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Elga: Das Chaos soll Gesetz werden

Von Peter Muzik

Politik
In Zukunft sollen alle Patientendaten elektronisch gespeichert werden.
© © © Ed Kashi/Corbis

Erneuter Widerstand gegen die Einführung der Online-Patientenakte.


Mit einer Inseraten-Kampagne - eine nackte Frau im Bild und dazu der Text "Elga stellt Sie vor den anderen bloß!" - schießt sich die Wiener Ärztekammer seit ein paar Tagen gegen ein geplantes Mega-Projekt des Gesundheitsministeriums ein. Die Elektronische Gesundheitsakte - kurz Elga - ist Ärztekammer-Präsident Walter Dorner und vielen seiner Standeskollegen ein Dorn im Auge: Sie schaffe den "gläsernen Patienten", dessen Krankheitsdaten künftig von schätzungsweise 100.000 Personen abgerufen und womöglich auch missbräuchlich verwendet werden könnten. Gesundheitsminister Alois Stöger, der das auf 130 Millionen Euro geschätzte Vorhaben trotz der massiven Widerstände bis spätestens 2017 umsetzen möchte, spricht hingegen von einem "Quantensprung in Sachen Datensicherheit".

Stöger ist überzeugt, dass Österreich einen internationalen Trend nicht verschlafen dürfe: Die bereits etablierten modernen Krankenhausinformationssysteme, eine integrierte Software bei Ärzten oder Apotheken und der flächendeckende Einsatz moderner Technologien bieten die optimalen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Vernetzung und die erforderliche Kooperation aller Akteure im Gesundheitswesen.

Vorteile bleiben verborgen

An sich eine exzellente Idee, die den Patienten durchaus Vorteile brächte und unnötige Behandlungskosten sowie Zweigleisigkeiten in der medizinischen Versorgung eindämmen würde. Susanne Herbek, Chefin des Projektträgers Elga GmbH, hat ihren Optimismus, dass die Online-Patientenakte plangemäß realisiert wird, noch nicht verloren.

Das Gesundheitsministerium sorgte jedoch mit dem ersten Gesetzesentwurf für heillose Verwirrung: Der Umstand, dass der Text nicht nur schwer lesbar beziehungsweise kaum verständlich war, sondern auch jede Menge Murks enthielt, führte unweigerlich dazu, dass zwar die schlichten Argumente der Kritiker Beachtung fanden, doch die unbestreitbaren Vorteile des Projekts mangels einer aufklärenden Informationskampagne bislang weitgehend verborgen blieben.

Zum ersten Entwurf des sogenannten Gesundheitstelematik-Gesetzes sind zwischen 1. März und 4. April im Zuge des Begutachtungsverfahrens rund 50 Stellungnahmen eingelangt - unterschiedlich umfangreich und verschieden in der Tonalität. Uneingeschränkt, fast schon euphorisch für Elga sprachen sich etwa das Kanzleramt, die Ministerien für Wissenschaft und Äußeres sowie die Arge der Patientenanwälte aus. Ein "Ja, aber" kam unter anderem vom Finanzministerium, das konkrete Planrechnungen für die nächsten vier Jahre gefordert hat, weil sonst unklar sei, welche Kosten "im Vollausbau letztendlich zu erwarten" wären.

Auch die Ämter der Landesregierungen fast aller Bundesländer waren im Prinzip dafür, aber noch skeptisch wegen der Investitions- und Folgekosten. Die Industriellenvereinigung sah zwar noch einigen "Klärungsbedarf", signalisierte aber letztlich ebenso Zustimmung wie die Wirtschaftskammer, die im Gesetzestext noch "noch eine Reihe von Unzulänglichkeiten" geortet hat. Die Arbeiterkammer reagierte auch grundsätzliche positiv, desgleichen der Gewerkschaftsbund, aber nur unter der Bedingung, dass etwaige Mehrkosten künftig nicht übergewälzt werden.

Weitaus skeptischer reagierte beispielsweise der Städtebund ("Entwurf ist an sich nicht stimmig, die Lesbarkeit schlecht"), desgleichen die Salzburger Landesregierung, die den "Nutzen eines mit hohem finanziellen Aufwand zu implementierenden Systems überhaupt in Frage" stellte, und das Land Kärnten, für das der Entwurf "den Zielvorgaben noch keineswegs gerecht wird". Eine Einbindung der Ländervertreter, hieß es mehrfach, wäre unbedingt erforderlich. Das Justizministerium wiederum konnte das Projekt zwar "begrüßen", bekrittelte allerdings "offene Fragen" - und obendrein war es sauer, weil im Entwurf nicht auf die Mehrbelastungen der Justiz, sprich: der Staatsanwaltschaften und der Gerichte, hingewiesen wurde.

Datenschützer kritisieren

Wenig Begeisterung brachte obendrein der Hauptverband der Sozialversicherungsträger auf. Dessen Generaldirektor Josef Kandlhofer bekundete zwar zunächst, dass er "dem Grundsatz nach positiv" gestimmt wäre, doch dann ließ er ein 35 Seiten langes aber folgen: Der Text sei "schwer verständlich", lasse "wichtige Kernaussagen vermissen", benötige dringend "klarere Finanzierungsbestimmungen" und so weiter. Als noch schwierigerer Brocken erwies sich die Ärztekammer, die ihre Kritik auf zwölf Seiten zusammenfasste und "eine Vielzahl offener und ungeklärter Fragen" konstatierte, "insbesonders hinsichtlich Nutzen, Kosten, Verantwortung/Haftung und Datenschutz".

Eine Spur forscher äußerten sich die Zahnärztekammer, die "keinerlei Nutzen für die Zahnärzteschaft erkennen" konnte, sowie der Österreichische Rechtsanwaltskammertag, dessen Präsident Gerhard Benn-Ibler "eine nahezu unüberschaubare Vielzahl von erörterungswürdigen Themen und Aspekten" entdeckt hatte - beide Institutionen lehnten den Entwurf ab. Das lauteste Njet kam indes von den heimischen Datenschützern, die so taten, als würde Elga umgehend lediglich Hacker interessieren und daher den Weltuntergang einläuten. Hans Zeger von der Arge Daten etwa sprach von einem "missglückten Konzept ohne konkrete Ziele". Der Datenschutzrat wiederum mäkelte auf 27 Seiten an zahllosen Details herum. Fazit: Hauptsächlich wegen dieser Bremswirkungen musste das Gesundheitsministerium zurück an den Start.

Ärzte fürchten Umsatzminus

Während der Gesundheitsminister mit seinem Sektionschef Clemens Martin Auer an etlichen Knackpunkten herumdokterte, formierten sich SP-Abgeordneter Johann Maier, Vorsitzender des Datenschutzrates, die unwilligen Ärztevertreter mit ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger und den drei Oppositionsparteien zu einer starken Nein-Sager-Allianz. Obwohl der neue Gesetzesentwurf, wie Stöger vergangene Woche in einem Pressegespräch ausführte, massiv überarbeitet wurde, werden nunmehr beinahe regelmäßig ziemlich opportunistisch anmutende verbale Attacken gegen Elga geritten: Stögers Vorgangsweise - der Entwurf soll möglichst bald im Ministerrat landen - sei laut Rasinger "grob fahrlässig", weil der Ressortchef seine Vorhaben nicht mit allen Betroffenen akkordiere. Es sei daher "ausgeschlossen", die Angelegenheit im "Husch-Pfusch-Verfahren" durchzuboxen. Speziell die genannten Kosten von 130 Millionen Euro wären laut Rasinger unrealistisch - der VP-Mandatar erwartet eine halbe Milliarde Euro.

Der SP-Minister, der noch immer nicht schwarz sehen mag, hält derlei Ansagen für "bewusste Falschinformationen". Wahr ist seiner Ansicht nach vielmehr, dass die dezentrale Vernetzung von Befunden, Röntgenbildern oder Medikamentenverschreibungen allen Beteiligten durchaus Vorteile bringe. Die Unterlagen werden von behandelnden Ärzten, Spitälern, Apotheken und Pflegeeinrichtungen bei Verwendung der E-Card, was das Einverständnis des Patienten voraussetzt, 28 Tage lang abrufbar sein. Befunde sollen zehn Jahre statt wie bisher geplant drei gespeichert bleiben.

Das künftige System, das im Vollbetrieb 18 Millionen Euro pro Jahr kosten soll, wird sich laut Stöger auf Grund beträchtlicher Einsparungen nach nur einem Jahr amortisieren. Es werde zu weniger unnötigen Untersuchungen und kürzeren Krankenhausaufenthalten führen. Das bedeutet, dass niedergelassene Ärzte um ihre Honorare fürchten müssen - was auch der Hauptgrund sein dürfte, weshalb ihre Ärztekammer gar so erzürnt gegen Elga auftritt.

Eine endlose Geschichte
Im Juni 2006 ging’s los: Die damals beschlossene Arge Elga, die am 1. September aktiv wurde, erhielt den Auftrag, gemeinsam mit den Krankenanstaltenverbünden und den ambulanten Gesundheitsdienstanbietern die medizinischen, technischen, organisatorischen und finanziellen Grundlagen der geplanten Patientenakte zu erarbeiten. Sie hat diverse Studien in Auftrag gegeben und die Detailplanung, etwa den Patienten-Index, in Angriff genommen. Bis Ende 2009 sind Kosten in Höhe von fünf Millionen Euro angefallen.

Im März 2009 wurde von der Bundesgesudheitskommission die Gründung der Elga GmbH beschlossen. Sie gehört zu je einem Drittel dem Bund, den Ländern und der Sozialversicherung und nahm am 1. Jänner 2010 den Betrieb auf. Als Projektträgerin wurde sie mit einem Budgetrahmen von 30 Millionen Euro ausgestattet, der für die Errichtung der zentralen Architekturkomponenten und den Teilbetrieb dieser Komponenten, etwa das Pilotprojekt e-Medikation in drei Bundesländern, gedacht war. Nicht inkludiert waren die dezentralen Errichtungs- und Betriebskosten nach dem Jahr 2013.

Vollbetrieb ab 2017?

Der am 1. April 2011 gestartete Testlauf mit der Medikamenten-Datenbank, für den der Hauptverband verantwortlich ist, ging bislang ziemlich daneben - speziell die Wiener Ärztekammer hatte sich quergelegt und ihren Mitgliedern empfohlen, nicht daran teilzunehmen. Der Pilotbetrieb soll im zweiten Quartal 2012 evaluiert werden, was auch für Elga eine Verzögerung bedeuten könnte. Diverse Ärztekammer-Vertreter wollen nämlich erst dann über die Gesundheitsakte weiter verhandeln.

Derzeit ist geplant, dass die Patienten sich ab Mitte 2013 für beziehungsweise gegen Elga entscheiden können. 2015 soll das patientenbezogene Informationssystem komplett implementiert sein und Ärzten, Spitälern und Apotheken den Online-Zugriff auf alle Daten ermöglichen. Der Vollbetrieb, bei dem auch private Krankenanstalten inkludiert sind, ist für das Jahr 2017 vorgesehen.