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Rote Ambivalenzen

Von Simon Rosner

Politik

Die SPÖ hat mit der EU in ihrer derzeitigen Verfasstheit immer wieder Schwierigkeiten - nicht nur Babler.


Ursprünglich wollte Andreas Babler zur EU-Frage gar nichts sagen. "Das ist gefährlich." Er wusste es also bereits. Dann sprudelte es aber doch viereinhalb Minuten aus ihm heraus. Es war eine Abrechnung mit dem "Konstrukt" der EU, wie Babler es wörtlich immer wieder formulierte. Am Ende gestand er, in dieser Frage "etwas emotional" zu sein. "Wir könnten eine ganze Sendung machen!"

Babler war damals auf Sendung, nicht im Fernsehen, aber auf Youtube. Der Berater Rudi Fußi und die Publizistin Natascha Strobl, beide leidenschaftlich der Sozialdemokratie verbunden, hatten den zweiten Corona-Lockdown für öffentliche Video-Interviews mit Gästen genutzt, im Dezember 2020 war der Traiskirchner Bürgermeister eingeladen. Zweieinhalb Jahre später, wenige Tage vor dem Entscheid der Delegierten auf dem SPÖ-Parteitag, sollte der europapolitische Exkurs Babler, der sich nun um den Vorsitz der Partei bewirbt, in Bedrängnis bringen. Aber tut es das wirklich?

Die Sozialdemokratie hatte nie ein friktionsfreies Verhältnis zur Europäischen Union. In den 1980er-Jahren hatte es viel parteiinterner Überzeugungsarbeit bedurft, um die SPÖ überhaupt auf eine Pro-EU-Linie zu bringen. Relevante Teile der Partei, etwa die Wiener SPÖ, auch die Gewerkschaft sowie die Jugendorganisationen hatten Vorbehalte. Babler war damals in der Sozialistischen Jugend engagiert und gegen einen Beitritt zur damaligen EG.

Streitfrage Beitritt

Am 3. April 1989 sprach sich die SPÖ aber sowohl im erweiterten Parteipräsidium als auch im Vorstand für die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Ziel eines Beitrittes aus. Kanzler Franz Vranitzky war deklarierter Befürworter, ebenso Verstaatlichten-Minister Rudolf Streicher und Finanzminister Ferdinand Lacina. Bei der Volksabstimmung war das rot regierte Wien dann im Mainstream, zwei Drittel stimmten hier für den Beitritt, Spitzenreiter war das Burgenland. Es sollte später dank üppiger EU-Förderungen einem der größten Profiteure dieser Entscheidung werden.

Die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft ist seither weitgehend stabil, auch eine glatte Mehrheit der SPÖ-Wähler sieht das so. Allerdings deuten Umfragen daraufhin, dass Kritik und Skepsis etwas verbreiteter sind als bei der Wählerschaft von ÖVP, Grünen und Neos. Heute sagt auch Babler: "Ich stehe natürlich keinesfalls für einen EU-Austritt." Zu seiner umfassenden Kritik, die er vor zweieinhalb Jahren in dem Video-Interview geäußert hatte, steht er aber im Wesentlichen. "Die Formulierung mag überzogen sein, aber anstatt über semantische Spitzfindigkeiten zu diskutieren, sollten wir besser darüber sprechen, wie wir die EU sozialer und bürgernäher gestalten können", so Babler zur APA.

Dauerforderung nach Sozialunion

In dem Gespräch mit Fußi und Strobl hatte Babler die EU als "imperialistisches Projekt mit ein paar Sozialstandards" bezeichnet, zudem als "neoliberalistisches, protektionistisches Konstrukt" und als "das aggressivste militärische Bündnis, das es je gegeben hat". Später schränkte er ein: Man könne auch gute Sachen an der EU finden: "Nicht der europäische Geist gehört geändert, sondern das Konstrukt."

Für den Politologen und SPÖ-Kenner Peter Pelinka sind die Aussagen Bablers in dem Video eine "Blödheit", wie er der Austria Presseagentur sagte. "Es ist peinlich: So einer bewirbt sich um den Vorsitz in der SPÖ. Es ist darüber hinaus geschichtsvergessen, naiv, unpolitisch und kindisch." Pelinka befand aber auch, dass die Haltung der SPÖ zur Einigung und Integration "nicht immer konsistent" gewesen sei.

Vor allem der Vorwurf einer "neoliberalen EU" ist innerhalb der Sozialdemokratie sowie generell linker Parteien weit verbreitet. Europa hat einen Binnenmarkt erhalten, auch eine Währungsunion und eine Bankenunion, bisher aber eben keine Sozialunion. Die Idee dafür war schon in den 1970ern aufgekommen, als Bruno Kreisky noch im Bundeskanzleramt saß und Österreichs Beitritt weit weg war.

Freizügigkeit und die Folgen

Die Freizügigkeitsrechte der EU bedingen, dass Unionsbürger jederzeit in jedem Mitgliedstaat eine Arbeitsstelle annehmen können. Geht der Job jedoch nach einem Jahr verloren, haben diese Arbeitnehmer in der Regel nur einen eingeschränkten Zugang zu jenen staatlichen Leistungen, die für diese Fälle eigentlich vorgesehen sind- auch in Österreich. Das soll die Einwanderung in Sozialsysteme unterbinden. Dass dieser Umstand in der Sozialdemokratie aber zumindest zu Bauchweh führt, von einigen auch scharf kritisiert wird, liegt in der Natur der Partei.

Mittlerweile können in der EU Pensionen im Ausland konsumiert werden. Ein Anspruch auf die Ausgleichszulage, die in Österreich bei (zu) kleinen Pensionen gewährt wird, besteht aber nicht. In Deutschland wiederum gibt es eine verpflichtende gesetzliche Pflegeversicherung, die im Ausland aber nur teilweise (in Form von Pflegegeld) konsumiert werden kann. Es sind nur zwei Beispiele, in denen die europäische Mobilität mit den nationalstaatlich gebauten Sozialsystemen im Konflikt steht.

Mit dem Vertrag von Maastricht 1992 war zwar der Europäische Sozialfonds eingerichtet worden, doch mit diesem werden in erster Linie Arbeitsmarktprojekte kofinanziert. In der vergangenen Periode flossen rund 440 Millionen Euro nach Österreich. Das ist nicht nichts, doch macht es aus der EU noch keine echte Sozialunion. Diese ist nach wie vor eine Kernforderung der SPÖ. Doch der Begriff der Sozialunion ist unscharf. Sollen alle Sozialleistungen harmonisiert werden oder nur ein Teil? Auch Othmar Karas (ÖVP) setzt sich für die Sozialunion ein, es wird jedoch eine andere sein, als sie Gewerkschaftern vorschwebt.

Der Brief an die "Kronen Zeitung"

Beim Vertrag von Lissabon, der unter SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer unterzeichnet worden war, hatte es dann innerhalb der Partei intensive Debatten über eine mutmaßliche Militarisierung der EU gegeben. Die "Kronen Zeitung" kampagnisierte - und erhielt einen Brief von Gusenbauer und Werner Faymann, dem damals designierten Parteichef und späteren Kanzler. Künftige Vertragsänderungen sollten fortan dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden. Der Brief war in der öffentlichen Wahrnehmung und Bewertung der anderen Partei als Schwenk der SPÖ und ein Verlassen der proeuropäischen Linie aufgenommen worden. Nachhaltig war dies aber nicht.

Zu Streitfragen innerhalb der SPÖ führen auch immer wieder konkrete Fragen der europäischen Integration. Die Richtlinie zur Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der Union wird von der SPÖ, speziell der Gewerkschaft, als Mittel zum Lohn- und Sozialdumping bekämpft. Bei den diversen Erweiterungsrunden ab 2004 hatte Österreich - durchaus aufgrund des Drucks der Gewerkschaften - die maximal möglichen Übergangsfristen für die Öffnung des Arbeitsmarktes ausgeschöpft. Und als die EU das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada verhandelte, tat sich in der SPÖ ein derart gravierender Konflikt auf, ebenfalls unterstützt von intensiver Berichterstattung in der "Krone" dass Parteichef Christian Kern ad hoc eine Mitgliederbefragung ansetzte. An dieser nahmen allerdings nicht einmal zehn Prozent teil.

Auch die Frage, welche Kompetenzen bei der EU und welche bei den Mitgliedstaaten liegen sollten, sorgen innerhalb der SPÖ immer wieder für Dissens. Kern hatte meist für tendenziell mehr Befugnisse Brüssels argumentiert. "Ich halte auch nichts von dem Subsidiaritäts-Gerede. Es ist okay, wenn die Europäische Union gemeinsame Aufgaben übernimmt", sagte er kurz vor seinem Abschied. Eine klare, grundsätzliche Positionierung dazu fehlt allerdings bei der SPÖ.

Hans Peter Doskozil hat sich bisher eher als Anhänger der Subsidiarität hervorgetan. In seinem Programm für den Parteivorsitz ist der EU-Politik kein eigener Punkt gewidmet. In seinem Team verweist man nur darauf, dass man thematisch in enger Abstimmung mit EU-Delegationsleiter Andreas Schieder sei. Dieser war am Mittwoch für die "Wiener Zeitung" nicht erreichbar. Zum Interview Bablers wollte man sich im Lager Doskozils nicht äußern.