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Wie Fremde zu Nachbarn werden

Von Stefan Beig

Politik
Multi-Kulti als Normalität: das Wohnmodell Inter-Ethnische Nachbarschaft.

Österreichs neue Vielfalt - eine Herausforderung im Wohnbereich.


Wien. Als Arbeitskräfte wurden Migranten ab den 60er Jahren dringend gebraucht, als Mitbewohner musste man sich erst an sie gewöhnen. "Wohnen ist der Bereich, wo es am meisten Konflikte gibt", meinte Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz am Rande der zweitägigen Tagung über "Wohnen und die regionale Dimension der Integration" an der Donau-Uni Krems.

44 Prozent aller Streitigkeiten gehen auf Lärm zurück, berichtete Josef Cser von Wohnpartner, einem Nachbarschafts-Service im Wiener Gemeindebau. Oft spielen sich die Spannungen zwischen jenen, die schon etabliert sind, und jenen, die zuziehen, ab. Viele Konflikte würden ethnisiert. "Die Leute kommen oft zu uns, und sagen: Die Türken machen schon wieder Lärm, oder Der Türke stellt schon wieder das Mistsackerl in den Gang." Die Wurzel solcher Probleme sei aber gar nicht die ethnische Zugehörigkeit.

Konfliktarbeit ist einer der Arbeitsbereiche der Wohnpartner. Cser betont: "Wir sind keine Exekutivgewalt, sondern eine Serviceeinrichtung. Lösungen können nur errungen werden, wenn sie nicht erzwungen werden." Dass die Wohnpartner an Konflikte ohne vorgefertigte Lösungen herangehen, sei besonders für die Politik gewöhnungsbedürftig gewesen: "Wir erarbeiten die Lösungen gemeinsam mit den Menschen." Besonders stolz sind die Wohnpartner auf ihre Mediation. "Am häufigsten kommen nachhaltige Einigungen durch jene Gespräche zustande, die die Betroffenen selbst miteinander führen." Das zentrale Wort für die Wohnpartner sei daher Empowerment.

Gerade zwischen türkischstämmigen und autochthonen Bewohnern krisle es manchmal etwas. "Jeder ist überzeugt, dass der andere ihn nicht mag." Wie sich über Gespräche nun herausgestellt hat, prallen dabei verschiedene Traditionen aufeinander. "In der Türkei ist es üblich, das neu Zugezogene willkommen geheißen werden; in Wien ist es üblich, dass man sich selber vorstellt. Jeder stand auf dem Standpunkt: Der andere ist unhöflich, der grüßt nicht." Die Anlaufschwierigkeiten könnten nun dank der neuen Aktion "Willkommen Nachbar" überwunden werden, bei der die Mieter die Neuen willkommen heißen.

"Konflikte ergeben sich dann, wenn man das Gefühl hat, dass die Herkunft geringgeschätzt wird", betonte Gudrun Biffl, Leiterin des Departments Migration und Globalisierung in Krems. Besonders große Angst erzeugt im deutschsprachigen Raum der Begriff "Parallelgesellschaft". Biffl hält ihn für unglücklich. Er werde nur negativ verwendet und sei eindeutig diskriminierend. "Ist das Lycée etwa eine Parallelgesellschaft? Der Begriff wird häufig nur für die türkische Minderheit verwendet, dabei ist die ex-jugoslawische Community viel größer und hat die gleichen sprachlichen Schwierigkeiten."

Als zentrale Herausforderung nannte Sebastian Kurz die gleiche Verteilung von Migranten in Österreich. Da gebe es je nach Wohngegend und Bundesland große Unterschiede. Auf Nachfrage räumt er ein, dass die Anzahl der Migranten allein nicht ausschlaggebend für Konflikte ist: "Die Schule mit dem höchsten Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund ist die Vienna International School. Dort funktioniert natürlich alles recht gut - im Gegensatz zu anderen Schulen." Ebenso gebe es auch in Washington Unterschiede zwischen dem südlichen Stadtteil und dem Botschafterviertel. "Bildungsstandards und die soziale Situation spielen eine Rolle. Die hohe Konzentration ist aber eine Herausforderung." 20 vom Integrationsstaatssekretariat unterstützte Projekte sollen sich der Förderung des Zusammenlebens widmen.

Vielfalt als Bereicherung, nicht als Bedrohung

Ein besonders engagiertes Integrationsprojekt, das bereits vor elf Jahren vom Architekturbüro scheifinger + partner in Wien verwirklicht wurde, ist das "Wohnmodell Inter-Ethnische Nachbarschaft" - kurz "Wien". Heute gilt es als Erfolg. Die Bewohner der 140 Mietwohnungen dort stammen aus 24 verschiedenen Ländern und schätzen das engagierte Zusammenleben. Zur Hälfte sind es autochthone Österreicher. Gerade ausländerfeindliche Wahlkämpfe in den 90er Jahren seien ein wichtiger Anstoß zum Projekt gewesen, betonte der Architekt Peter Scheifinger. Ziel war es zu zeigen, dass das Zusammenwohnen "unterschiedlicher Lebensformen und Lebenskulturen" die Integration nicht hemmt, sondern fördert.

Etliche Gemeinschaftseinrichtungen stellt der Bau im 23. Bezirk zur Verfügung, es gibt sogar ein türkisches Bad. Das Stadterweiterungsgebiet wurde auch für Zuwanderer attraktiv und bewirkte einen Zuzug aus dem 10., 15. und 16. Bezirk. Kennenlernfeste fanden schon vor der Besiedelung statt. Ein solches Zusammenleben, so betonte Scheifinger, müsse künftig "das Normale, nicht der Sonderfall" sein.

Ende der 70er Jahre nahmen laut Gudrun Biffl die Spannungen in Österreich zu. Damals wurde die Familienbeihilfe für Kinder, die im Ausland leben, gekürzt. Die Konsequenz: Der Nachwuchs vieler "Gastarbeiter" kam nach Österreich, der Anteil fremdsprachiger Schulkinder stieg in wenigen Jahren von ein auf vier Prozent. Sichtbar waren davor die neuen Österreicher, die eigentlich nur für kurze Zeit zum Arbeiten hätten kommen sollen, primär an Baustellen und in Fabriken gewesen. Nun lebten sie auch mit ihren Familien hier und hatten darüber hinaus mit der Zeit Anspruch auf Sozialleistungen.

Biffl betont, dass Österreich von der Anwerbung von "Gastarbeitern" massiv profitiert hat. "Die Ausweitung unseres Wohlfahrtsmodells war nur durch Neuzuwanderer möglich, die selber davon ausgeschlossen waren." Auch Kurz hielt fest: "Man hat sich lange nicht mit Gastarbeitern beschäftigt." Doch Integration "passiert nicht durch Zufall".