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Die Community, die keine ist

Von Stefan Beig

Politik
Die Auflage des 2010 gegründeten russischsprachigen Journals beträgt derzeit 15.000.

"Dawai!" berichtet über Kultur, nicht über Politik. | Zum Wintertourismus verdoppelt sich Auflage.


Wien. Die Russen zieht es ins Ausland. 49 Prozent würden einer Umfrage zufolge das Land verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten, berichtet Denis Pimenov, Chefredakteur von "Dawai!", Österreichs erster russischsprachiger Zeitschrift. Besonders groß ist die russische Diaspora in Deutschland, doch auch nach Österreich hat es viele Russen verschlagen. Die im Jänner 2010 gegründete Monatszeitschrift "Dawai!" (Deutsch: "Los!") richtet sich an sie.

Die Gratiszeitschrift mit einer Auflage von 15.000 Stück ist zunächst eine Hilfestellung zur besseren Orientierung in Österreich. Sie enthält Infos über Amtswege, Gesetzeslagen und Ratschläge für Aufenthalt und Jobsuche. "Berichterstattung über Politik war zuerst nicht geplant", erzählt Pimenov. Doch bei der Wiener Landtagswahl im Oktober 2010 bot man den Lesern einen Überblick über die Parteien. Kulturministerin Claudia Schmied wurde ebenfalls interviewt.

Auch über russisch-sprachige Dienstleistungen - Friseure, Ärzte oder Kulturveranstaltungen - hält die Zeitschrift ihre Leser auf dem Laufenden. Wie alle Gratisblätter finanziert sie sich über Werbung, in ihrem Fall nur für russische Angebote. Weiters hat "Dawai" noch einen Schwerpunkt auf Kultur. Ob Theater, Ausstellungen oder Konzerte - die Nachfrage ist groß. "Die Russen sind sehr kulturinteressiert", sagt der Chefredakteur. Das hänge mit der Sowjet-Zeit zusammen, in der jeder Russe viel lesen und ins Theater gehen musste. Mit der neuen Generation könnte sich das ändern, meint Pimenov. Seine Zielgruppe ist "breit gefächert". Etwa 55.000 Menschen aus russisch-sprachigen Ländern leben in Österreich, schätzt er, Tschetschenen und die zweite Generation nicht mitgerechnet. 60 Prozent wohnen in Wien. Einige sind im Geschäftsbereich tätig, Büromitarbeiter, Ärzte oder Immobilienmakler. Auch manche Studenten kommen her. Zehn Prozent seien selbständig, wohlhabend und "sehr gut situiert", vermutet Pimenov. Einzelne in Österreich lebende Russen seien sogar sehr reich. Doch daneben lebten hier auch viele arme Russen.

Abgesehen von russischen Kultur-Veranstaltungen wie Lesungen im Russischen Kulturinstitut träfen sich die Russen kaum. Eine organisierte Community gebe es eigentlich nicht. "Von der Zeit des Kommunismus haben es die Russen satt, im Gleichschritt zu marschieren", betont Denis Pimenov. Nun lebt jeder für sich.

Fast alle Russen haben Matura-Niveau, der Großteil einen Uni-Abschluss. Auch das war Teil der Sowjet-Politik. "Das Problem ist, dass sie hier nichts mit den Uni-Abschlüssen anfangen können. Die Anerkennung ist sehr kompliziert", sagt Pimenov.

Suche nach mehr Sicherheit

Hauptmotiv für das Verlassen der Heimat sei die Suche nach besserer sozialer Versorgung und Stabilität. Korruption und fehlende Sicherheit in Russland sorge für Unzufriedenheit. "Wer in einen Autounfall verwickelt ist, dessen Verursacher einen Onkel hat, der ein hoher Regierungsbeamter ist, hat keine Chance", erzählt Pimenov. Darüber hinaus sei der Westen idealisiert worden.

Doch das Leben in Österreich ist auch nicht einfach. "Man braucht mindestens zwei bis drei Jahre, um sich hier einzuleben." Die russische Mentalität unterscheide sich von der mitteleuropäischen: "Hier ist alles organisiert, in Russland hingegen dem Zufall überlassen." Geschäfte würden "ohne langfristige Vision" begonnen. Alles passiere in Russland spontan. "Die Leute sind Krisen und Umbrüche gewöhnt. Man weiß nicht, was morgen sein wird, und plant nicht zwei Jahre voraus." Der Lebensrhythmus Wiens ist ganz anders. "Menschen aus Moskau haben das Gefühl, hier wäre die Zeit still gestanden. Alles ist so ruhig." Auch die russische Sprache fehle den meisten.

Im November wird sich die Auflage von "Dawai!" wegen der russischen Wintertouristen verdoppeln. 75 Prozent der russischen Touristen kämen zum Skifahren her, schätzt Pimenov. Insgesamt würden um die 300.000 Touristen jährlich Österreich besuchen.