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Der Verwaltung fehlt Resilienz

Von Patrick Krammer

Politik
Die Politik nennt das Ziel, die Verwaltung rudert - so der Idealzustand.
© stock.adobe.com / toricheks

Beamtinnen und Beamte setzen die Wünsche der Politik um. Nicht immer dürfen sie das.


Ein Titel könnte kaum langweiliger klingen: Resilienz, Verwaltung. Im Untertitel auch noch "Beamte". Alles keine Wörter, die eine spannende Geschichte erwarten lassen. Wichtig ist es dennoch. Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben das Selbstvertrauen der österreichischen Verwaltung derart beschädigt, dass es ihr immer seltener gelingt, widerstandsfähig gegen politische Wünsche zu sein. Beamtinnen und Beamte kommen immer öfter in die Situation, dass sie politisches Wohlwollen brauchen, um Karriere zu machen. Immer öfter sehen sie sich infolge dessen mit strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert.

Gleichzeitig führt das parteipolitische Besetzen von Verwaltungspositionen zu ähnlichen Effekten: Parteiprojekte stehen im Vordergrund, die anderen, nicht weniger wichtigen Arbeiten, bleiben liegen. Der Dienst für die Partei wirkt wichtiger als der Dienst für die Allgemeinheit.

Heutzutage ist man weit weg von einer Verwaltung, die "200 Jahre lang gar nicht so schlecht funktioniert hat", wie es Manfred Matzka, langjähriger Sektionschef im Bundeskanzleramt, einmal gesagt hat. Und: "Jeder soll tun, was er gelernt hat." Wäre ein Ministerium ein Schiff, würde die politische Ebene das Ziel vorgeben und die Verwaltung dorthin rudern. Die Entwicklung der letzten zwei Jahrzehnte sorgt nun dafür, dass die politische Ebene nicht nur das Wohin bestimmen will, sondern auch das Wie.

Das Werben um neue Polizeischüler wird dann im Innenministerium nicht der Fachabteilung überlassen, sondern unter FPÖ-Führung auf rechtsextremen Webseiten geschalten. In Elisabeth Köstingers (ÖVP) Landwirtschaftsministerium machte kurzerhand ihr Pressesprecher fest, wo das Ministerium um welche Preise inseriert. Aufträge an eine ÖVP-nahe Firma stiegen zu jener Zeit sprunghaft an, wie im ÖVP-U-Ausschuss herauskam. Offiziell beauftragt hat dann die zuständige Verwaltungsebene. Oder die Inseratenvergaben des Finanzministeriums in der Causa "Beinschab-Tool" und darüber hinaus: Dort wird gegen einen zuständigen Abteilungsleiter ermittelt, weil er Inserate bei der Mediengruppe "Österreich" buchte, die laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Gegenleistung für die Platzierung von Umfragen Beinschabs waren. Im ÖVP-U-Ausschuss wurde der Beamte zu anderen Inseraten, mitunter in Parteimedien, befragt und sagte ein ums andere Mal, dass dies auf "Wunsch der Ressortleitung" geschehen sei und seine Aufgabe rein in der Umsetzung lag.

Mehr Druck auf öffentlich Bedienstete

Da sie immer mehr in der Umsetzung mitmischen, mussten auch die Kabinette größer werden. Früher bestanden Ministerbüros aus einer Handvoll Personen, die Wissen einbrachten, das im Ministerium fehlte. Wegen des notwendigen Vertrauens kamen sie oft aus den jeweiligen Parteien.

Heutzutage zieht es viele Kabinettsmitarbeiter nebenbei in die Verwaltung. Dort kommen sie meist in Führungspositionen, etliche wurden Generalsekretäre: eine politische Funktion, die seit wenigen Jahren mit einem Weisungsrecht ausgestattet ist. "Der klassische Karriereweg von unten nach oben wird immer schwieriger, oftmals gibt es den Zwischenschritt über ein Kabinett, oder die Verwaltungskarriere beginnt im Ministerkabinett", sagt Konrad Lachmayer zur "Wiener Zeitung".

Der Professor für Öffentliches Recht an der Sigmund Freud Privatuniversität beschäftigt sich mit den Effekten dieser Politisierung der Verwaltung. Er sieht in den Entwicklungen ein Problem. Diese neue Karriereplanung "verlangt viel mehr politische Loyalität". In den Ministerien bedeutet das, "dass politische Abhängigkeiten für die Karriereschritte entscheidender werden".

Wenn Beamte in diesem Klima nun mit Wünschen der politischen Ebene konfrontiert werden, kann das hohen Druck bedeuten. Manche öffentlich Bedienstete leisten dennoch Widerstand, verakten Druck von oben und sichern sich so ab. Selbst die oberste Ebene der Beamtenschaft - die Sektionsleitung - wird nur mehr auf fünf Jahre befristet. Sie wird also alle fünf Jahre neu bestellt. Oder eben nicht. "Es verlangt dann mehr Flexibilität und die Resilienz der Verwaltung steht sodann nicht im Vordergrund", so Lachmayer.

Beim Prozess gegen die Ex-Familienministerin Sophie Karmasin wegen wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen war auch ein Abteilungsleiter des Sportministeriums angeklagt. Er hat sich von Karmasin Firmen vorschlagen lassen, die ein Vergleichsangebot legen sollten. Für ihn sei eine Beauftragung Karmasins vollkommen klar der Wunsch seines Sektionschefs gewesen. Der Vorgesetzte war nicht angeklagt. Philipp Trattner kam aus dem Kabinett von Heinz-Christian Strache, wurde direkt zu einem der höchsten Beamten des Ministeriums. Als die Causa öffentlich wurde, sah Trattner keine Schuld bei sich. "Es gibt ja auch Fachabteilungen, es läuft nicht alles über die Sektionsleitung", zitierte ihn der "Standard". Den Kontakt zwischen Karmasin und dem Abteilungsleiter stellte bei der ersten Studie Trattner her.

Ein anderer Grund für vermehrt vorkommende Ermittlungen gegen Beamte liegt für Lachmayer auch im Ausbau des Korruptionsstrafrechts. Das wurde in um mehrere Delikte erweitert und definiert nun genauer, was Beamte nicht dürfen. Für die bedeutet das nun, dass sie selbst mehr juristisches Wissen benötigen, um Weisungen einschätzen zu können. Weisungen müssen nämlich nur dann nicht befolgt werden, wenn sie gegen das Strafrecht verstoßen. Tut man es trotzdem, ist man selbst dran, wie Anklagen gegen den Beamten des Sportministeriums und andere Verfahren zeigen.

Davon abgesehen kann es eine Belastung und Gefährdung der eigenen Karriere sein, wenn man als Wünsche getarnte Anweisungen nicht befolgt - selbst, wenn sie nicht strafrechtlich relevant sind.

Drohender Wissensverlust durch Pensionierungen

Gleichzeitig verliert ein Minister durch anwachsende Kabinette und durchgreifende Generalsekretäre öfter den Kontakt zur Verwaltungsebene. Gut zu sehen im ÖVP-U-Ausschuss als Köstinger, Margarete Schramböck und Gernot Blümel bei ihren Befragungen überhaupt nichts über die Abläufe in ihren Ministerien wussten. Auch die Chats von Finanzministerium-Generalsekretär Thomas Schmid zeigen, wie er an seinem Minister vorbei Parteiarbeit mit öffentlichen Geldern betrieben haben soll. Stichwort: "Kurz kann jetzt Geld scheißen."

Davon kann auch Justizministerin Alma Zadic ein Lied singen. Chatnachrichten legen nahe, dass der mittlerweile geschasste Sektionschef Christian Pilnacek, einst der mächtigste Mann im Justizministerium, gegen das eigene Haus arbeitete. Als die Staatsanwaltschaften im Zuge ihrer Casinos-Ermittlungen Hausdurchsuchungen im Februar 2021 im Finanzministerium und beim damaligen Finanzminister Gernot Blümel durchführten, sprach Pilnacek in einer Chatnachricht von einem "Putsch". Obendrein empfahl er Blümels Kabinettschef, eine Beschwerde gegen die Hausdurchsuchung einzulegen. Vor Blümels Befragung bei der Staatsanwaltschaft fragte Pilnacek noch: "Wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?" Außerdem schwebt der Verdacht im Raum, dass er bei einer parlamentarischen Anfrage der ÖVP an die Justizministerin mitgeholfen haben könnte.

Während in Ministerien eine Politisierung zu beobachten ist, gab es durch EU-Vorschriften, die Kompetenzverschiebungen in ausgelagerte Agenturen bewirkten, und der Schaffung des Bundesverwaltungsgerichts gleichzeitig gegenteilige Entwicklungen. "Die Verwaltung ist personell viel dynamischer geworden", meint Lachmayer. Viele Beamte könnten nun aus Ministerien in andere Teile der Verwaltung wechseln, weiter weg von der Politik.

Die hohe Fluktuation führt dazu, dass mit dem abwandernden Personal auch viel Wissen verloren geht. Für die Ministerialverwaltung bedeutet das einen großen Verlust an Know-how. Auch Matzka sprach im Juni 2022 von qualitativ schlechten Gesetzesentwürfen, die vermehrt auftauchen würden. Dazu Lachmayer: "Es gibt (noch) zahlreiche Bedienstete in der Verwaltung, die das relevante Wissen haben", die Frage sei nur, wie lange noch. Und welche Maßnahmen ergriffen werden, um dieses Wissen zu sichern.

Der Bundesverwaltung steht in den kommenden Jahren eine Pensionierungswelle bevor. Das Bundesministerium für Öffentlichen Dienst spricht von 45 Prozent bis 2036. Das sind 60.700 Personen. Derzeit gehen jährlich rund 5.000 Beamte in Pension. "Es bedarf einer Professionalisierung der Verwaltung", um das sonst in die Pension wandernde Wissen zu sichern, meint Lachmayer.

Was also tun? Für den Rechtswissenschafter Lachmayer gibt es einerseits kleine Schrauben, an denen man drehen könnte. Andererseits sei eine politische Verwaltung schon möglich. In den USA gibt es sie - wenn die Partei an der Spitze wechselt, tun das auch alle Mitarbeiter im Weißen Haus. Doch dort gibt es auch dementsprechende Kontrollmechanismen. "Die Antwort auf die Politisierung der Verwaltung ist für mich ganz klar und heißt Informationsfreiheit." Dann weiß man auch, wer im Büro die Richtung vorgibt. Und wer rudert.