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Was bringen Studien?

Von Patrick Krammer und Simon Rosner

Politik

Die öffentliche Hand kauft viel externes Wissen zu, doch nicht immer fördert dies evidenzbasiertes Handeln.


Ausgerechnet die Causa Karmasin bietet Beispiele für sinnvolle - und weniger sinnvolle Studienvergaben. Der öffentliche Fokus liegt nicht erst seit dem Prozess gegen die Ex-Familienministerin auf Beauftragungen der öffentlichen Hand. Das "Beinschab-Tool" geistert seit Langem durch die mediale Berichterstattung, aktuell sorgen Gutachten bei Postenbesetzungen für Aufregung, da ein parteipolitischer Zusammenhang kaum zu leugnen ist. Aber wann sind Studien, Umfragen und Gutachten sinnvoll? Und wann eher nicht? Und wann mitunter sogar missbräuchlich?

Für Manfred Matzka, den langjährigen Präsidialchef im Bundeskanzleramt, stellt sich bei externen Aufträgen immer die Frage, ob diese nicht auch im Ministerium erarbeitet werden könnten. "Wenn man für empirische Studien ins Feld gehen muss, wird es das Haus wohl nicht können", so Matzka. So war es auch bei Karmasin: Sie wandte sich mit einem verhaltensökonomischen Konzept an das Sportministerium, um Menschen, vor allem junge Mädchen, wieder für Sport zu begeistern. Dafür wollte sie 80 Personen in vier Bundesländern interviewen. Das Konzept gefiel, die Studie dürfte auch qualitativ hochwertig sein, denn man arbeitete mit den Ergebnissen weiter.

Aber die Politik greift eben nicht nur dann zu Studien, wenn sie Probleme evidenzbasiert lösen will: Als Karmasin bei einem Sektionschef im Sportministerium über eine schlechte Auftragslage klagte, meinte dieser, dass man schon "ein Projekt erarbeiten" könne. Und als Karmasin ihr Angebot wieder zurückzog, nachdem die Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen bei der ÖVP und bei ihr durchgeführt hatte, verlor auch das Sportministerium das Interesse an der Studie. Beauftragt wurde letztendlich niemand.

Matzka kommt auch auf einen weiteren Punkt zu sprechen, der vermehrt zu externen Beauftragungen führt. "Es gibt ein wachsendes Misstrauen der Entscheidungsträger gegenüber den Ministerien." Das führt mitunter dazu, dass Aufträge wie Rechtsgutachten an Juristen vergeben werden, obwohl auch die ministeriumsinterne Legistik die Frage klären könnte. Das Bundeskanzleramt zahlte einer Anwaltskanzlei knapp 50.000 Euro, um Fragen zu Auftragsvergaben an das Bundesrechenzentrum (BRZ) zu klären, das zu 100 Prozent der Republik gehört. Man brauchte also eine 50.000 Euro teure Beratung, um Aufträge an eine Firma der Republik zu vergeben.

Spitzenreiter Klimaschutzministerium

Wer versucht, das Thema Studienbeauftragungen des Bundes zu erfassen, hat es mit einem fast undurchschaubarn Gewirr zu tun. Es mangelt an Transparenz. Welche Aufträge Ministerien vergeben, lässt sich nur über parlamentarische Anfragen der Opposition erahnen. Aufgrund der teils schwammigen Anfragebeantwortungen - dazu später mehr - lassen sich die Kosten für Studien zum einen nur grob schätzen und zum anderen kaum über die Jahre vergleichen. Das beginnt schon bei der Frage, was eine Studie überhaupt ist. "Das sind tatsächlich fließende Übergänge und lässt sich nicht klar definieren", sagt Matzka.

Gleichzeitig verändern sich die Zuständigkeiten der Ministerien bei jeder neuen Regierung - manchmal sogar öfter. Nach Ausscheiden von Elisabeth Köstinger, wurden Aufgaben ihres Ressorts umverteilt. Was blieb, war ein reines Landwirtschaftsministerium unter Norbert Totschnig.

Nikolaus Scherak, Nationalratsabgeordneter der Neos, fragt Studienaufträge seit Jahren ab. Aus den der "Wiener Zeitung" vorliegenden Daten ergeben sich dennoch nur Mindestausgaben.

Was zweifelsfrei ersichtlich ist: Das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) beauftragt die meisten Studien und gibt auch das meiste Geld aus. Zwischen August 2021 und Mai 2022 waren es 59 Studien und ähnliche Dienstleistungen um rund 2,8 Millionen Euro, im Jahr davor 70 um 3,95 Millionen. Als das Klimaschutzministerium noch das Verkehrsministerium war, waren es grob halb so viele. Konstant viele Studien beauftragt auch das Bildungsministerium über die Jahre.

Evidenzbasierte Politik braucht Evidenz

Den Hang zu vielen Studien gibt es aber schon länger. Matzka verortet den Beginn der Entwicklung um die Jahrtausendwende, der sich aber auch in der Privatwirtschaft zeige, wo ebenfalls immer öfter auf Gutachten und Expertisen rekurriert werde, so Matzka, um sich rechtlich abzusichern. "In der Politik geht es darum, eine zusätzliche Argumentationsbasis zu schaffen, also um das zu legitimieren, was man politisch ohnehin vor hat."

Dies ist derzeit bei der Besetzung der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) zu beobachten. Die führte zu innerkoalitionärem Krach, nachdem erst ein ÖVP-naher Kandidat als am besten geeignet eingestuft wurde, dann aber Ungereimtheiten im Bewerbungsprozess öffentlich wurden und sich die Grünen gegen eine Bestellung stellten. Der grüne Klub holte ein Gutachten ein, das das Ergebnis anzweifelte, der zuständige Minister, Martin Kocher (ÖVP), tat daraufhin dasselbe - nur auf Ministeriumskosten. Kocher sieht kein Problem, da er einen parteipolitischen Konnex ausschließt. Das Wirtschaftsministerium sei für die BWB zuständig. "Es handelt sich daher nicht um ein Gutachten der ÖVP", so Kocher, der sich aber bisher gegen eine Veröffentlichung des Gutachtens stellt.

Diese soll erst nach der Besetzung veröffentlicht werden - im Gegensatz zu vielen anderen Studien, die nach Fertigstellung in Schubladen verschwinden. "Das ist fast der Normalfall", meint Matzka dazu. Ein Grund dafür ist, dass die Politik bei aktuellen Ereignissen nicht selten Studien beauftragt - im Idealfall, um informiert zu handeln. Bis die Arbeit aber fertiggestellt ist, ist das Thema nicht mehr aktuell. "Das Ergebnis wird abgeliefert, veraktet und das war’s dann auch schon."

So geschehen auch bei einer Studie von Sabine Beinschab für das Finanzministerium. Unter dem Titel "Wirtschafts- und Budgetpolitik" fragte sie stattdessen Parteipolitisches ab. Etwa, mit welchem Auto man die SPÖ vergleichen würde (VW Bus) oder mit welchem Tier Sebastian Kurz (Delfin). Während der Ermittlungen wollte das Ministerium die Studie öffentlich machen, fand sie aber nicht. Nach mehreren Tagen wurde man in einer Schublade fündig, ein schlechter Scan des Ausdrucks ist nun abrufbar. Für Matzka sind das Symptome einer fehlenden Kultur evidenzbasierter Politik. In den USA und Deutschland sei das ausgeprägt, in Österreich nicht. "Es fehlt ein professionelles System", so der frühere Spitzenbeamte. Staatliche Ressourcen wie Universitäten würden kaum beauftragt und "auch die Statistik Austria wird nicht wirklich genutzt".

Nebelgranaten der Ministerien

Besonders gerne scheinen Minister und Ministerinnen nicht vom Nationalrat befragt zu werden. Hinter den Kulissen beschweren sich Klubmitarbeiter immer öfter über mangelnde Beantwortungen, in denen Fragen ignoriert und falsch interpretiert werden.

Auch bei den Neos-Anfragen kommt das vor. Manche Ministerien schicken die Leute auf eine Art Schnitzeljagd durchs Parlamentsarchiv. Bundeskanzler Karl Nehammer listet die Studien in seiner Antwort nicht einfach auf, sondern verweist auf sechs frühere Beantwortungen des Bundeskanzleramtes. In keiner der genannten Beantwortungen sind aber Studien aufgelistet, dafür wird darin auf weitere, noch länger zurückliegende, Anfragebeantwortungen verwiesen.

Arbeitsminister Kocher verweist seinerseits auf gleich neun andere Anfragebeantwortungen. Bei einer zusätzlich angeführten Studie gibt er zudem keine Kosten an, da noch kein Geld (an die Beratungsfirma Ernst & Young) geflossen sei. Erst auf Nachfrage der "Wiener Zeitung" stellt sich heraus, dass die Studie zur Rechnungslegungen der Arbeiterkammer 35.037 Euro gekostet hat. Welche anderen Studien in dem Zeitraum noch zugekauft wurden, verrät Kochers Ministerium der "Wiener Zeitung" aber nicht. Man verweist auf die parlamentarischen Anfragebeantwortungen.