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"Politische Bedrohung bei uns größer als terroristische"

Von Christian Rösner

Politik

Experten warnen vor Bagatellisierung einschlägiger Aussagen in der Politik.


Wien. "Die rechte Szene ist ein transnationales Netzwerk und regional unterschiedlich ausgeprägt", erklärt der Rechtsextremismusexperte vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW), Heribert Schiedl, der "Wiener Zeitung".

Und die besondere Ausprägung in Österreich ergebe sich durch die FPÖ. Denn diese biete den Rechtsextremen Unterschlupf. "Das bedeutet zwar, dass die unmittelbare terroristische Bedrohung geringer ist als in anderen Ländern. Dafür ist aber die politische eine größere", meint Schiedl. Denn solange es die FPÖ gibt, solange würden die Neonazis auf terroristische Organisationen verzichten. "Aber dort, wo die FPÖ zumacht, gibt es plötzlich wieder freie Kameradschaften", so der Experte in Anspielung auf den vor kurzem aufgelösten Ring Freiheitlicher Jugend in Tirol.

Das Problem sei in Österreich die "Normalisierung" des Umgangs mit dem Thema. 1991 sei es der Liste "Nein zur Ausländerflut" verboten worden, bei Wahlen anzutreten, weil sie das Wort "Überfremdung" zu oft benutzt hatten. Acht Jahre später habe die FPÖ "Stopp der Überfremdung" plakatiert. "Auch das Wort Islamisierung galt Ende der Neunziger eindeutig als fremdenfeindliches Wort. Heute steht es in Texten des Innenministeriums ohne Anführungszeichen, wie wenn es ein Fakt wäre", so Schiedl. Das sei der Preis dafür, dass die Politik sich nicht vom rechten Rand der FPÖ besser distanziere.

"Keine Sensibilität mehr"

Ins selbe Horn stößt der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG), Ariel Muzicant. "Ich sehe es als extrem gefährliche Entwicklung, dass die Sensibilität verloren gegangen ist, an rechtsextremen Aussagen etwas zu finden", erklärte Muzicant am Donnerstag vor Journalisten.

Als jüngstes Beispiel nannte er eine Aussage von FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, der im Nationalrat von "Davongelaufenen", die nun "verhätschelt" würden, gesprochen hatte. Muzicant sieht darin eine klare antisemitische Aussage - auch wenn Kickl im Nachhinein betont habe, er hätte von "Scheinasylanten" gesprochen. "In Deutschland wäre der binnen Sekunden weg gewesen, im Müll der Geschichte wäre er gelandet", so Muzicant.

Laut dem IKG-Präsidenten geschehe so etwas fast wöchentlich. "Es sind eindeutig antisemitische Symbole, die hier verwendet werden. Die FPÖ und ihre Vertreter können tun und lassen, was sie wollen, es passiert nichts. In Österreich wird darüber geschwiegen", so Muzicant. Und prompt hat am Donnerstag Nachmittag im Kärntner Landtag ein "Sager" über das "gesunde Volksempfinden" im Zuge einer Debatte über die Schuldenbremse der FPK-Landtagsabgeordneten Mares Rossmann für Wirbel gesorgt. SPÖ und Grüne zeigten sich entsetzt. Der Begriff "Volksempfinden" steht nämlich in direktem Zusammenhang mit dem NS-Regime und dessen Propagandaminister Josef Goebbels. Dieser hatte 1939 erklärt: "Die Judenfrage wird in kürzester Frist einer das deutsche Volksempfinden befriedigenden Lösung zugeführt."

Mit solchen Aussagen würde in Österreich längerfristig der Boden für rechtsextremen Terror nach deutschem Vorbild aufbereitet werden, meinte Muzicant. Allein dem österreichischen Verbotsgesetz sei es zu verdanken, "dass wir hier nicht so einen Zirkus haben". Dadurch habe sich auch die Szene mehr nach Deutschland verlagert.

In diesem Zusammenhang lobte Muzicant die "mustergültige Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Innenministerium". Kritik übte er hingegen an der Justiz: Eine Anzeige gegen die vom DÖW als rechtsextrem eingestufte Zeitschrift "Aula" etwa liege seit sieben Monaten bei der Staatsanwaltschaft.

Forderung an die Justiz

"Es wird Nazi- und Neonazi-Literatur verbreitet und es geschieht auch hier nichts, obwohl es verboten ist", ärgert sich Muzicant. Diese Dinge würden hierzulande nicht mit der nötigen Konsequenz verfolgt. Sein Hauptanliegen: "Mir geht es um einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der Bevölkerung." Dafür sei aber auch ein entsprechender politischer Wille notwendig, so Muzicant.

Der wird laut Schiedl auch notwendig sein. Denn aufgrund des österreichischen Verbotsgesetzes sei die aktive rechtsextreme Szene heute zwar tatsächlich mehr in Ostdeutschland, Tschechien, der Slowakei und Ungarn zu finden, allerdings gebe es das Phänomen der "autonomen Nationalisten" mittlerweile auch schon in Österreich. "Das seien junge Burschenschafter, die Spontandemos organisieren und auch die Polizei angreifen. Diese rebellischen und oppositionellen Eigenschaften, die bisher nur der linksextremen Szene zuzuschreiben waren, wirken wie ein enormer Sog auf die Jugend", warnt Schiedl.