Zum Hauptinhalt springen

Dem türkischen Islam verbunden

Von Rusen Timur

Politik
Atib ist vor allem bei der sogenannten Gastarbeiter-Generation sehr stark vertreten.

Atib ist laut ihren Statuten für alle türkisch-stämmigen Muslime zuständig.


Wien. "Nicht zum Kampf bin ich gekommen, sondern in Frieden", rezitiert Seyfi Bozkus, der Chef von Atib (Türkisch-islamischen Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich), den berühmten türkischen Mystiker Yunus Emre in einer seiner Freitagpredigten. Demut, Nächstenliebe und Disziplin seien die Tugenden, die stets zu gelten hätten - gerade in einer "fremden" Umgebung. Die Freitagspredigten in der Zentrale der Atib im zehnten Wiener Gemeindebezirk sind gut besucht. Hier finden sich türkisch-stämmige Muslime aus ganz Wien ein und nach dem Gebet wird in der Atib-eigenen Kantine zugelangt.

Atib ist mit 63 Gemeinden der größte Moscheedachverband Österreichs. Ihre Gemeinden in Bad Vöslau und Telfs sorgten wegen der Moscheeneubauten mit Minarett für Schlagzeilen. Gegründet wurde Atib erst 1990, also später als andere türkisch geprägte Islam-Vereinigungen, wie Milli Görüs, Türk Federation oder die Union islamischer Kulturzentren (UIKZ), die seit mehr als 30 Jahren in Österreich tätig ist.

Was Atib von den anderen unterscheidet: Sie untersteht dem staatlichen Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei. Ihre Imame sind Angestellte des türkischen Staats. Atib-Chef Seyfi Bozkus ist gleichzeitig türkischer Botschaftsrat in Österreich.

Angesprochen auf das Verhältnis Atibs zu anderen Islamverbänden reagieren die meist älteren Herren in der Atib-Kantine eher zurückhaltend. Gesprächig sind sie nicht, ein gewisses Misstrauen den Medien gegenüber wird auch ganz offen zugegeben. Ob es denn zwischen den einzelnen Dachverbänden nach wie vor Reibereien gäbe, wie noch vor wenigen Jahren? "Wir glauben doch alle an den einen Herrn", erwidert ein korpulenter Herr widerwillig.

Während die religiösen wie auch bürokratischen Würdenträger der Atib in der Kantine wandeln, erscheint eine tiefergehende Diskussion schwierig. Salih, der sich selbst eher der Milli Görüs nahe sieht, sagt allerdings - mit einem leichten Schmunzeln -, es gäbe tatsächlich einen "süßen" Wettbewerb, auch wenn sich dieser fast nur noch in Fragen des religiösen Services äußern würde.

Kooperation bei Wallfahrt und Bestattungen

Inoffiziell weist ein Funktionär der Atib den Gedanken zurück, es könne zwischen islamisch versierten Gruppen und Verbänden eine tatsächliche Wettbewerbssituation geben. Man könne gemäß den Vorgaben des Korans lediglich "im Guten" wetteifern. Es sei aber mittlerweile normal, dass sich die Verwaltungsebenen der jeweiligen Verbände (wie etwa Milli Görüs, die Union der islamischen Kulturzentren und die Türk Föderation) gegenseitig unterstützen würden. Am ehesten sei dies im Bereich des Bestattungswesens und der Wallfahrtsorganisation sichtbar. Man stünde in Kontakt und würde einander keine Bitte abschlagen.

Generell sticht eine gewisse Altersstruktur ins Auge. Atib-Gemeinden sind gemeinhin ein Sammelpunkt für die erste Gastarbeitergeneration - ältere Herren, die ihr Leben lang gearbeitet haben, aber die traditionellen Formen des Glaubens ebenso wenig ablegten wie ihre emotionale Verbundenheit zu ihrer Heimat. Die anderen türkisch-islamischen Verbände widmen sich stärker der Jugendarbeit. Bei salafistischen Moscheen findet man zurzeit ein vorwiegend jugendliches Publikum. (Salafismus ist eine puritanisch geprägte "moderne" Bewegung.)

Ferhat, ein zugezogenes UIKZ-Mitglied, bejaht zwar, dass die Zeiten gegenseitiger Ablehnung aufgrund religiöser oder politischer Unterschiede nahezu vorbei wären, verweist aber auf ein Phänomen, das ihn persönlich stören würde: "Ein eigenartiger Lokalpatriotismus ist präsent."

Herkunftsregionen prägen die Islamverbände

Schließlich hätten sich die Verbände auch entlang von geografischen Herkunftsregionen etabliert. Es gebe die Tendenz, dass sich Türkeistämmige aus kurdisch geprägten Regionen eher zu Milli Görüs bekennen würden, während Menschen aus der Industriestadt Samsun eher bei Atib zu finden sind. Dieser Faktor sei am ehesten für die Aufsplittung in diverse Verbände und Gruppen verantwortlich, schließlich wären ja die meisten Gastarbeiter der ersten Generation vorgeprägt gewesen und hätten diese "Prägung" in die neue Heimat mitgebracht.

Obwohl Atib nur einer von vielen Dachverbänden ist, schreibt sie in ihren Grundsätzen, sie sei für "alle innerhalb der Republik Österreich sesshaften türkisch stämmigen und dem Islam zugehörigen Personen zuständig" und stellt damit einen Quasi-Alleinvertretungsanspruch. Der Umstand, dass sich die Atib lange Jahre geweigert hatte, der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) beizutreten, wird mit diesem Anspruch begründet. Erst im Jahr 2010 trat die Atib der Glaubensgemeinschaft bei und erwies sich in den letzten IGGiÖ Wahlen als stärkste Kraft innerhalb des österreichischen Islam.

"Ich sehe das positiv", sagt Ferhat, da es gut wäre, wenn die türkischstämmigen Muslime im Land mit einer Stimme sprechen könnten. Er sei zwar kein politischer Mensch, aber die politische Wetterlage würde sich zusehends verschlechtern. Außerdem sieht er in der Atib und den anderen "türkischen" Verbänden einen qualitativen Unterschied: Die Atib wäre professioneller und finanziell stabiler, während die anderen Verbände nach wie vor "cemaat" wären, sprich Formen der religiösen Selbstverwaltung ohne professionelle Strukturen hätten, mit Imamen, die am Monatsende nicht wüssten, ob die Spenden der Gemeinde den eigenen Monatslohn abdecken würden.

Einen Wunsch haben aber sowohl Salih als auch Ferhat: Die Spenden und Finanzen der Verbände sollten transparenter gemacht werden, um Misstrauensmomente auszuschließen.