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"Wir haben nichts zu verstecken"

Von Stefan Beig

Politik
"Traditionen sind manchmal stärker als der Islam", meint Fuat Sanac. Foto:Stanislav Jenis
© © Stanislav Jenis

Fuat Sanac ist neuer Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) | Die Priorität in der Integrationspolitik müsste die Jugend sein, findet er.


"Wiener Zeitung": Offiziell sind Sie seit Sonntag Präsident der IGGiÖ, inoffiziell gelten Sie schon seit Monaten als Nachfolger von Anas Schakfeh. Warum war das so lange klar?

Fuat Sanac: Da muss man die Anderen fragen, weshalb sie mich nominiert haben. Ich habe von mir aus nie gesagt, dass ich ein Kandidat bin. Ich fühle mich in jeder islamischen Vereinigung zu Hause und betrachte alle Muslime hier als meine Geschwister, egal von welcher Organisation.

Bisher haben viele Muslime die IGGiÖ nicht gekannt oder nur als einen Verein unter vielen wahrgenommen.

Das ist richtig. Aber nun hat sich viel geändert. Wir bringen uns stärker ein, damit die Muslime die Wichtigkeit der IGGiÖ für sie verstehen. Auch durch die Wahlen wurde die IGGiÖ bekannter. In Österreich laufen alle religiösen Belange über Glaubensgemeinschaften. Alles, was die Muslime betrifft, geht über die IGGiÖ. Bis jetzt haben wir das die Menschen nicht spüren lassen, sondern unauffällig gearbeitet. Wenn ein Moscheeverein oder eine islamische Schule gegründet wurde, hat uns die Vereinspolizei die Statuten zur Genehmigung vorgelegt. Die Vereinsgründer haben das nicht erfahren.

Über Parteipolitik wollen Sie nicht reden. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache haben Sie aber als "guten Menschen" bezeichnet. Warum?

Ich will nicht mehr über Tagespolitik reden. Allgemein kann ich sagen: Alle Menschen sind von sich aus gut. Ich bin mit Menschen anderer Religionen und Ideologien befreundet. Wir sind oft nicht derselben Meinung, aber das heißt nicht, dass sie keine guten Menschen sind. Gott hat die Menschen nicht schlecht erschaffen. Die Umstände machen sie schlecht.

Auch zu Entscheidungen, die die Muslime betreffen, wollen Sie nichts mehr sagen?

Wenn es um menschliche Probleme geht, die auch die Muslime betreffen, werde ich mich dazu äußern.

"Religion soll nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung der Integrationsfrage sein", sagte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz. Was kann Religion hier tun?

Religion soll die Menschen glücklich machen. Sie hat Gebote und Verbote, damit man auch seelisch gesund lebt. Zur Integration gehört, dass man in Frieden miteinander lebt. Dabei kann Religion helfen. Für mich ist der Islam der Mittelweg. Extremismus - Übertreibung oder Untertreibung - ist verpönt. Wer die Anderen zu Feinden erklärt oder alles, was der Islam vorschreibt, wegschmeisst, ist extrem.

Wo sehen Sie die Priorität in der Integrationspolitik?

Bei der Jugend. Was kann man bei 60-Jährigen noch tun? In den letzten Jahren gab es positive Schritte, wie die Einführung des verpflichtenden Kindergartenjahres. Ein Problem bei der Jugend ist die hohe Arbeitslosigkeit. Es gibt auch vergleichsweise weniger muslimische Maturanten.

Mein Wunsch ist, dass sich alle Muslime hier zu Hause fühlen und stolz sagen: "Wie sind österreichische Muslime." Dafür muss man ihnen das Gefühl geben, dass sie nicht ausgegrenzt werden. Andererseits dürfen auch sie sich nicht ausgrenzen. Beide Seiten müssen sich respektieren.

Gehören islamische Gesetze ebenfalls zum Islam, abgesehen von der Glaubenspraxis?

Wir können in Österreich als Muslime unser Gebet verrichten. Eine noch unerfüllte Forderung ist, dass zwei islamische Feiertage - Ramadan und das Opferfest - anerkannt werden. Man kann das innerhalb der Demokratie lösen. Entscheidend ist, dass die Glaubensfreiheit garantiert ist. In Österreich ist die Lage besser als im restlichen Europa.

Bei der Zwangsehe heißt es, das sei eine Tradition, die man von der Religion trennen müsse. Wie stark sind regionale Traditionen noch bei den Muslimen?

Sie sind sehr stark, manchmal stärker als der Islam selbst. Das ist auch ein Problem in islamischen Ländern. Die Menschen glauben, sie tun, was ihre Religion von ihnen verlangt, dabei haben sie nur die Dorftradition von ihren Eltern vermittelt bekommen und dann zu uns gebracht. Dazu gehören Aberglaube und eigene Bräuche bei Hochzeiten. Vieles davon ist harmlos.

Eltern suchen in der Türkei oft die Ehepartner für ihre noch jungen Kinder aus, weil sie wollen, dass die Erbschaft zusammenbleibt. Bei der zweiten und dritten Generation in Österreich spielt das kaum mehr eine Rolle. Aus wirtschaftlichen Gründen haben manche Menschen in der Türkei ihre Kinder mit Türken in Europa verheiratet. Das ist ebenfalls zurückgegangen. Die erste Generation, die jahrelang in Österreich für die Kinder gearbeitet hat, fühlt sich heute besonders allein gelassen.

An den letzten IGGiÖ-Wahlen haben sich viele türkische Moscheen beteiligt. Obwohl etwa 30 Prozent der Muslime aus Ex-Jugoslawien kommen, waren sie weit weniger präsent. Sind türkisch-stämmige Muslime besser organisiert?

Ich will nicht mehr über Ethnien im Islam sprechen.

Wie viele Moscheen gibt es in Wien? Es gab 78 Wahllokale.

Das waren nicht nur Moscheen. Ich weiß von 52 Moscheen in Wien.

Bisher hat man der IGGiÖ fehlende Transparenz vorgeworfen. Bei den letzten Wahlen ist die IGGiÖ freilich so weit gegangen, dass sie alle wahlberechtigten Mitglieder samt ihren Wahllokalen im Internet namentlich aufgelistet hat.

Das war zu viel. Wir müssen nicht alles zeigen, aber wir haben nichts zu verstecken.

Zur Person
Fuat Sanac, geboren 1954 in der Türkei, kam 1978 nach Köln, vier Jahre später nach Wien. Er war zunächst Funktionär der Jugendorganisation der türkisch-islamischen Vereinigung "Milli Görüs". Bei der IGGiÖ arbeitete er zunächst als Religionslehrer. Zur Zeit ist er Fachinspektor für islamischen Religionsunterricht und seit kurzem auch Vorsitzender des Schurarats (legislatives Organ der IGGiÖ). Für seine vierjährige Zeit als Präsident hat er eine Modernisierung der IGGiÖ angekündigt.