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Kunst kennt keine Grenzen

Von Stefan Beig

Politik
Bunt, jung: Im European Union Youth Orchestra spielen Nachwuchsmusiker aus 27 Ländern.

VWI-Geschäftsführerin Ortega spricht über Integration durch Kultur. | Klassische Kunst kam bisher zu kurz, findet sie.


Wien. Integration kennt viele Wege. Einige davon wurden auch erkannt und gefördert, gerade in den letzten Jahren, etwa in der Wirtschaft und dem Sport, oder durch Ermutigung zu gesellschaftlichem Engagement und zu Partizipation in der Politik. Doch auch die Kunst kann hilfreich sein, gerade in Österreich, das sich seit Ende der Monarchie vor allem als "Kulturnation" versteht. Der Trost, sich dadurch trotz der eigenen Kleinheit über andere zu erheben, wurde von Literaten wie Robert Musil zwar immer wieder verspottet. Fakt ist: Das Selbstbild hat bis heute Bestand und prägt nach wie vor die Identität und den Alltag dieses Landes.

So wendet sich nun auch der Verein Wirtschaft für Integration (VWI), der in den letzten Jahren schon zahlreiche Integrationsprojekte durchgeführt hat, der Hochkultur zu. Unter dem Schlagwort "Kulturelle Grenzen überwinden" treffen am Samstag in Grafenegg jugendliche Beteiligte bisheriger Integrationsprogramme - etwa die Gewinner des mehrsprachigen Redewettbewerbs "Sag’s multi" - auf Europas vielversprechendste Nachwuchsmusiker. Sie besuchen gemeinsam auf der Open-Air-Bühne Wolkenturm ein Konzert des European Union Youth Orchestra. Festival-Geschäftsführer Paul Gessl hofft dadurch vor allem jungen Menschen "den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen."

Klassische Kunst sei ein bisher vernachlässigtes Gebiet der Integration, findet VWI-Geschäftsführerin Zwetelina Ortega. "Es wird sehr oft über die Erzeugung von laienhafter Kunst im Zusammenhang mit Integration gesprochen. Das hat auch sehr gute Ergebnisse erbracht. Aber über den Zugang zu echter Hochkultur, um in diese noch tiefer hineinzublicken, wurde bei Integration bisher nur sehr wenig gesprochen."

Für Ortega ist die zentrale Frage: "Wie macht man Kunst für ein junges Publikum schmackhaft?" Gerade angesichts eines wachsenden Migrantenanteils bei der Jugend sei es eine spannende Herausforderung, weg von der sterilen Art der Kunstvermittlung zu kommen. "Man bekommt auch viel vom Elternhaus mit", meint Ortega. "Wenn die Eltern mit einer anderen Kultur aufgewachsen sind, wird es schwieriger, die Kultur den Kindern weiterzugeben." Diesen Zugang gelte es nun Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu vermitteln: "Man genießt etwas viel mehr, wenn man es versteht."

Nicht alle haben die Möglichkeit, Zugang zu klassischer Kunst zu finden. Man müsse solche Kunstwerke überhaupt erst kennenlernen. Das Ereignis in Grafenegg sei ein Beitrag, um den Jugendlichen "Lust und Laune auf Kunst und Kultur zu machen." Positiv hebt Zwetelina Ortega auch hervor, dass beim European Union Youth Orchestra lauter Nachwuchsmusiker aus ganz Europa dabei sind. "Das ist ebenfalls von Vorteil für die Jugendlichen."

Kunst vermittelt Geschichte

Natürlich sei anspruchsvolle Kunst gerade für jüngere Menschen nicht immer leichte Kost. "In Grafenegg wird keine Subkultur oder Jugendkultur geboten, sondern klassische Kunst, ein Kanon von Meisterwerken." Am Samstag erwartet die Jugendlichen die Sinfonietta von Leos Janácek und Anton Bruckners Vierte Symphonie. "Wenn man mit klassischer Kunst aufgewachsen ist, bedeutet sie eine riesige Bereicherung", ist Ortega überzeugt.

Mitteleuropas lange Geschichte ist bis heute präsent. Der Zugang zu klassischer Kunst könnte einen besseren Überblick über die Geschichte der Gesellschaft schaffen, findet Ortega. "Das ist ebenfalls eine Art Integration, weil die Kultur ein wunderbarer Zugang zu weiteren Themen ist, etwa dem Verstehen der gesellschaftlichen Entwicklung und dadurch der Gesellschaft, in der man lebt", hebt sie hervor. "Durch Malerei kann man Geschichte kunstvoll erleben und besser verstehen. Warum gehen so viele Schulklassen in das Kunsthistorische Museum?" Auch die Konzepte Europas könnten durch Malerei erschlossen werden. "Das Schöne: Alles ist kinderfreundlich verpackt."

Dass Österreich eine starke Kunstproduktion habe, liege wahrscheinlich auch an der Tradition. "Hier wurde und wird Kunst viel gefördert, auch öffentlich." Und: "Kunst kann auch wachrütteln, Dinge aufzeigen und in Frage stellen."

Ein weiteres Charakteristikum von Kunst ist für Ortega, die auch selber Gedichte schreibt und malt, das Überschreiten von nationalen Grenzen. "Wir denken noch in nationalen Konstrukten, aber eigentlich ist das überholt. In der ganzen Kunstgeschichte Europas sind Künstler durch verschiedene Länder herum gereist, von denen sie sich inspirieren haben lassen." Für Europa sei ein Gefühl der Gemeinsamkeit heute wichtig.

Multikulturelle Hochkultur

Mittlerweile gibt es in der Kunstszene viele Persönlichkeiten mit Migrationshintergrund. Ortega verweist auf Autoren wie Julya Rabinowich oder Dimitré Dinev. "Die wechselseitige kulturelle Bereicherung hat sich ganz wunderschön auf natürliche Art entwickelt. Auch an den Kunstschulen gibt es viele ausländische Studenten." Ortega ist mehrsprachig aufgewachsen - neben Deutsch nennt sie noch Spanisch und Bulgarisch ihre Muttersprachen. Das spiegelt sich in ihren Gedichten wider. "Was mich beim Schreiben beeinflusst hat, waren die Sprachgrenzen."

Ihr letztes Projekt waren mehrsprachige Gedichte. "So beginnt ein Text etwa auf Deutsch, geht in Spanisch weiter und endet auf Bulgarisch. Die Gedanken und Aussagen liegen dazwischen, es gibt keinen Sprung im Gedicht durch den Wechsel der Sprache. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn jemand nur eine oder zwei Sprachen davon versteht." Der poetische Klang bleibe ja bestehen. Ortega sei beim Schreiben wichtig, über einen Sprachraum hinweg zu produzieren. "Ich will die Sprache so vielseitig wie möglich verwenden."