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Wer kriegt am meisten Kinder?

Von Alexia Weiss

Politik
Gängige Klischees werden durch Fakten widerlegt.

Ein Argumentarium gegen Rassismus, Islamhetze und Antisemitismus.


Wien. Ist es Ihnen auch schon einmal passiert, dass jemand in seinen rassistischen Tiraden so richtig schön in Fahrt gekommen ist und schließlich meint, Ausländer seien Schmarotzer und nützen den Staat Österreich nach Strich und Faden aus? Die Fakten zeigen ein anderes Bild: Laut Daten des Sozialministeriums für 2008 zahlten Österreicher 89,3 Prozent aller Sozialbeiträge und erhielten im Gegenzug 93,8 Prozent aller finanziellen Sozialleistungen. In Österreich beschäftigte Ausländer aus EU-Staaten zahlten 4,7 Prozent aller Beiträge, erhielten aber nur 2,5 Prozent aller Geldleistungen aus den Sozialtöpfen. Und Ausländer aus Drittstaaten finanzierten das Sozialsystem zu sechs Prozent, erhielten aber nur 3,7 Prozent der Geldleistungen.

Diesen Satz haben Sie sicher auch schon einmal gehört: "Ausländer bekommen so viele Kinder." Wissen Sie, wer in Österreich die kinderreichsten Familien sind? Ja, es stimmt, Frauen ohne Migrationshintergrund brachten im Jahr 2010 durchschnittlich 1,32 Kinder zur Welt, Ausländerinnen, die in Österreich lebten, hingegen 2,03 Kinder. Am höchsten ist dabei der Anteil in türkischstämmigen Familien mit 2,43 Kindern pro Frau. Aber: Die meisten Kinder bekommen in Österreich die Bäuerinnen. Im Schnitt sind es 2,5.

Die Politologin und Journalistin Nina Horaczek ("Falter") und der Jurist Sebastian Wiese haben in ihrem "Handbuch gegen Vorurteile. Von Auschwitzlüge bis Zuwanderungstsunami" gängige Stehsätze aufgegriffen, die nicht nur am herkömmlichen Stammtisch, sondern auch bei Unterhaltungen im Wartezimmer des Hausarztes oder aber in den Online-Foren von Medien sowie sozialen Plattformen im Netz zu hören und zu lesen sind. Dann haben sie penibel recherchiert: Jedem Vorurteil werden Fakten gegenübergestellt.

Das bringt jede Menge Aha-Erlebnisse - selbst für jene, die meinen, solchen landläufigen Meinungen nicht aufzusitzen. "Jeder merkt, dass er Bilder im Kopf hat, die einfach Blödsinn sind", meint Horaczek im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Beispiel Bildungsniveau. Wussten Sie, dass Migranten, die in Österreich leben, häufiger Magister und Doktoren sind als Österreicher? Von den 25- bis 64-jährigen Zuwanderern der ersten Generation, jenen also, die im Ausland geboren wurden, besaßen 2010 16,9 Prozent einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Von den autochthonen Österreichern waren es nur 10,9 Prozent.

Muslime seit mehr als 1000 Jahren in Österreich

Ansprechen wolle sie mit dem Buch "Leute, die es genauer wissen wollen", betont Horaczek. "Leute, die faktenbasiert diskutieren wollen. Wie oft ist es jedem von uns schon passiert, dass man in einer Runde sitzt und plötzlich sagt irgendwer etwas und man denkt sich, was antworte ich da?" Das Buch liefert ein Argumentarium, das nicht nur fremdenfeindliche, sondern auch antisemitische Vorurteile bloßstellt. Beides, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, sieht Horaczek in der österreichischen Gesellschaft verankert. Manches, wie die Annahme, dass alle Muslime integrationsunwillig sind, sei bereits in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Einige der Einträge in dem Handbuch befassen sich auch mit dem Islam. Da wäre einmal der Stehsatz "Der Islam hat in Österreich nichts verloren". Horaczek und Wiese sind in die Vergangenheit gereist und zeigen auf, dass Österreich nicht erst durch den Zuzug von muslimischen Gastarbeitern mit dem Islam in Kontakt gekommen ist. Die ersten Berührungen zwischen Muslimen und Österreich gab es bereits im neunten Jahrhundert, noch bevor die Bezeichnung "Ostarrichi" erstmals urkundlich erwähnt wurde. Muslimische Händler waren damals in dem Gebiet unterwegs, das heute Österreich ist.

1781 erhielten Muslime durch das Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. Religionsfreiheit. 1912 verabschiedete Österreich als erstes Land Europas ein Islamgesetz, mit dem die muslimische Glaubensgemeinschaft dieselben Rechte und denselben Schutz wie andere Religionen erhielt.

Die Autoren wischen mit ihrem Buch allerdings nicht alle Bedenken, die es in der Bevölkerung gibt, einfach vom Tisch. Sie versuchen auch der Frage auf den Grund zu gehen, warum die gefühlte von der tatsächlichen Realität manchmal weit entfernt ist. Was die Muslimen anbelangt, zeigen sie zum Beispiel auf, dass deren Anzahl in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich massiv angewachsen ist. 1964 lebten an die 8000 Muslime in Österreich. Heute sind es etwas mehr als 500.000.

Das Verhüllen des Haares gilt meist als Pflicht

Viele der islamischen Frauen tragen Kopftuch, ein zentrales Motiv in der Integrationsdebatte. "Kopftuchtragen ist keine religiöse Pflicht", wird dem oft entgegengehalten. Doch wer kennt schon die relevanten Passagen im Koran? Das Handbuch zitiert sie, eine nach der anderen. Auch das ist äußerst brauchbares Material in unangenehmen Diskussionen. Wobei die Autoren festhalten, dass unter Islamgelehrten zwar weitgehende Einigkeit darüber herrscht, dass zumindest das Verhüllen des Haares einem religiösen Gebot entspricht, wie weit dieses Gebot aber geht und welche weiteren Körperpartien es einschließt, sei auch innerhalb der Religionsgemeinschaft Gegenstand anhaltender Diskussionen.

Interessant ist allerdings folgendes Detail: In Ägypten waren die heutigen Großmütter überwiegend unverschleiert und konnten in ihrer Jugend ihre Ehemänner frei wählen. Ihre Töchter und Enkelinnen tragen hingegen das Kopftuch und bevorzugen die traditionelle Eheschließung unter Vermittlung der Eltern. Eine wichtige Rolle bei diesem Wandel haben Fernsehsender aus den Golfstaaten. Sie strahlen Sendungen mit meist konservativen Inhalten aus. So führt ein modernes Medium zu Rückwärtsgewandtheit.