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Die "Pioneers" der Balkanmeile

Von Bernd Vasari

Politik
Die Balkanmeile künstlerisch verarbeitet: Die Foto-Collage der Künstlerin Paola di Bello ging aus dem partizipativen Kunstprojekt "Bekenne Straße" hervor.

Einblicke in einen Stadtteil, der vor kurzem noch als dunkle Ecke galt. | Mit der EM 2008 kam der Image-Wechsel.


Wien. Der Name ist Programm: "Balkanmeile. 24 Stunden Ottakringer Straße" heißt der neue Sammelband, der im Verlag Turia + Kant erschienen ist. Am Donnerstag präsentierte ihn das vor zwei Jahren entstandene Stadtforschungsprojekt "Reisebüro Ottakringer Straße". Fotos, Porträts, Reportagen und Diskussionen liefern das Stimmungsbild eines Stadtteils, der noch vor kurzer Zeit als eher dunkle Ecke Wiens galt.

Radovan Tomas, Geschäftsführer des Fußball-Fachgeschäfts "Radosport", sieht im Buch die Fußball-EM 2008 als Wendepunkt zum besseren Image: "Die Leute, die hier arbeiten und leben, haben die Rahmenbedingungen für die EM geschaffen." Auch die Medien begannen, positiver zu schreiben. Die Balkanmeile galt als inoffizielle Fanmeile. Bei Spielen der Serben war sie mit serbischen Fahnen geschmückt. Beim Spiel Kroatien-Türkei war die Balkanmeile Sektor der Kroaten, der Brunnenmarkt jener der Türken. Auch viele autochthone Österreicher finden seither den Weg auf die Straße, die Ottakring und Hernals trennt.

Für Tomas, der vor 20 Jahren aus Bosnien herkam, ist die Balkanmeile täglicher Beweis, dass Nationalität kein Argument ist. Dusan Stojanovic, der das Café Laby, betreibt, teilt diese Meinung: "Ich sage nie, der ist Kroate, der ist Moslem, der ist Serbe. Für mich ist das kein Thema mehr. Ich freue mich sehr darüber, dass sich bei mir alle treffen." Sein Lokal verwandelt sich in der Nacht vom gemütlichen Kaffeehaus in eine Disko mit Turbo-Folk. Deutsch wird selten gesprochen, da überwiegend Personen aus der ex-jugoslawischen Community vorbeikommen. Stojanovic würde sich aber mehr österreichische Gäste wünschen: "Damit ich endlich mein Deutsch verbessern kann."

Warum die Ottakringer Straße floriert und es keine leer stehenden Läden gibt, wird im Buch ebenfalls diskutiert. Elke Krasny, Kulturtheoretikerin und der vier Mitherausgeberinnen, verweist auf den Soziologen Erol Yildiz: "Migration ist die Ressource des urbanen Werdens. Urban Pioneers sind nicht die Künstler, sondern vor allem Menschen mit Migrationshintergrund." Laut Krasny werden aus gegebenen Gründen viele von ihnen Unternehmer und gründen Geschäfte, die die Straße aufwerten: "Es entsteht eine spezifische lokale Identitätsbindung."

Amila Sirbegovic, Gebietsbetreuerin von Hernals, fügt hinzu: "Anfang der 1990er Jahre sind die meisten jugoslawischen Vereine auseinander gefallen. Es gab ein Bedürfnis für neue Treffpunkte, wie etwa Cafés." Die Ottakringer Straße war der Ausgangspunkt. Gleichzeitig haben viele Banken geschlossen, wo danach immer mehr Cafés hinein kamen. Barbara Jeitler, Gebietsbetreuung von Ottakring: "Dies hatte positive Auswirkungen auf die Fußgängerfrequenz."

Ein Vorteil der Ottakringer Straße war bereits, dass man sie kennt, meint Krasny. Das Image habe sich aber erst in den letzten Jahren verändert. "Als wir 2008 anfingen, war die Berichterstattung in den Medien überwiegend negativ und sehr einseitig," sagt Antonia Dika, Gebietsbetreuerin von Ottakring. "Mit Reisebüro Ottakringer Straße, wo wir etwa nächtliche Balkanclubtouren angeboten haben, ist es uns gelungen, die Menschen neugierig zu machen."

Beim Umbau des Reisebüros vor zwei Jahren fragte der MA 48 Mitarbeiter noch, ob er sich eine kugelsichere Weste anziehen soll. Selbst viele Bewohner der Ottakringer Straße trauten sich nicht mehr, selber eine Entdeckungsreise zu machen. Die verdunkelten Auslagen der Cafes schreckten die Nachbarn noch ab. Krasny: "Man glaubt den Zeitungen mehr als den eigenen Erfahrungen. Man lebt in einer transformierten Stadt. Das sollte man begreifen. Die Gegenwart der Stadt ist so wie hier."

Balkanmeile als Blaupause?

Diese Gegenwart wünschen sich auch andere Gegenden wie Monte Laa in Favoriten, wo eine funktionelle Durchmischung mit Begegnungen fehlt. Kurt Smetana, Gebietsbetreuung Ottakring: "In Ottakring und Hernals stehen den Bewohnern im Durchschnitt 0,45 Quadratmeter Freiraum zur Verfügung, in Monte Laa sind es 4,5. Ohne kleinere Wirtschaft kann keine Durchmischung stattfinden. In Ottakring findet man eine kleinteilige Struktur mit einer lokalen Ökonomie. Es herrschen hier völlig andere Rahmenbedingungen als in Monte Laa."

Allerdings gibt es auch kritische Stimmen, wie Werner Binnenstein-Bachstein, Initiator interkultureller Einrichtungen wie der Brunnenpassage am Yppenplatz und Geschäftsführer der Caritas: "Wenn wir von Begegnung hier in dem Stadtteil reden, dann findet sie zwischen Menschen statt, die keine sozialen Probleme haben. Die Wahlfreiheit, in welchem Stadtteil man wohnt, bleibt Eliten vorbehalten." Binnenstein-Bachstein sieht auch die Gefahr einer Gentrifizierung Ottakrings, wo fehlende Wohn-Wahlmöglichkeit einkommensschwächerer Personen Wirklichkeit werden könnte.

Elke Krasny wehrt sich gegen den Vorwurf der Gentrifizierung: "Man muss Dinge differenziert betrachten. Eine Stadt hat prinzipiell immer mit ökonomischer Veränderung zu tun." Einen Begriffstransfer des aus dem anglophonen Raum stammenden Wortes lehnt sie allerdings ab: "Es ist problematisch ein Paradigma über ein Viertel zu stülpen."