekräften auch Gesamtqualifikation und Berufserfahrung beurteilt und nicht mehr das Stundenausmaß der Fächer in der Ausbildung.

120 Millionen bis Ende der Legislaturperiode

Insgesamt umfasse das Paket 18 Maßnahmen, für die die Regierung 120 Millionen Euro bis zum Ende der Legislaturperiode zur Verfügung stellt, sagte Rauch. Wöginger ergänzte: "Es hat noch keine Legislaturperiode gegeben, wo so viel in der Pflege weitergebracht wurde wie in diesem letzten Jahr."

Im Bereich der 24-Stunden-Betreuung wird vor allem mehr Geld ausgeschüttet. Ab Herbst soll es um 160 Euro mehr geben - statt 640 Euro also 800 Euro, sofern zwei selbstständige Personenbetreuer zum Einsatz kommen. Werden die Betreuer angestellt, gibt es statt 1.280 Euro dann 1.600 Euro. Strukturell ändert sich ein Punkt, selbstständige 24-Stunden-Betreuerinnen dürfen künftig bis zu drei Personen in einem privaten Haushalt betreuen, auch wenn diese nicht in einem Verwandtschaftsverhältnis stehen. Diese Teilbarkeit soll es Menschen erleichtern, im Alter zusammenzuziehen, auch wenn sie nicht verwandt sind, sagte Wöginger.

Die Erleichterungen bei der Anerkennung von ausländischen Qualifikationen sowie die Aufdotierung der Förderungen für die 24-Stunden-Betreuungen wurden von allen Pflegeorganisationen begrüßt. "Wir sehen hier abermals, dass diese Bundesregierung die Dringlichkeit im Bereich Pflege und Sozialbetreuung erkannt hat", sagte Landau, der aber auch eine "österreichweite Harmonisierung" und die "langfristige Finanzierung" der Pflege einmahnte.

Da die Pflege in der Kompetenz der Länder liegt, weist Österreich auch einen Fleckerlteppich auf, vom Angebot über Personalschlüsseln bis zu Gehältern. Es ist die Dauerbaustelle in diesem Bereich, wobei derzeit mit den Finanzausgleichsverhandlungen wieder eine Chance auf Vereinheitlichung besteht. "Ich bin zuversichtlich, dass das möglich ist", sagte Rauch. Gelingt die Schaffung einer nachhaltigen Finanzierungsgrundlage bis Herbst, würde es dann wohl keine Deutungsdifferenzen mehr zwischen Regierung und Praktikern geben, ob es sich um eine echte Reform handelt oder eben nur um"positive Schritte". (apa /sir)