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Immer weniger Schulkinder bleiben sitzen

Von Petra Tempfer

Politik

Beim Aufsteigen mit zwei Fünfern soll es 5000 Repetenten weniger geben. | Drei Viertel der im Regierungsprogramm verankerten Projekte umgesetzt. | Nächstes Schuljahr: Ausbildung der Pädagogen und neues Lehrer-Dienstrecht.


Wien. Kein frühes Aufstehen, keine Schularbeiten, kein Stress: Für die rund eine Million Schüler in Österreich beginnen am 1. Juli die Ferien. Etwa 70.000 können sich allerdings selbst in den neun Wochen nicht vorm Lernen drücken: Sie haben eine Wiederholungsprüfung im Herbst. Danach werden an die 40.000 nicht mit ihren Kollegen aufsteigen, sondern dieselbe Schulstufe ein weiteres Mal besuchen, so eine „vorsichtige Hochschätzung” des Unterrichtsministeriums.

Im Vergleich zu 2010 sinke die Zahl der Repetenten leicht ab. Diese Tendenz, dass immer weniger die Klasse wiederholen, ist laut Ministerium über die letzten Jahre hinweg zu bemerken - kommt das Aufsteigen mit zwei Fünfern ab der zehnten Schulstufe, sollen es künftig um 5000 weitere Schüler weniger sein.

„Im Vorjahr haben 9500 Schüler der Allgemeinbildenden Höheren Schulen und der Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schulen die Klasse wiederholt. Deren Zahl wollen wir halbieren”, präzisiert Josef Galley, Sprecher des Unterrichtsministeriums, im Gespräch mit der „Wiener Zeitung”. Bei einem Aufsteigen mit drei Nicht genügend - wie von der SPÖ ursprünglich gefordert - wäre die Durchfallquote noch geringer ausgefallen.

Diese Woche haben sich allerdings Unterrichtsministerin Claudia Schmied und ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon darauf geeinigt, künftig mit zwei Fünfern im Zeugnis aufsteigen zu können (die „Wiener Zeitung” berichtete). Der Gesetzesentwurf soll nun in Begutachtung gehen. Das neue Modell könnte laut Unterrichtsministerium im Dezember 2012 im Rahmen eines Stufenplans starten.

Nach diesem Streit um die Modulare Oberstufe streute Schmied der ÖVP und Amon zum Schulschluss Rosen. Vor Journalisten hob sie am Donnerstag die „vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Regierungspartner” hervor. Schmied lobte auch die Lehrergewerkschaft, mit der seit zwei Monaten über ein neues Dienstrecht verhandelt wird. Ihr sei zu verdanken, dass es „Rückenwind” für die Umsetzung von Schulreformen gebe.

Diesbezüglich ist im soeben beendeten Schuljahr generell viel passiert: Drei Viertel der im Regierungsprogramm vereinbarten Projekte sind laut Schmied bereits umgesetzt.

„Langfristprojekte, die Generationen prägen”

Insgesamt 39 Bildungsgesetze seien als Regierungsvorlage im Parlament eingebracht worden, allen voran die Senkung der Klassenschülerzahl, die Sprachförderung, das verpflichtende Kindergartenjahr und die Bildungsstandards. Die Senkung der Klassenschülerzahl etwa wird laut einer Studie des Instituts für Empirische Sozialforschung von 92 Prozent der 2000 Befragten begrüßt.

Insgesamt sind sieben von neun jener Punkte, die Anfang des Jahres präsentiert wurden, in die Wege geleitet worden. Dazu gehören zentrale Maßnahmen wie der flächendeckende Ausbau der Neuen Mittelschule und der massive Ausbau ganztägiger Schulformen wie die „Oberstufe NEU”, die derzeit in Begutachtung ist.

Die nächsten Konfliktthemen stehen allerdings bereits auf dem Programm. Im kommenden Schuljahr will Schmied auf die neue Pädagogenausbildung und das Dienst- und Besoldungsrecht für alle neu eintretenden Lehrer fokussieren. „Das sind Langfristprojekte, die mehrere Generationen an Lehrern prägen werden”, meinte sie dazu. Details dazu will Schmied noch nicht verraten, weil bis zum Ende der Verhandlungen mit der Lehrervertretung Stillschweigen vereinbart wurde.

Pädagogische Unis statt Hochschulen

In Sachen Pädagogenausbildung wurde Schmied erneut nicht müde zu betonen, dass Pädagogenbildung eine „universitäre Heimat” braucht - etwa in Form von sieben bis neun pädagogischen Universitäten in Österreich. Grundsätzlich bestünden die zwei Möglichkeiten, an bereits bestehenden Universitäten den Lehrerberuf als Studium aufzunehmen, oder Pädagogische Hochschulen (PH) in Universitäten umzuwandeln und laut Schmied „weiterzuentwickeln”.

Wird die Lehrerausbildung an den Unis konzentriert, würden die derzeitigen PH-Bereiche in eine „School of Education” integriert werden. Schmied bevorzugt als PH-verantwortliche Ministerin freilich die Idee der Pädagogischen Unis. Im Sommer will sie das Thema mit Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle diskutieren.

In puncto Besoldung soll eine höhere Qualifikation der Pädagogen allerdings nicht automatisch mit einer besseren Bezahlung einhergehen. „Entscheidend ist die Funktion, in der der Pädagoge eingesetzt wird”, sagte Schmied. Dennoch sollen alle - vom Kindergärtner bis zum Oberstufen-Lehrer - einen Master als Regelabschluss haben. Erstes Problem dabei: Derzeit gibt es lediglich einen Lehrstuhl in Graz für die Frühkindpädagogik. „Hier müssen wir in die Infrastruktur investieren”, meinte dazu die Unterrichtsministerin.

Notensystem vorerst nicht abgeschafft

In Zukunft sei jedenfalls entscheidend, dass alle Maßnahmen an den rund 5800 Schulen in Österreich ankommen und gelebt werden. Was sich nach Ansicht Schmieds allerdings nicht ändern soll, ist die Bewertung der Schüler mit Noten. „Eine Abschaffung der Noten kann ich mir nicht vorstellen”, sagte sie zur „Wiener Zeitung”. Eine zusätzliche verbale Erläuterung aber sehr wohl.

Für die Wiener Stadtschulratpräsidentin Susanne Brandsteidl ist das zu Ende gegangene Schuljahr hingegen von den Pisa-Ergebnissen geprägt. Demnach kann fast ein Drittel der 14- bis 15-Jährigen nicht sinnerfassend lesen. Für Brandsteidl „die Initialzündung für eine Umstellung des Schulwesens”, wie sie in einer Aussendung betonte. Mit dem Wiener Lesetest, im Zuge dessen Anfang April nahezu 30.000 Wiener Schüler der vierten Volksschulklasse und vierten Klasse Hauptschule und Allgemeinbildenden Höheren Schule getestet worden sind, sei ein erster Schritt gesetzt worden. Als „Risikoschüler” mit Leseproblemen haben sich etwa 24 Prozent der 10-Jährigen und 19 Prozent der 14-Jährigen herauskristallisiert.

Crashlesekurs für Kinder in Wien

Nun sollen an allen Wiener Schulen lesefördernde Projekte verwirklicht und spezielle Förderhilfen angeboten werden. Auf Basis eines Aktionsplans, dessen erster Schritt bereits im September gesetzt werden soll: mit einem „Startwoche Lesen”-Projekt, einem „Intensivkurs Lesen” für die Leseschwachen und einem „Crashkurs” für Kinder mit rudimentären Deutschkenntnissen.

Bei der Modularen Oberstufe ist Brandsteidl indes weniger das Aufsteigen mit mehreren Fünfern, sondern die Stärkung der Eigenverantwortung der Schüler wichtig. Die Einseitigkeit der aktuellen Situation helfe den Betroffenen - den Schülern - wenig.